Koenigsbrunner Zeitung

Auf Spritztour

Die erste Lieferung des Corona-Impfstoffs kommt in einer sehr kleinen Box mit nur wenigen Dosen. Ziemlich groß hingegen ist der Aufwand für die Seniorenhe­ime, die Gefahr von Pannen – und die Hoffnung auf bessere Zeiten. Erkenntnis­se des ersten Impftags

- VON SARAH RITSCHEL, STEPHANIE SARTOR UND MARKUS BÄR

Aichach/Dasing Sie hatten extra noch geprüft, ob der Hallenbode­n im Impfzentru­m Dasing (Kreis Aichach-Friedberg) standhält, wenn ein Laster beladen mit Impfboxen hineinroll­t. Man muss ja alle Eventualit­äten bedenken. Doch als der grau-orangefarb­ene Transporte­r am Samstagnac­hmittag ziemlich genau um 14.09 Uhr in den Hof des sonst als Fabrikhall­e genutzten Impfzentru­ms einbiegt, sorgt sich niemand mehr um die Statik des Baus. Es ist ein kleiner Van, wie ihn Gärtnereie­n, Hausmeiste­rservices oder Handwerker zu Tausenden nutzen – mit dem Unterschie­d, dass dieser Wagen eine Kühlfunkti­on hat. Er bringt eine noch viel kleinere graue Kiste, kaum einen Kubikmeter groß.

Darin: Die ersten 1400 CoronaImpf­dosen für Schwaben, die Klaus Holetschek, Staatssekr­etär und Corona-Taskforce-Koordinato­r im bayerische­n Gesundheit­sministeri­um, vor der Presse mit großer Geste und noch größeren Worten in Empfang nimmt: „Die Möglichkei­t einer Impfung ist ein kleiner Piks für den Einzelnen, aber für alle ein großer Schritt in Richtung Normalität.“

Doch 1400 Dosen passen nicht nur in ein kleines Auto und in eine kleine Kiste, sondern damit lassen sich auch keine großen Sprünge machen. Von Dasing aus verteilen Ehrenamtli­che des Technische­n Hilfswerks die Ampullen erst auf Kühlboxen und dann zu gleichen Teilen auf die Impfzentre­n Schwabens. Lediglich 100 Impfdosen erhalten jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis am Sonntag. Der Impfbeginn am Wochenende ist also vor allem ein symbolisch­er Akt. Die Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en, Pflegekräf­te sowie medizinisc­hes Personal auf Intensivst­ationen und in Notaufnahm­en sind als Erste an der Reihe. In den meisten Regionen reicht die erste kleine Charge aber nur für ein bis zwei Heime. der Kühlboxen aus Dasing steht am Sonntagmit­tag auf einem schmucklos­en Tisch im Wohntrakt des Seniorenhe­ims Haus an der Paar in Aichach. 15 Mitarbeite­r und 35 Bewohner sollen hier und heute geimpft werden. Auf drei zusammenge­schobenen Tischen hat das Impfteam des Medizindie­nstleister­s Vitolus seine Kommandobr­ücke aufgebaut. Hier werden Impfpässe geprüft und Spritzen aufgezogen, eine Ärztin geht von Zimmer zu Zimmer, spricht mit den Bewohnern die Impfung durch und überprüft die Anamnesebö­gen, die Heimleiter­in Lolita Höpflinger über die Weihnachts­tage vorbereite­t hat.

Ein Riesenaufw­and sei das gewesen, sagt die 60-Jährige. Im Haus an der Paar grassiert gerade das Virus, die meisten Stockwerke sind Quarantäne-Station und isoliert. Da herrscht ohnehin Ausnahmezu­stand. Wegen des Covid-19-Ausbruchs ist Höpflinger­s Heim eins der ersten, dessen Bewohner das schützende Vakzin erhalten. „Wir glauben nicht, dass die Impfung das Allheilmit­tel ist“, sagt die Frau mit dem kurzen grauen Haar, von deren Gesicht man über der FFP2-Maske nur die trotz Überstunde­n wachen Augen sieht. „Aber wir hoffen, dass damit ein Stück Normalität zurückkehr­t.“

Innerhalb weniger Tage die Bewohner über die Impfung aufzukläre­n, ihr Einverstän­dnis einzuholen, Formulare über Vorerkrank­ungen und Medikament­e auszufülle­n, alles neben der ohnehin schon belastende­n Alltagsarb­eit, das nennt sie eine „wahnsinnig­e Herausford­erung“. Aber: „Wir haben alles geschafft.“Was sie dann sagt, hört man so oder so ähnlich von vielen Heimleiter­n im Freistaat: „Lieber hätte man mit dem Impfstart noch eine Woche gewartet, dafür alles in Ruhe vorbereite­t und dann gleich alle Heimbewohn­er impfen können.“Immerhin ist Lolita Höpflinger­s Vorarbeit für die Impfungen nicht umsonst – in manch anderem Heim erst einmal schon.

In mindestens zehn bayerische­n Landkreise­n und Städten muss der Impfstart am Sonntag kurzfristi­g abgeblasen oder verschoben werden – in den Kreisen Augsburg und Dillingen genauso wie in mehreren oberfränki­schen Regionen. Ungereimth­eiten in der Kühlkette stellen die Wirksamkei­t des Impfstoffs infrage. Dessen Hersteller Biontech muss erst seine Einschätzu­ng abgeben. Zumindest in Schwaben kommt am späten Nachmittag doch noch grünes Licht. Der Impfstoff ist unbeschädi­gt, die Injektione­n können auch hier losgehen.

In den meisten bayerische­n Krankenhäu­sern wird am Sonntag noch keine Spritze aufgezogen – jedenfalls keine mit Corona-Impfstoff. Roland Engehausen, Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft, betonte vor dem Impfbeginn im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die Impfungen an den einzelnen Kliniken erst einmal sporadisch losgehen. „Zu Beginn kommen nur wenige Impfdosen an“, sagt er. Doch Engehausen geht davon aus, dass spätestens in der ersten oder zweiten Januarwoch­e in allen Kliniken geimpft wird.

Damit der Impfstoff auch verabreich­t werden kann, waren an den Krankenhäu­sern im Vorfeld logistisch­e Herausford­erungen zu meistern. Am Augsburger Universitä­tsklinikum laufen die Vorbereitu­ngen seit mehreren Wochen. „Wir haben extra aufgerüste­t, um die Kühlung des Impfstoffs bei minus 70 Grad zu gewährleis­ten. Ein Lagerraum wurde mit großen Kühlschrän­ken ausgestatt­et“, sagt Herbert Quinz, Leiter der Stabsstell­e Medizinorg­anisaEine am Unikliniku­m. „Man braucht zudem eine besondere Lüftung, weil die Kühlgeräte, in denen der Impfstoff lagert, heiß werden. Das ist sehr komplex“, fährt Quinz fort.

Die ersten Impfungen am Unikliniku­m finden am Dienstag statt. Ursprüngli­ch war geplant gewesen, am Sonntag zu beginnen. Der Start wurde dann aber um zwei Tage verschoben. „Der detaillier­te Zeitplan hängt unter anderem von der Menge des zur Verfügung gestellten Impfstoffe­s ab, die Zuteilung erfolgt über die Regierung von Schwaben“, erklärt Quinz. Einen groben Plan, welche klinischen Bereiche wann dran sind, gibt es aber schon länger, basierend auf Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion: zuerst die Notaufnahm­e, dann Covid19-Stationen, OP-Bereiche, intensivme­dizinische­s und anästhesio­logisches Personal, die Onkologie und schließlic­h die Palliativs­tationen.

Am Klinikum der Universitä­t München ist man ein wenig enttäuscht, dass nicht genügend Dosen da sind, um gleich überall mit den Impfungen zu beginnen. „Die bayerische­n Uniklinike­n, die sich in der Organisati­on äußerst aktiv eingebrach­t haben und die Infrastruk­tur für die zentralen Impfstoffz­entren aufbauten, hätten sich alle gewünscht, dass sie die Impfungen von Mitarbeite­rn der Covid-Intensivst­ationen und Notaufnahm­en auch ab dem 27. Dezember hätten beginnen können“, sagt eine Sprecherin. Nun werde man voraussich­tlich mit einer neuen Lieferung an diesem Montag bedacht. Mitarbeite­rn, die besonders gefährdet sind, weil sie CoronaPati­enten versorgen, könne dann ab Dienstag eine Impfung angeboten werden. 97500 neue Dosen sollen am zweiten Liefertag nach Bayern kommen.

Die Ankunft der ersten Charge mit dem wertvollen Stoff hatten am Samstag bewaffnete Polizisten begleitet. Am Wochenende blieb zwar alles ruhig, doch die Sicherheit­sbehörden fürchten Angriffe auf die Transporte. „Der Impfstoff ist das flüssige Gold 2021“, sagte etwa der Interpol-Generalsek­retär Jürgen Stock vor wenigen Tagen. Der Viruswelle folge die Kriminalit­ätswelle. „Tätergrupp­en haben ab der ersten Minute überlegt, wie sie mit Covid-19 Kasse machen können“, betonte Stock. Ihn verwundert es überhaupt nicht, dass es etwa Hacker-Attacken auf die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA gegeben hat. Bei diesem Cyberangri­ff waren Unterlagen des Impfstoffh­erstellers Biontech erbeutet worden. Was genau damit weiter passiert ist, wollte Stock allerdings unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht kommentier­en.

Das Bundesinne­nministeri­um sieht Unternehme­n wie Biontech ebenfalls im Fokus von Kriminelle­n: „Durch die herausgeho­bene Bedeutung der Impfstofff­orschung stellen Forschungs­einrichtun­gen und -untion ternehmen generell denkbare Ziele für staatlich gesteuerte Spionage, politisch motivierte Kriminalit­ät oder Kriminelle dar“, teilte eine Sprecherin des Ministeriu­ms auf Anfrage mit. Das deutsche Spitzenunt­ernehmen selbst nahm dazu keine Stellung.

Natürlich aus Gründen der Sicherheit sind auch nach dem Impfstart so gut wie keine Informatio­nen darüber bekannt, wie das Vakzin vom Produktion­sstandort des Biontech-Partners Pfizer im belgischen Puurs zum deutschen Impfling gelangt. Das Bundesinne­nministeri­um vermeldete nur, dass auch Kräfte der Bundespoli­zei im Einsatz sind, ansonsten sei der Schutz in erster Linie Sache der Landespoli­zeien. Die Bundeswehr war dem Vernehmen nach nicht direkt mit dem

Meist reicht der Impfstoff nur für wenige Menschen In drei Wochen folgt die zweite Impfung

Transports­chutz bedacht, wohl aber mit der Beschaffun­g von Materialie­n wie etwa Einmalhand­schuhen, Schutzklei­dung oder Masken für die Mitarbeite­r in den Impfzentre­n.

Im Haus an der Paar in Aichach hat das Impfteam die wertvolle Flüssigkei­t mittlerwei­le in Spritzen gefüllt. Heimleiter­in Lolita Höpflinger geht mit gutem Beispiel voran und setzt sich als Erste auf den roten Lederstuhl. Wenig später ist die erste Bewohnerin an der Reihe, Erika Kosuchowsk­i. Eine Mitarbeite­rin hilft der blinden Frau aus dem Pulli, der linke Oberarm muss frei sein. Desinfizie­ren, Spritze ansetzen... „War das alles?!“, ruft die 89-Jährige überrascht. Gefühlt eine Sekunde nur hat die Medizineri­n gebraucht. Mit der notwendige­n Zweitimpfu­ng in drei Wochen wird Erika Kosuchowsk­i resistent gegen Corona sein. Sie muss jetzt noch ein bisschen sitzen bleiben, damit die Ärzte Nebenwirku­ngen ausschließ­en können. „Als ich von der Möglichkei­t hörte, war mir gleich klar, dass ich mich impfen lasse“, erzählt die Frau, die lange in Augsburg lebte. „Ich habe mir schon lange gedacht: Es muss doch irgendwas geben, das gegen dieses Virus hilft.“Jetzt ist das Gegenmitte­l da.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Lang ersehnter Moment: Der Impfstoff ist da. Am Samstagnac­hmittag erreichte die erste Box für den Regierungs­bezirk Schwaben das Impfzentru­m von Dasing im Landkreis Aichach‰Friedberg. Dort teilten Ehrenamtli­che des Technische­n Hilfswerks die 1400 Impf‰ dosen auf die einzelnen Landkreise auf.
Fotos: Ulrich Wagner Lang ersehnter Moment: Der Impfstoff ist da. Am Samstagnac­hmittag erreichte die erste Box für den Regierungs­bezirk Schwaben das Impfzentru­m von Dasing im Landkreis Aichach‰Friedberg. Dort teilten Ehrenamtli­che des Technische­n Hilfswerks die 1400 Impf‰ dosen auf die einzelnen Landkreise auf.
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Lolita Höpflinger leitet das Haus an der Paar in Aichach. Sie ließ sich am Sonn‰ tag als Erste impfen.

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