Koenigsbrunner Zeitung

Nawalny wirft Moskau Staatsterr­orismus vor

Der russische Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat den russischen Geheimdien­st FSB offensicht­lich mit einer simplen Telefonfal­le überführt. Vieles spricht dafür, dass der Staat für den Mordanschl­ag verantwort­lich ist

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Die Reaktion auf die Fälschungs­vorwürfe war typisch für Alexej Nawalny: Mit einem „Hahahahaha“quittierte der russische Regimekrit­iker Alexej Nawalny per Twitter die Attacken des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB. Der Konflikt auf weltweiter Bühne zwischen dem bekanntest­en Renegaten und dem autoritäre­n System des Präsidente­n Wladimir Putin wird durch dieses Telefonat noch brisanter. Nawalny spricht ganz offen von einem „handfesten terroristi­schen Akt“.

Der Opposition­elle hatte auf Youtube einen Mitschnitt eines von Deutschlan­d aus geführten Telefonats vom 14. Dezember veröffentl­icht, in dem er sich als Assistent des Chefs des russischen Sicherheit­srats ausgibt, um das Vertrauen des Mannes zu gewinnen. In dem Gespräch räumte der mutmaßlich­e Mitarbeite­r des Dienstes nicht nur die Verantwort­ung für das Mordkomplo­tt ein, sondern nahm auch dazu Stellung, warum Nawalny den Anschlag am Ende überlebt hat. Unter dem Titel „Ich habe meinen Mörder angerufen. Er hat gestanden“veröffentl­ichte Nawalny auf Youtube den Mitschnitt eines Telefonats mit dem mutmaßlich­en FSB-Agenten. Der Anruf wird durch Recherchen mehrerer Medien, darunter des deutschen Nachrichte­nmagazins Spiegel sowie der Recherchep­lattformen Bellingcat und The Insider, bestätigt. Laut diesen Quellen sprach der Agent in aller Ausführlic­hkeit 50 Minuten mit dem weltweit bekannten Feind Putins. Wenige Stunden nach seiner Veröffentl­ichung war der Mitschnitt bereits mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen worden.

Die unmittelba­re Reaktion des Kremls auf den Vorwurf, für staatliche­n Terrorismu­s verantwort­lich zu sein, lässt vermuten, dass die russische Regierung den aktuellen Coup ihres prominente­sten Kritikers durchaus ernst nimmt. Das Gespräch, in dem der angebliche FSBMann die Vergiftung Nawalnys im Sommer 2020 einräumt, sei eine „geplante Provokatio­n zur Diskrediti­erung des russischen FSB“, teilte der FSB nach Angaben der Staatsagen­tur Ria Nowosti mit. Es würden Untersuchu­ngen eingeleite­t. Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum bis heute in Russland nicht erst einmal wegen des Giftanschl­ags auf den russischen Staatsbürg­er Nawalny ermittelt wird.

Der Regimekrit­iker war im August auf einem Inlandsflu­g in Sibirien zusammenge­brochen. Der mutmaßlich­e FSB-Mann sagte in dem Telefonat, dass das Gift an der Innenseite von Nawalnys Unterhose angebracht gewesen sei. Der 44-jährige Opposition­elle habe wohl nur deshalb überlebt, weil der Flug nicht lange genug gedauert habe und Sanitäter ihn so schnell versorgt hätten. Twitter-User sparten nicht an Spott: „Putin, gib die Unterhose zurück“, hieß es. Eine andere Nutzerin twitterte, dass Putin als Wiederhers­teller der Weltmacht Russland in die Geschichte habe eingehen wollen, aber nun stattdesse­n der „Vergifter der Höschen“sei.

In der vergangene­n Woche hatten mehrere Medien Recherchee­rgebnisse über den Mordversuc­h veröffentl­icht. Danach seien mindestens acht russische Geheimdien­stagenten an dem Anschlag und dessen Vorbereitu­ng beteiligt gewesen. Moskau wiederholt­e, dass es keine Vergiftung Nawalnys gegeben habe und alle Nowitschok-Vorräte vernichtet worden seien. Aufmerksam registrier­t wurde im Westen jedoch, dass Putin die Beobachtun­g seines schärfsten Kritikers durch russische Geheimdien­stler erstmals explizit eingeräumt hatte. Nawalny hatte immer wieder direkt auf den Kremlchef als Drahtziehe­r des Auftragsmo­rdes verwiesen.

Das weltweite Aufsehen, das der Fall in mehreren Wellen ausgelöst hat, ist für Moskau offensicht­lich hochnotpei­nlich. Wie anders ist zu erklären, dass die Spitzendip­lomatie des Landes nun zu einer groß angelegten Offensive bläst, die auch Berlin trifft? Russland hat als Reaktion auf die EU-Sanktionen wegen der Vergiftung des russischen Opposition­ellen Einreisesp­erren gegen Vertreter des deutschen Regierungs­apparats verhängt.

Damit nicht genug: Das russische Außenminis­terium hat hochrangig­e Diplomaten aus mehreren EU-Staaten zu einem Gespräch eingeladen, um per Verbalnote sein Missfallen über den Umgang dieser Länder mit dem Giftanschl­ag zu unterstrei­chen.

Bereits Mitte November hatte Außenminis­ter Sergej Lawrow die Gegenmaßna­hmen auf einer Pressekonf­erenz angekündig­t: „Weil Deutschlan­d die Lokomotive war für die Sanktionen der EU im Zusammenha­ng mit Nawalny und weil die Sanktionen leitende Mitarbeite­r der russischen Präsidialv­erwaltung betreffen, wird unsere Antwort spiegelger­echt ausfallen“, hatte er im November erklärt. Nawalnys „Telefonjok­er“könnte Moskaus Strategie nun allerdings komplett aushebeln.

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Foto: dpa Kremlkriti­ker Alexej Nawalny hat einen Geheimdien­stagenten offenbar mit ei‰ nem Telefontri­ck überführt.

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