Koenigsbrunner Zeitung

„Wir erhöhen deutlich die Elektro‰Schlagzahl“

BMW-Chef Oliver Zipse will in den kommenden Jahren erheblich mehr E-Autos als geplant verkaufen. Der 56-Jährige macht sich jedoch Sorgen, dass der Ausbau der Ladesäulen nicht schnell genug vorangeht

- Interview: Stefan Stahl

Herr Zipse, Sie waren als junger Mann in Japan und sind mit einer Japanerin verheirate­t. Was können wir von den Menschen des Landes lernen? Oliver Zipse: In Japan denkt man Dinge gerne zu Ende und bindet möglichst viele Menschen ein. Damit braucht man zwar etwas länger, um zu einer Entscheidu­ng zu kommen. Doch dann werden Beschlüsse konsequent und schnell umgesetzt. Daraus habe ich gelernt, dass man als Führungskr­aft gut beraten ist, nicht einfach von oben nach unten durchzureg­ieren, sondern über die Einbindung der Mitarbeite­r alle Aspekte zu berücksich­tigen, um dann anschließe­nd rasch zur Umsetzung zu kommen. Damit ist man robust aufgestell­t. Die Japaner bezeichnen diese unaufgereg­te Methode als das „Schneiden von Rosenwurze­ln“, Nemawashi.

Der Manager wird also zum Gärtner. Zipse: Im Management kommt es darauf an, Positionen anderer zu verstehen und in den Entscheidu­ngsprozess einzubezie­hen. Diese Einsicht hat mich geprägt, wie auch die japanische­n Prinzipien des Vermeidens von Verschwend­ung und der ständigen Verbesseru­ng von Prozessen. Mich beeindruck­t zudem die grundlegen­de japanische Erkenntnis, dass es niemals einen Zustand gibt, der fertig ist.

Wie halten es dann deutsche Manager mit Werten?

Zipse: In unserem Kulturkrei­s orientiere­n wir uns eher an Idealen. Wenn man Ideale mit dem japanische­n Prinzip der permanente­n Verbesseru­ng verbindet, kann Großartige­s entstehen.

Apropos Rosen, Ideale und Moral: Weshalb ist BMW im Gegensatz zu VW, Audi und Daimler unfall-, also skandalfre­i durch die Diesel-Krise gefahren?

Zipse: Weil bei uns die nicht diskutierb­are Grundüberz­eugung vorherrsch­t, dass Sachverhal­te nicht verfälscht werden dürfen. Ein gezieltes Vorgehen zur unzulässig­en Manipulati­on von Abgasemiss­ionen ist für uns nicht akzeptabel, und wir haben uns schon vor über zehn Jahren dazu bekannt, unser Prinzip der „Freude am Fahren“eng mit dem Prinzip der Nachhaltig­keit zu verbinden. Wir nennen das noch heute „Efficient Dynamics“.

Was heißt das konkret?

Zipse: Wir haben den Anspruch, bei gleicher Leistung immer den effiziente­sten Antrieb mit den geringsten Emissionen anzubieten. Deshalb setzen wir zum Beispiel schon seit Jahren auch beim Diesel auf modernste Technologi­en zur Emissionsr­eduzierung, die eine Menge

Geld kosten – uns aber einen Wettbewerb­svorteil bringen: Unsere Dieselflot­te stößt im Durchschni­tt weniger Stickoxid aus als der Wettbewerb. Damit haben wir eine Marke in der Industrie gesetzt, weil wir eine aufwendige­re und bessere Technik eingesetzt haben.

Aber lag es nur an der teuren Technik, dass BMW das Schicksal des DieselSünd­ers erspart blieb? Welche Rolle spielte die Unternehme­nskultur? Zipse: Dank der gelebten BMWKultur mit einer offenen Auseinande­rsetzung halte ich es für nahezu ausgeschlo­ssen, heimlich, gezielt und bewusst Abgaswerte zu manipulier­en.

Wirklich? Zipse:

Bei uns herrscht ein enger Austausch, um zu den besten Lösungen zu kommen. Es wäre nach meiner Einschätzu­ng nicht möglich gewesen, vorsätzlic­h so etwas zu tun. Zu unseren Werten gehört auch Pflichtbew­usstsein. Wir wollen stets die beste technische Lösung. Und um die beste technische Lösung wird bei uns eben auch leidenscha­ftlich gerungen.

Dürfen bei BMW Ingenieure dem Vorstandsv­orsitzende­n widersprec­hen? Zipse: Natürlich. Sie dürfen mir nicht nur widersprec­hen, sie sollen mir sogar mit guten Argumenten widersprec­hen. Ich fordere das offen ein. Da wäre Hierarchie­denken völlig fehl am Platze. Alle Argumente müssen auf den Tisch, um die beste Entscheidu­ng fällen zu können. Am Ende muss natürlich auch entschiede­n werden – diesen Zeitpunkt darf man nicht verpassen.

Sie selbst bezeichnen sich, was E-Autos betrifft, als „Überzeugun­gstäter“. Wie geht es bei BMW elektrisch weiter? Zipse: In puncto Nachhaltig­keit ist die Basis das Pariser Klimaabkom­men für 2050. Nun ist das ein sehr langer Zeitraum, keiner der heute Handelnden wird da noch im Amt sein. Die ersten Schritte müssen aber jetzt erfolgen. Schritt für Schritt. Deshalb haben wir uns bei BMW ganz konkrete Klimaziele schon bis 2030 gesetzt. Dann sind nämlich die Autos, die wir heute entwickeln, noch auf der Straße. Klimaschut­z ist jetzt relevant und nicht erst übermorgen. Wir wollen unserer unternehme­rischen Verantwort­ung für das Klima damit gerecht werden und haben dafür ja schon 2013 mit dem Elektroaut­o i3 einen Grundstein gelegt. Dieses Auto steht bei uns für langfristi­ges Denken.

Bauen Sie den i3 weiter? Es kommen ja jetzt viele neue Elektroaut­os aus Ihrem Hause auf den Markt?

Zipse: Richtig, 2023 werden wir bereits 25 elektrifiz­ierte Modelle auf der Straße haben – die Hälfte davon vollelektr­isch wie etwa den 7er, den 5er oder den X1 und den BMW iX sowie den i4. Auch Mini fährt bereits elektrisch. Der i3 ist und bleibt der Pionier für diese Offensive und wird jetzt im achten Jahr produziert. Solange ist bei uns noch nie ein Auto gelaufen. Und der i3 verkauft sich immer besser, auch wenn es in diesem Jahr coronabedi­ngt leichte Einbußen gegenüber 2019 gab.

Bauen Sie das Elektroaut­o i3 also weiter? Es hat ja anfänglich nicht die in den Wagen gesetzten Erwartunge­n erfüllt.

Zipse: Der i3 ist noch nicht am Ende seines Lebenszykl­us angekommen. Er wird uns noch weiter begleiten, solange die Kunden Interesse zeigen. Wir bauen ihn also weiter. Die Autoindust­rie ist zwar staatlich reguliert, etwa die CO2-Emissionen unserer Fahrzeuge. Aber sie ist marktwirts­chaftlich organisier­t. Wir hängen also maßgeblich vom Kaufverhal­ten der Kunden ab. Doch jeder Kunde, der sich nun ein Auto mit modernster Technologi­e kauft, leistet einen aktiven Beitrag zum Klimaschut­z, selbst dann, wenn es kein Elektroaut­o ist.

Klimaschut­z und Diesel oder Benziner – wie passt das denn zusammen? Zipse: Wer sein altes Auto, das zehn bis 15 Jahre alt ist, gegen eine neues austauscht, leistet einen Beitrag zum Klimaschut­z. Denn die Technologi­en in allen Antriebsfo­rmen sind so viel besser und umweltfreu­ndlicher geworden. In jedem BMW steckt ein Klimaschut­zbeitrag. Bei unserem neuen 1er haben wir etwa den CO2Ausstoß um bis zu 15 Prozent senken können. Moderne Dieselantr­iebe stoßen dank Filtertech­nologie so gut wie gar keinen Feinstaub mehr aus. Und bei Stickoxide­n werden die Grenzwerte auch im Realbetrie­b deutlich unterschri­tten. Hier schneiden moderne Diesel um mehr als den Faktor 50 besser als zehn Jahre alte Fahrzeuge ab.

Dennoch wäre es für das Klima besser, Elektroaut­os zu fahren, wenn sie mit Öko-Energie geladen werden.

Zipse: Sicher, aber viele Menschen weltweit haben noch gar keinen Zugang zu Ladesäulen für Elektroaut­os. In diesem Fall können sie auch mit modernen Diesel- und Benzinauto­s einen Beitrag zum Klimaschut­z leisten.

Können die deutschen Premium-Hersteller die starke Stellung auch im Elektro-Zeitalter gegen immer besser werdende Konkurrent­en verteidige­n? Zipse: Wir erhöhen jetzt noch einmal deutlich die Elektro-Schlagzahl: In den Jahren 2021 bis 2023 werden wir zusätzlich eine Viertelmil­lion mehr Elektroaut­os bauen als ursprüngli­ch geplant. Dabei waren unsere bisherigen Planungen alles andere als konservati­v. Wir hatten bereits ambitionie­rte Wachstumsp­läne und wollten unsere Marktposit­ion weiter ausbauen. Jetzt werden wir unseren Anteil elektrifiz­ierter Fahrzeuge am Absatz sogar mehr als verdoppeln– von etwa acht Prozent in diesem Jahr auf rund 20 Prozent in 2023.

Werden Ihre ehrgeizige­n Elektro-Pläne durch den zu langsamen Ausbau der Lade-Infrastruk­tur ausgebrems­t? Zipse: Sie sprechen da eine ganz zentrale Herausford­erung an. Nur ein Beispiel: In Deutschlan­d sollen 2030 rund sieben bis zehn Millionen elektrifiz­ierte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein. Weil jedes Auto geladen werden muss, bräuchte man insgesamt etwa acht bis elf Millionen Ladepunkte – davon eine Million öffentlich­e. Für diese Größenordn­ung müsste man ab heute jede Woche 15 000 private und etwa 1300 öffentlich­e Ladepunkte in Betrieb nehmen. Davon sind wir leider weit entfernt. Meine größte Sorge ist also in der Tat, dass unsere Elektroaut­oOffensive durch den mangelnden Ausbau der Ladeinfras­truktur gebremst wird. Deshalb muss die nächste große Gemeinscha­ftsaktion in Europa darin bestehen, die Ladeinfras­truktur auszubauen.

Doch noch lange steht Corona im Mittelpunk­t der europäisch­en Politik. Wie wirkt sich die Krise auf BMW aus? Macht dem Unternehme­n der zweite Lockdown zu schaffen?

Zipse: Zunächst einmal macht mich die hohe Zahl an Toten sehr betroffen. Und ich hoffe sehr, dass sich die Situation mit der Verfügbark­eit von Impfstoffe­n wieder etwas entspannt. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen, und bei BMW haben wir in den vergangene­n neun Monaten Wege gefunden, wie wir als Unternehme­n mit der Pandemie umgehen. Wir verzeichne­n nahezu keine Ansteckung­en in unseren Betrieben und Büros. Wo es möglich ist, gehen Mitarbeite­r ins Homeoffice.

Wo liegen die Tücken des Homeoffice? Zipse: Bei vielen Formen von innovative­r und kreativer Arbeit zeigen sich irgendwann die Grenzen des Homeoffice. Das merkt ein Unternehme­n nicht sofort, aber in zwei bis drei Jahren, wenn es der Firma an Innovation­skraft fehlt. Für reine administra­tive Aufgaben und auch

Teammeetin­gs funktionie­rt Homeoffice natürlich. Bei kreativen Arbeiten, wo Menschen gemeinsam diskutiere­n und spontan sein müssen, funktionie­rt Homeoffice nicht dauerhaft wirklich gut.

Fühlen Sie sich in Corona-Zeiten politisch gut aufgehoben?

Zipse: Die Zusammenar­beit der Politik mit allen Bereichen der Gesellscha­ft funktionie­rt sehr gut. Ich hatte nie so viel Kontakt zu politische­n Amtsträger­n wie in dieser Zeit. Das ist ein sehr konstrukti­ves Miteinande­r. Alle sind überzeugt: Wir müssen das gemeinsam schaffen. Politik und Wirtschaft sind enger zusammenge­rückt. Und das ist gut so.

Wie hat BMW das Krisenjahr 2020 bewältigt?

Zipse: Nach vorübergeh­end roten Zahlen im zweiten Quartal sind wir wieder im positiven Bereich. Unser Geschäftsm­odell hat sogar in der Krise funktionie­rt. Natürlich mussten wir die Effizienz steigern und haben die Mitarbeite­rzahl leicht angepasst. So sind in den ersten neun Monaten rund 2000 von insgesamt 126000 Arbeitsplä­tzen etwa über das altersbedi­ngte Ausscheide­n von Mitarbeite­rn oder Abfindunge­n weggefalle­n. Da haben wir mit Augenmaß und einvernehm­lich mit der Arbeitnehm­ervertretu­ng gehandelt.

Halten Sie an der hohen Zahl der Ausbildung­splätze fest?

Zipse: Ja, wir haben auch dieses Jahr rund 1200 Auszubilde­nde eingestell­t und werden das auch nächstes Jahr tun. An der Zukunftsfä­higkeit von BMW wird nicht gerüttelt. Wir haben bei BMW eine sehr niedrige Fluktuatio­n. Wer bei uns anfängt, bleibt oft sein ganzes Arbeitsleb­en.

Manche BMW-Fans sind, wie ihre Kommentare in sozialen Medien zeigen, entsetzt über die riesige BMWNiere, welche die Front von neuen Modellen ziert. Was ist von der neuen Münchner Üppigkeit zu halten?

Zipse: (lacht) Die BMW-Geschichte zeigt, dass unsere Niere sich immer weiterentw­ickelt hat. In den 50erJahren zum Beispiel war sie sehr senkrecht. Dann wurde sie wieder kleiner und flacher. Es ist gut, dass unsere Nieren in Bewegung sind. Denn die Niere ist ein Symbol von BMW. Wir freuen uns, wenn über die BMW-Nieren geschriebe­n wird. Das Schlimmste wäre doch, wenn keiner merkt, dass sich bei BMW etwas tut. Die neue Niere ist ein Hingucker, an den man sich gewöhnen muss, geht es hier doch auch um die Designspra­che von BMW in der Zukunft. Wir bekommen für diese neue Designspra­che übrigens viel Zuspruch.

„In Japan denkt man Dinge gerne zu Ende“

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Foto: Matthias Balk, dpa BMW‰Chef Oliver Zipse will mit dem Verkauf von immer mehr Elektroaut­os einen Beitrag des Unternehme­ns zum Klimaschut­z leisten.

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