Auf Spritztour
Die erste Lieferung des Corona-Impfstoffs kommt in einer sehr kleinen Box mit nur wenigen Dosen. Ziemlich groß hingegen ist der Aufwand für die Seniorenheime, die Gefahr von Pannen – und die Hoffnung auf bessere Zeiten. Erkenntnisse des ersten Impftags
Aichach/Dasing Sie hatten extra noch geprüft, ob der Hallenboden im Impfzentrum Dasing (Kreis Aichach-Friedberg) standhält, wenn ein Laster beladen mit Impfboxen hineinrollt. Man muss ja alle Eventualitäten bedenken. Doch als der grau-orangefarbene Transporter am Samstagnachmittag ziemlich genau um 14.09 Uhr in den Hof des sonst als Fabrikhalle genutzten Impfzentrums einbiegt, sorgt sich niemand mehr um die Statik des Baus. Es ist ein kleiner Van, wie ihn Gärtnereien, Hausmeisterservices oder Handwerker zu Tausenden nutzen – mit dem Unterschied, dass dieser Wagen eine Kühlfunktion hat. Er bringt eine noch viel kleinere graue Kiste, kaum einen Kubikmeter groß.
Darin: Die ersten 1400 CoronaImpfdosen für Schwaben, die Klaus Holetschek, Staatssekretär und Corona-Taskforce-Koordinator im bayerischen Gesundheitsministerium, vor der Presse mit großer Geste und noch größeren Worten in Empfang nimmt: „Die Möglichkeit einer Impfung ist ein kleiner Piks für den Einzelnen, aber für alle ein großer Schritt in Richtung Normalität.“
Doch 1400 Dosen passen nicht nur in ein kleines Auto und in eine kleine Kiste, sondern damit lassen sich auch keine großen Sprünge machen. Von Dasing aus verteilen Ehrenamtliche des Technischen Hilfswerks die Ampullen erst auf Kühlboxen und dann zu gleichen Teilen auf die Impfzentren Schwabens. Lediglich 100 Impfdosen erhalten jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis am Sonntag. Der Impfbeginn am Wochenende ist also vor allem ein symbolischer Akt. Die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Pflegekräfte sowie medizinisches Personal auf Intensivstationen und in Notaufnahmen sind als Erste an der Reihe. In den meisten Regionen reicht die erste kleine Charge aber nur für ein bis zwei Heime. der Kühlboxen aus Dasing steht am Sonntagmittag auf einem schmucklosen Tisch im Wohntrakt des Seniorenheims Haus an der Paar in Aichach. 15 Mitarbeiter und 35 Bewohner sollen hier und heute geimpft werden. Auf drei zusammengeschobenen Tischen hat das Impfteam des Medizindienstleisters Vitolus seine Kommandobrücke aufgebaut. Hier werden Impfpässe geprüft und Spritzen aufgezogen, eine Ärztin geht von Zimmer zu Zimmer, spricht mit den Bewohnern die Impfung durch und überprüft die Anamnesebögen, die Heimleiterin Lolita Höpflinger über die Weihnachtstage vorbereitet hat.
Ein Riesenaufwand sei das gewesen, sagt die 60-Jährige. Im Haus an der Paar grassiert gerade das Virus, die meisten Stockwerke sind Quarantäne-Station und isoliert. Da herrscht ohnehin Ausnahmezustand. Wegen des Covid-19-Ausbruchs ist Höpflingers Heim eins der ersten, dessen Bewohner das schützende Vakzin erhalten. „Wir glauben nicht, dass die Impfung das Allheilmittel ist“, sagt die Frau mit dem kurzen grauen Haar, von deren Gesicht man über der FFP2-Maske nur die trotz Überstunden wachen Augen sieht. „Aber wir hoffen, dass damit ein Stück Normalität zurückkehrt.“
Innerhalb weniger Tage die Bewohner über die Impfung aufzuklären, ihr Einverständnis einzuholen, Formulare über Vorerkrankungen und Medikamente auszufüllen, alles neben der ohnehin schon belastenden Alltagsarbeit, das nennt sie eine „wahnsinnige Herausforderung“. Aber: „Wir haben alles geschafft.“Was sie dann sagt, hört man so oder so ähnlich von vielen Heimleitern im Freistaat: „Lieber hätte man mit dem Impfstart noch eine Woche gewartet, dafür alles in Ruhe vorbereitet und dann gleich alle Heimbewohner impfen können.“Immerhin ist Lolita Höpflingers Vorarbeit für die Impfungen nicht umsonst – in manch anderem Heim erst einmal schon.
In mindestens zehn bayerischen Landkreisen und Städten muss der Impfstart am Sonntag kurzfristig abgeblasen oder verschoben werden – in den Kreisen Augsburg und Dillingen genauso wie in mehreren oberfränkischen Regionen. Ungereimtheiten in der Kühlkette stellen die Wirksamkeit des Impfstoffs infrage. Dessen Hersteller Biontech muss erst seine Einschätzung abgeben. Zumindest in Schwaben kommt am späten Nachmittag doch noch grünes Licht. Der Impfstoff ist unbeschädigt, die Injektionen können auch hier losgehen.
In den meisten bayerischen Krankenhäusern wird am Sonntag noch keine Spritze aufgezogen – jedenfalls keine mit Corona-Impfstoff. Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, betonte vor dem Impfbeginn im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die Impfungen an den einzelnen Kliniken erst einmal sporadisch losgehen. „Zu Beginn kommen nur wenige Impfdosen an“, sagt er. Doch Engehausen geht davon aus, dass spätestens in der ersten oder zweiten Januarwoche in allen Kliniken geimpft wird.
Damit der Impfstoff auch verabreicht werden kann, waren an den Krankenhäusern im Vorfeld logistische Herausforderungen zu meistern. Am Augsburger Universitätsklinikum laufen die Vorbereitungen seit mehreren Wochen. „Wir haben extra aufgerüstet, um die Kühlung des Impfstoffs bei minus 70 Grad zu gewährleisten. Ein Lagerraum wurde mit großen Kühlschränken ausgestattet“, sagt Herbert Quinz, Leiter der Stabsstelle MedizinorganisaEine am Uniklinikum. „Man braucht zudem eine besondere Lüftung, weil die Kühlgeräte, in denen der Impfstoff lagert, heiß werden. Das ist sehr komplex“, fährt Quinz fort.
Die ersten Impfungen am Uniklinikum finden am Dienstag statt. Ursprünglich war geplant gewesen, am Sonntag zu beginnen. Der Start wurde dann aber um zwei Tage verschoben. „Der detaillierte Zeitplan hängt unter anderem von der Menge des zur Verfügung gestellten Impfstoffes ab, die Zuteilung erfolgt über die Regierung von Schwaben“, erklärt Quinz. Einen groben Plan, welche klinischen Bereiche wann dran sind, gibt es aber schon länger, basierend auf Empfehlungen der Ständigen Impfkommission: zuerst die Notaufnahme, dann Covid19-Stationen, OP-Bereiche, intensivmedizinisches und anästhesiologisches Personal, die Onkologie und schließlich die Palliativstationen.
Am Klinikum der Universität München ist man ein wenig enttäuscht, dass nicht genügend Dosen da sind, um gleich überall mit den Impfungen zu beginnen. „Die bayerischen Unikliniken, die sich in der Organisation äußerst aktiv eingebracht haben und die Infrastruktur für die zentralen Impfstoffzentren aufbauten, hätten sich alle gewünscht, dass sie die Impfungen von Mitarbeitern der Covid-Intensivstationen und Notaufnahmen auch ab dem 27. Dezember hätten beginnen können“, sagt eine Sprecherin. Nun werde man voraussichtlich mit einer neuen Lieferung an diesem Montag bedacht. Mitarbeitern, die besonders gefährdet sind, weil sie CoronaPatienten versorgen, könne dann ab Dienstag eine Impfung angeboten werden. 97500 neue Dosen sollen am zweiten Liefertag nach Bayern kommen.
Die Ankunft der ersten Charge mit dem wertvollen Stoff hatten am Samstag bewaffnete Polizisten begleitet. Am Wochenende blieb zwar alles ruhig, doch die Sicherheitsbehörden fürchten Angriffe auf die Transporte. „Der Impfstoff ist das flüssige Gold 2021“, sagte etwa der Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock vor wenigen Tagen. Der Viruswelle folge die Kriminalitätswelle. „Tätergruppen haben ab der ersten Minute überlegt, wie sie mit Covid-19 Kasse machen können“, betonte Stock. Ihn verwundert es überhaupt nicht, dass es etwa Hacker-Attacken auf die Europäische Arzneimittelbehörde EMA gegeben hat. Bei diesem Cyberangriff waren Unterlagen des Impfstoffherstellers Biontech erbeutet worden. Was genau damit weiter passiert ist, wollte Stock allerdings unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht kommentieren.
Das Bundesinnenministerium sieht Unternehmen wie Biontech ebenfalls im Fokus von Kriminellen: „Durch die herausgehobene Bedeutung der Impfstoffforschung stellen Forschungseinrichtungen und -untion ternehmen generell denkbare Ziele für staatlich gesteuerte Spionage, politisch motivierte Kriminalität oder Kriminelle dar“, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage mit. Das deutsche Spitzenunternehmen selbst nahm dazu keine Stellung.
Natürlich aus Gründen der Sicherheit sind auch nach dem Impfstart so gut wie keine Informationen darüber bekannt, wie das Vakzin vom Produktionsstandort des Biontech-Partners Pfizer im belgischen Puurs zum deutschen Impfling gelangt. Das Bundesinnenministerium vermeldete nur, dass auch Kräfte der Bundespolizei im Einsatz sind, ansonsten sei der Schutz in erster Linie Sache der Landespolizeien. Die Bundeswehr war dem Vernehmen nach nicht direkt mit dem
Meist reicht der Impfstoff nur für wenige Menschen In drei Wochen folgt die zweite Impfung
Transportschutz bedacht, wohl aber mit der Beschaffung von Materialien wie etwa Einmalhandschuhen, Schutzkleidung oder Masken für die Mitarbeiter in den Impfzentren.
Im Haus an der Paar in Aichach hat das Impfteam die wertvolle Flüssigkeit mittlerweile in Spritzen gefüllt. Heimleiterin Lolita Höpflinger geht mit gutem Beispiel voran und setzt sich als Erste auf den roten Lederstuhl. Wenig später ist die erste Bewohnerin an der Reihe, Erika Kosuchowski. Eine Mitarbeiterin hilft der blinden Frau aus dem Pulli, der linke Oberarm muss frei sein. Desinfizieren, Spritze ansetzen... „War das alles?!“, ruft die 89-Jährige überrascht. Gefühlt eine Sekunde nur hat die Medizinerin gebraucht. Mit der notwendigen Zweitimpfung in drei Wochen wird Erika Kosuchowski resistent gegen Corona sein. Sie muss jetzt noch ein bisschen sitzen bleiben, damit die Ärzte Nebenwirkungen ausschließen können. „Als ich von der Möglichkeit hörte, war mir gleich klar, dass ich mich impfen lasse“, erzählt die Frau, die lange in Augsburg lebte. „Ich habe mir schon lange gedacht: Es muss doch irgendwas geben, das gegen dieses Virus hilft.“Jetzt ist das Gegenmittel da.