Die InternetRiesen gewinnen, die Kreativen verlieren?
Musiker wie Zeitungsverleger protestieren gegen einen Gesetzentwurf. Der hätte zur Folge, dass sie nicht mehr selbst über Teile von Artikeln oder Songs verfügen könnten. Davon profitieren würden Facebook, Youtube und Co.
Berlin Niemand käme auf die Idee, im Zeitungskiosk zu fordern: „Schenken Sie mir alle Zeitungsexemplare, da stehen für mich wichtige Artikel drin!“Oder: „Ich möchte einen Artikel aus einer Zeitung reißen und meinen Freunden zum Lesen geben!“Geht es um Online-Artikel argumentieren Nutzer aber durchaus so. Sie ärgern sich über kostenpflichtige Inhalte oder stellen ganze Zeitungsartikel auf Facebook. Ohne vorab zu klären, ob ihnen das Journalisten oder Medienunternehmen gestatten.
Und damit ist man mitten drin in den oft kontrovers geführten Debatten ums Urheberrecht. Die aktuelle dreht sich um die Zahlen 1000, 250 und 20. Doch es geht um mehr: um Presse- und Meinungsfreiheit. Und um den Wert journalistischen und künstlerischen Schaffens. Das, was die Kultur- und Kreativwirtschaft, Verlegerverbände wie Musikbranche derzeit fassungslos macht, ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie in deutsches Recht.
Einem Gesetzentwurf zufolge sollen Nutzer künftig kostenlos und ohne Genehmigung der Rechteinhaber bis zu 20 Sekunden eines Films, bis zu 20 Sekunden einer Tonspur, bis zu 250 Kilobyte „eines Lichtbildwerkes, Lichtbildes oder einer Grafik“und bis zu 1000 Zeichen eines Textes auf Facebook posten oder auf Youtube hochladen dürfen.
Während der unserer Redaktion vorliegende Entwurf von „geringfügigen Nutzungen“spricht, sprechen Musiker von einer Geringschätzung ihrer Arbeit. Hunderte von ihnen – von den Berliner Philharmonikern bis zu den Punks von Die Ärzte – machten vor kurzem bereits ihrem Ärger über die „Bagatellschranke“für nicht-kommerzielle Nutzungen auf Online-Plattformen in einem Brief an Regierung und Bundestagsabgeordnete Luft. Darin warnten sie vor einem „deutschen Selbstbedienungsladen, in dem unsere Werke an jeden verschenkt werden“.
Auch Markus Rick, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger, erklärte: „Dieser Vorschlag gibt regionalen Digitaljournalismus der Ausbeutung durch Megaplattformen preis und entzieht neuen Publikationen und journalistischen Innovationen die wirtschaftliche Grundlage.“Denn, so erklärt es Helmut Verdenhalven, Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger: „Wenn 1000 Zeichen aus einem Zeitungsartikel einfach so, ohne Zustimmung der Rechteinhaber verwendet werden könnten, könnte man damit Pressespiegel zusammenstellen, also kleine Zeitungen. Plattformen würden damit letztendlich Geld mit fremden journalistischen Inhalten verdienen. Die Plattform profitiert, der Journalismus verliert.“Hochwertiger Journalismus aber kostet Geld – und wesentliche Rechercheergebnisse, wichtige Informationen lassen sich nicht erst ab dem 1001. Zeichen bringen. Übrigens: In diesem Artikel wäre die erste von fünf Zeitungsspalten nicht urheberrechtlich geschützt.
So etwas geht Verdenhalven deutlich zu weit. „Die Grundidee ist, dass sich Suchmaschinen wie Google oder Netzwerke wie Facebook Lizenzen von den Rechteinhabern einholen für die Anzeige von Inhalten, die ihre Nutzer hochladen. Damit hätten wir kein Problem“, sagt er und betont: Jeder Nutzer soll selbstverständlich auch weiterhin aus Artikeln zitieren können. Mit der Bagatellschranke werde jedoch versucht, „eine Ausnahme für die Plattformen zu schaffen – um sie aus Haftungsfragen zu entlassen“.
Auch Prof. Ansgar Ohly, Lehrstuhlinhaber für Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität kann der Grundidee der EU-Urheberrechtsreform etwas abgewinnen. Es gehe um einen Kompromiss zwischen vollständigem Verbot seitens der Urheber und vollständiger Freiheit für Nutzer – das sei „grundsätzlich sinnvoll“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Eine Setzung wie 1000 Zeichen oder 20 Sekunden sei „natürlich immer etwas willkürlich“. Gleichwohl sei auch die Nennung konkreter Zahlen zunächst einmal sinnvoll, „denn die Plattformen müssten das ja technisch umsetzen“. Eine Gefährdung der Meinungsfreiheit sieht Ohly durch einen Filter-Mechanismus nicht.
Vorgesehen sei eine anlassbezogene Filterung. Was hieße: Der Rechteinhaber hinterlegt die Referenzdatei etwa eines Musikstücks, das urheberrechtlich geschützt ist. Wenn es im Netz auftaucht, greift zum Beispiel bei unter 20 Sekunden ein Vergütungsmechanismus, ansonsten überwiegen die Interessen des Urhebers. „Plattformbetreiber wie Youtube können sich nicht aus der Verantwortung stehlen“, so Ohly. „Wenn sie sagen: Wir sind nur eine Art Schwarzes Brett, auf das Nutzer Inhalte stellen, greift das zu kurz.“Fraglich ist allerdings, ob es so weit kommt: „Aus unserer Sicht ist der deutsche Entwurf europarechtswidrig“, sagt Helmut Verdenhalven. Ohly teilt die Bedenken.