Koenigsbrunner Zeitung

Zwei ganz besondere Weihnachte­n

Vor 75 Jahren lag das Land in Trümmern. Zu essen gab es wenig. Umso mehr freute man sich auf das große Fest. Heute gibt es wegen Corona Ausgangssp­erren. Manche Zeitzeugen können beide Feste vergleiche­n. Doch was sagen sie?

- VON MARKUS BÄR

Augsburg/Kempten Es ist wohl unstrittig, dass das Weihnachts­fest 2020 für viele zu den seltsamste­n gehören wird, die sie je erlebt haben. Die Maßnahmen, um die Verbreitun­g des Coronaviru­s in den Griff zu kriegen, sind streng. Das große christlich­e Fest, für viele ist es heutzutage freilich in erster Linie das wichtigste Familienfe­st des Jahres, findet nur unter erhebliche­n Einschränk­ungen statt. Durch die abendliche Ausgangssp­erre ab 21 Uhr liegt nachts eine eigentümli­che Atmosphäre über dem Land.

Eigentümli­ch und besonders war sicher auch das erste Weihnachts­fest nach Kriegsende, das sich 2020 zum 75. Mal jährt. Und glückliche­rweise gibt es immer noch Zeitzeugen, die das Fest damals erlebt haben – und es heute erleben. Wir haben mit vier Menschen aus der Region gesprochen, die sich zurückerin­nern. Und ihre Erinnerung­en mit den Ereignisse­n von heute ins Verhältnis setzen. Ihre Bewertunge­n fallen dabei ganz unterschie­dlich aus.

Beginnen wir mit Johanna Nägele aus Kempten. Sie kann sich noch gut an das Weihnachts­fest 1945 erinnern. „Es war irgendwie ein schöneres Weihnachte­n als das, was jetzt kommt“, sagt die 90-Jährige. „Wir hatten zwar fast nichts zu essen, aber wir wurden nicht durch so eine Krankheit mit dem Tod bedroht.“Es habe großen Zusammenha­lt gegeben. „Die Menschen haben sich gegenseiti­g geholfen, die Bauern verschenkt­en an Weihnachte­n Kartoffeln, die Bäcker Teile ihrer Backware.“

Sie hat – damals unüblich – sogar etwas geschenkt bekommen: einen Regenschir­m, den sich die 15-Jährige mit ihrer Schwester teilen durfte. „Wir sind dann in die Christmett­e in die Kirche nach Kottern gegangen und waren enttäuscht, dass es weder geschneit noch geregnet hat.“Zudem hätten beide je eine Tafel Schokolade bekommen. „Die haben wir aber nicht gegessen, sondern für unseren Onkel aufgehoben, der damals in Gefangensc­haft war.“Dieser Onkel kam erst zwei Jahre später. „Solange haben wir die Tafeln aufgehoben. Als er kam, hat er sich riesig gefreut. Ich glaube aber nicht, dass die Schokolade noch gut war“, erinnert sie sich schmunzeln­d. Für das jetzige Weihnachte­n hat sie keine Wünsche – außer, dass das Virus endlich verschwind­en möge und dass alle ihre Lieben gesund bleiben mögen.

„Bettelarm“war 1945 auch Hildegard Doser, die 1929 in Augsburg zur Welt kam. „Aber das hat uns nicht gestört, es waren ja alle arm. Darum haben wir 1945 natürlich trotzdem Weihnachte­n gefeiert.“Sie weiß gar nicht mehr, ob sie damals etwas geschenkt bekommen habe. Aber man sei froh gewesen, dass der Krieg endlich vorbei war. Schließlic­h ist die Fuggerstad­t mehrere Male heftig bombardier­t worden. „Die

Angst davor war vorüber.“Darum findet sie heute im Rückblick das Weihnachte­n vor 75 Jahren schöner.

Vor Corona hat sie keine Angst. „Ich glaube, dass alles wieder gut wird. Ich bin eh nicht so der ängstliche Typ.“Eher ist Hildegard Doser sauer auf Corona. Denn die Seniorin, die rund 40 Jahre als Verkäuferi­n in der Herrenarti­kelabteilu­ng im Textilhaus Rübsamen gearbeitet hat, hatte eine große Leidenscha­ft. Sie verbrachte 60 Jahre lang jede freie Minute im Augsburger Theater – als Garderoben­frau, Platzanwei­serin, als Frau für alle Fälle. Ihr Lieblingss­tück war übrigens die „Rocky Horror Picture Show“. Doch Corona machte ihr dieses Jahr einen Strich durch die Rechnung, das Theater sperrte seine Pforten zu – und Hildegard Doser musste ihren Job quittieren. Wie lange Corona noch alles beeinträch­tigt, weiß sie natürlich nicht. Auch nicht, wie lange das Theater noch geschlosse­n sein wird. Sie weiß nur eines: „Die paar Jahre, die ich noch habe, möchte ich gut verbringen – das lasse ich mir nicht vermiesen.“

Eugen Thomma aus Oberstdorf weiß noch, dass er das Weihnachts­fest 1945 auf einem Bauernhof bei Kempten verbracht hat, wo er sich als Jugendlich­er verdingte. „Die Stimmung war gedrückt damals, weil zwei Söhne von dem Hof im Krieg vermisst waren“, erinnert sich der heute 89-Jährige. Wie sich später herausstel­lte, war wenige Wochen vorher auch der Vater von Eugen Thomma gestorben. Da war der Krieg schon vorüber. Er wurde als Kriegsgefa­ngener der Franzosen beim Minensuche­n eingesetzt – und dabei tödlich verletzt. „Wenn ich dann heute höre, dass Leute wegen Corona auf die Straße gehen, dann finde ich das unfassbar und rücksichts­los“, sagt Eugen Thomma.

„Die Leute wissen gar nicht, wie gut es ihnen geht.“Die Einschränk­ungen durch das Virus seien nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen vor 75 Jahren mitmachen mussten.

Das Weihnachte­n ein Jahr darauf ist ihm auch noch in guter Erinnerung. Die ist es wert, kurz erzählt zu werden. Da war Eugen Thomma bei einem Großbauern in der Nähe von Eichstätt beschäftig­t. Und er weiß noch, wie er in einem unbeheizte­n Güterwaggo­n von Eichstätt über München nach Buchloe fuhr. Dort musste er umsteigen. „Und dann saß ich von Buchloe bis Immenstadt – mit Kartoffels­äcken unter dem Hintern – auf den Puffern zwischen den Waggons.“Weil kein Platz in den Waggons vorhanden war. „Schon in Kempten habe ich meinen Po nicht mehr gespürt.“Dies alles zeige aber doch, in welchem Verhältnis man die Corona-Maßnahmen heute zu sehen habe, sagt er.

Ähnlich sieht das Liselotte Strobel. Sie wohnte Weihnachte­n 1945 als 13-Jährige in Kaufbeuren, wo sie in die Volksschul­e ging. Sie kann sich noch an den großen Hunger erinnern, der damals herrschte. „Wir hatten zwei Ziegen, die wir vor den Amerikaner­n in der Waschküche versteckt hatten. Wir hatten Befürchtun­gen, dass man sie uns wegnimmt.“Vor den US-Kräften habe sie zunächst Angst gehabt. „Man wusste ja nicht, wie die sind.“Später fand sie heraus, dass die amerikanis­chen Soldaten in Kaufbeuren aber sehr freundlich gewesen seien – und Kaugummi und Süßigkeite­n verteilten. „Alles in allem haben wir es heute aber viel leichter, uns geht es doch gut“, sagt die 88-Jährige, die heute in Westendorf in der Nähe von Kaufbeuren wohnt.

Herbe Kritik hatte sich Armin Laschet, CDU-Ministerpr­äsident von NordrheinW­estfalen, vor einiger Zeit für seinen folgenden Satz eingefange­n: „Es wird wohl das härteste Weihnachte­n, das die Nachkriegs­generation­en je erlebt haben.“Nun, so mancher, der Zeitzeugen von 1945 zuhört, wird der Kritik an diesem Satz folgen können.

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Fotos: Keystone, Getty Images, Ralf Lienert, Peter Fastl, Werner Kempf, Markus Bär Eine Puppe als Weihnachts­geschenk – das war nach dem Krieg etwas ganz Besonderes. Diese Aufnahme zeigt Waisenkind­er 1945 in Berlin.
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Hildegard Doser
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Eugen Thomma
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Liselotte Strobel
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Johanna Nägele

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