Frankreich lockert Reiseverbote
Chaos in Dover und an den Grenzen. Verkehren Flugzeuge, Fähren und Züge noch vor Weihnachten wieder?
Brüssel Die Szenen auf der britischen Autobahn M20 in Richtung Dover sind chaotisch. Rund 700 Lkw – einige sprechen sogar von über 1500 – haben sich aufgestaut, seit Frankreich die Grenzen am Sonntagabend nach Meldungen über eine gefährliche Mutation des Coronavirus geschlossen hat – zunächst für 48 Stunden. „Meine Familie in Polen wartet auf mich. Es ist schlimm für mich, hier nicht wegzukommen“, twitterte der 38-jährige Jaroslaw. Seine Ladung hatte er abgegeben, er war auf dem Heimweg, als nichts mehr ging. Kurz darauf stoppten über 20 EU-Mitgliedstaaten auch den Zugverkehr durch den Kanaltunnel sowie alle Flüge von und nach Großbritannien.
Nun gibt es allerdings Hoffnung für die Gestrandeten. Die EU-Kommission in Brüssel forderte die Mitgliedstaaten auf, die Isolation der Insel zu beenden. Frankreich kündigte daraufhin an, seine coronabedingte Sperre für Reisende aus Großbritannien zu lockern, wegen der hunderte Lkw im Süden Englands auf ihre Ausreise warten mussten.
„Pauschale Reiseverbote sollten tausende von Bürgern der EU und des Vereinigten Königreiches nicht daran hindern, in ihre Heimat zurückzukehren“, sagte in Brüssel Justiz-Kommissar Didier Reynders bei der Vorlage neuer Leitlinien. Konkret will die EU erreichen, dass alle Bürger wieder frei auf die Insel oder auf den Kontinent reisen dürfen. Beim Transit könnten Tests verlangt werden, die aber vorher anzukündigen seien. Für LogistikTransporte sowie „Beschäftigte in systemrelevanten Bereichen wie zum Beispiel medizinische Fachkräfte“sollen alle Beschränkungen beendet werden. Um eine schnelle Abfertigung der Lkw zu ermöglichen, schlug die Kommission die
Einführung „grüner“Fahrspuren vor, die bereits im März innerhalb der Union für ein Ende der Grenzschließungen gesorgt hatten. Reynders’ Fazit: „Alle Reiseverbote sollten aufgehoben werden.“Die EU hat in Grenzfragen nur beratende Funktion.
Die Regierung in Paris reagierte noch am Dienstag. Flugzeuge, Schiffe und der von London aus fahrende Eurostar-Zug könnten vom Mittwochmorgen an wieder verkehren, teilte der beigeordnete Minister für Verkehr, Jean-Baptiste Djebbari, am Dienstagabend via Twitter mit. Französische Staatsbürger, Menschen mit Wohnsitz in Frankreich und andere Reisende müssten einen negativen Corona-Test haben. „Das Ziel ist, den Warenverkehr wieder anlaufen zu lassen“, sagte Djebarri im Sender BFMTV.
Die Niederlande, die am Wochenende ein Einreiseverbot für Passagiere aus Großbritannien verhängt hatten, erklärten am Dienstag ebenso, Reisende aus Großbritannien und Südafrika in Kürze wieder ins Land lassen zu wollen. Voraussetzung sei, dass sie ein negatives Testergebnis vorweisen könnten. Reisende müssten dann noch für zehn Tage in Heimquarantäne.
Tatsächlich war ein Ausweg für alle dringend nötig, zumal die Europäer am Dienstag zunächst völlig durcheinander reagierten. In der Schweiz versuchten die Behörden, rund 10000 Weihnachtstouristen von der Insel ausfindig zu machen, die seit 14. Dezember zum Skifahren eingereist waren. Währenddessen wickelten einige EU-Länder wie Griechenland alle angesetzten Flüge auf die Insel wie geplant ab, was in Brüssel wiederum zu Nervosität führte. „Wer weiß denn, wie viele Menschen den Umweg über einen Flughafen in Griechenland nutzten, um doch noch in ihre Länder zu kommen?“, sagte ein EU-Diplomat. Die Kommission forderte die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten zugleich auf, ihre Bemühungen zu verstärken, um die Bedrohung durch die mutierte Virus-Variante prüfen zu lassen.
Ob es der Gemeinschaft im Zusammenspiel mit London gelingt, die chaotischen Zustände am Ärmelkanal noch vor den Festtagen zu entspannen, schien noch nicht sicher. Experten sprachen von „einigem Vorlauf“, der nötig sei, um den Fährverkehr sowie die EurostarZüge durch den Tunnel wieder zum Laufen zu bringen. Auch die Airlines würden „ein paar Tage“brauchen, um ihre Linienflüge wiederaufnehmen zu können.