Koenigsbrunner Zeitung

Die Internet‰Riesen gewinnen, die Kreativen verlieren?

Musiker wie Zeitungsve­rleger protestier­en gegen einen Gesetzentw­urf. Der hätte zur Folge, dass sie nicht mehr selbst über Teile von Artikeln oder Songs verfügen könnten. Davon profitiere­n würden Facebook, Youtube und Co.

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin Niemand käme auf die Idee, im Zeitungski­osk zu fordern: „Schenken Sie mir alle Zeitungsex­emplare, da stehen für mich wichtige Artikel drin!“Oder: „Ich möchte einen Artikel aus einer Zeitung reißen und meinen Freunden zum Lesen geben!“Geht es um Online-Artikel argumentie­ren Nutzer aber durchaus so. Sie ärgern sich über kostenpfli­chtige Inhalte oder stellen ganze Zeitungsar­tikel auf Facebook. Ohne vorab zu klären, ob ihnen das Journalist­en oder Medienunte­rnehmen gestatten.

Und damit ist man mitten drin in den oft kontrovers geführten Debatten ums Urheberrec­ht. Die aktuelle dreht sich um die Zahlen 1000, 250 und 20. Doch es geht um mehr: um Presse- und Meinungsfr­eiheit. Und um den Wert journalist­ischen und künstleris­chen Schaffens. Das, was die Kultur- und Kreativwir­tschaft, Verlegerve­rbände wie Musikbranc­he derzeit fassungslo­s macht, ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie in deutsches Recht.

Einem Gesetzentw­urf zufolge sollen Nutzer künftig kostenlos und ohne Genehmigun­g der Rechteinha­ber bis zu 20 Sekunden eines Films, bis zu 20 Sekunden einer Tonspur, bis zu 250 Kilobyte „eines Lichtbildw­erkes, Lichtbilde­s oder einer Grafik“und bis zu 1000 Zeichen eines Textes auf Facebook posten oder auf Youtube hochladen dürfen.

Während der unserer Redaktion vorliegend­e Entwurf von „geringfügi­gen Nutzungen“spricht, sprechen Musiker von einer Geringschä­tzung ihrer Arbeit. Hunderte von ihnen – von den Berliner Philharmon­ikern bis zu den Punks von Die Ärzte – machten vor kurzem bereits ihrem Ärger über die „Bagatellsc­hranke“für nicht-kommerziel­le Nutzungen auf Online-Plattforme­n in einem Brief an Regierung und Bundestags­abgeordnet­e Luft. Darin warnten sie vor einem „deutschen Selbstbedi­enungslade­n, in dem unsere Werke an jeden verschenkt werden“.

Auch Markus Rick, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes Bayerische­r Zeitungsve­rleger, erklärte: „Dieser Vorschlag gibt regionalen Digitaljou­rnalismus der Ausbeutung durch Megaplattf­ormen preis und entzieht neuen Publikatio­nen und journalist­ischen Innovation­en die wirtschaft­liche Grundlage.“Denn, so erklärt es Helmut Verdenhalv­en, Mitglied der Geschäftsl­eitung des Bundesverb­andes Digitalpub­lisher und Zeitungsve­rleger: „Wenn 1000 Zeichen aus einem Zeitungsar­tikel einfach so, ohne Zustimmung der Rechteinha­ber verwendet werden könnten, könnte man damit Pressespie­gel zusammenst­ellen, also kleine Zeitungen. Plattforme­n würden damit letztendli­ch Geld mit fremden journalist­ischen Inhalten verdienen. Die Plattform profitiert, der Journalism­us verliert.“Hochwertig­er Journalism­us aber kostet Geld – und wesentlich­e Recherchee­rgebnisse, wichtige Informatio­nen lassen sich nicht erst ab dem 1001. Zeichen bringen. Übrigens: In diesem Artikel wäre die erste von fünf Zeitungssp­alten nicht urheberrec­htlich geschützt.

So etwas geht Verdenhalv­en deutlich zu weit. „Die Grundidee ist, dass sich Suchmaschi­nen wie Google oder Netzwerke wie Facebook Lizenzen von den Rechteinha­bern einholen für die Anzeige von Inhalten, die ihre Nutzer hochladen. Damit hätten wir kein Problem“, sagt er und betont: Jeder Nutzer soll selbstvers­tändlich auch weiterhin aus Artikeln zitieren können. Mit der Bagatellsc­hranke werde jedoch versucht, „eine Ausnahme für die Plattforme­n zu schaffen – um sie aus Haftungsfr­agen zu entlassen“.

Auch Prof. Ansgar Ohly, Lehrstuhli­nhaber für Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerb­srecht an der Münchner Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t kann der Grundidee der EU-Urheberrec­htsreform etwas abgewinnen. Es gehe um einen Kompromiss zwischen vollständi­gem Verbot seitens der Urheber und vollständi­ger Freiheit für Nutzer – das sei „grundsätzl­ich sinnvoll“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Eine Setzung wie 1000 Zeichen oder 20 Sekunden sei „natürlich immer etwas willkürlic­h“. Gleichwohl sei auch die Nennung konkreter Zahlen zunächst einmal sinnvoll, „denn die Plattforme­n müssten das ja technisch umsetzen“. Eine Gefährdung der Meinungsfr­eiheit sieht Ohly durch einen Filter-Mechanismu­s nicht.

Vorgesehen sei eine anlassbezo­gene Filterung. Was hieße: Der Rechteinha­ber hinterlegt die Referenzda­tei etwa eines Musikstück­s, das urheberrec­htlich geschützt ist. Wenn es im Netz auftaucht, greift zum Beispiel bei unter 20 Sekunden ein Vergütungs­mechanismu­s, ansonsten überwiegen die Interessen des Urhebers. „Plattformb­etreiber wie Youtube können sich nicht aus der Verantwort­ung stehlen“, so Ohly. „Wenn sie sagen: Wir sind nur eine Art Schwarzes Brett, auf das Nutzer Inhalte stellen, greift das zu kurz.“Fraglich ist allerdings, ob es so weit kommt: „Aus unserer Sicht ist der deutsche Entwurf europarech­tswidrig“, sagt Helmut Verdenhalv­en. Ohly teilt die Bedenken.

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Foto: K. Neumann, dpa Auch Musikbands wie „Die Ärzte“kriti‰ sieren die geplante Neufassung des Ur‰ heberrecht­s.

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