„Wir erhöhen deutlich die ElektroSchlagzahl“
BMW-Chef Oliver Zipse will in den kommenden Jahren erheblich mehr E-Autos als geplant verkaufen. Der 56-Jährige macht sich jedoch Sorgen, dass der Ausbau der Ladesäulen nicht schnell genug vorangeht
Herr Zipse, Sie waren als junger Mann in Japan und sind mit einer Japanerin verheiratet. Was können wir von den Menschen des Landes lernen? Oliver Zipse: In Japan denkt man Dinge gerne zu Ende und bindet möglichst viele Menschen ein. Damit braucht man zwar etwas länger, um zu einer Entscheidung zu kommen. Doch dann werden Beschlüsse konsequent und schnell umgesetzt. Daraus habe ich gelernt, dass man als Führungskraft gut beraten ist, nicht einfach von oben nach unten durchzuregieren, sondern über die Einbindung der Mitarbeiter alle Aspekte zu berücksichtigen, um dann anschließend rasch zur Umsetzung zu kommen. Damit ist man robust aufgestellt. Die Japaner bezeichnen diese unaufgeregte Methode als das „Schneiden von Rosenwurzeln“, Nemawashi.
Der Manager wird also zum Gärtner. Zipse: Im Management kommt es darauf an, Positionen anderer zu verstehen und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Diese Einsicht hat mich geprägt, wie auch die japanischen Prinzipien des Vermeidens von Verschwendung und der ständigen Verbesserung von Prozessen. Mich beeindruckt zudem die grundlegende japanische Erkenntnis, dass es niemals einen Zustand gibt, der fertig ist.
Wie halten es dann deutsche Manager mit Werten?
Zipse: In unserem Kulturkreis orientieren wir uns eher an Idealen. Wenn man Ideale mit dem japanischen Prinzip der permanenten Verbesserung verbindet, kann Großartiges entstehen.
Apropos Rosen, Ideale und Moral: Weshalb ist BMW im Gegensatz zu VW, Audi und Daimler unfall-, also skandalfrei durch die Diesel-Krise gefahren?
Zipse: Weil bei uns die nicht diskutierbare Grundüberzeugung vorherrscht, dass Sachverhalte nicht verfälscht werden dürfen. Ein gezieltes Vorgehen zur unzulässigen Manipulation von Abgasemissionen ist für uns nicht akzeptabel, und wir haben uns schon vor über zehn Jahren dazu bekannt, unser Prinzip der „Freude am Fahren“eng mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu verbinden. Wir nennen das noch heute „Efficient Dynamics“.
Was heißt das konkret?
Zipse: Wir haben den Anspruch, bei gleicher Leistung immer den effizientesten Antrieb mit den geringsten Emissionen anzubieten. Deshalb setzen wir zum Beispiel schon seit Jahren auch beim Diesel auf modernste Technologien zur Emissionsreduzierung, die eine Menge
Geld kosten – uns aber einen Wettbewerbsvorteil bringen: Unsere Dieselflotte stößt im Durchschnitt weniger Stickoxid aus als der Wettbewerb. Damit haben wir eine Marke in der Industrie gesetzt, weil wir eine aufwendigere und bessere Technik eingesetzt haben.
Aber lag es nur an der teuren Technik, dass BMW das Schicksal des DieselSünders erspart blieb? Welche Rolle spielte die Unternehmenskultur? Zipse: Dank der gelebten BMWKultur mit einer offenen Auseinandersetzung halte ich es für nahezu ausgeschlossen, heimlich, gezielt und bewusst Abgaswerte zu manipulieren.
Wirklich? Zipse:
Bei uns herrscht ein enger Austausch, um zu den besten Lösungen zu kommen. Es wäre nach meiner Einschätzung nicht möglich gewesen, vorsätzlich so etwas zu tun. Zu unseren Werten gehört auch Pflichtbewusstsein. Wir wollen stets die beste technische Lösung. Und um die beste technische Lösung wird bei uns eben auch leidenschaftlich gerungen.
Dürfen bei BMW Ingenieure dem Vorstandsvorsitzenden widersprechen? Zipse: Natürlich. Sie dürfen mir nicht nur widersprechen, sie sollen mir sogar mit guten Argumenten widersprechen. Ich fordere das offen ein. Da wäre Hierarchiedenken völlig fehl am Platze. Alle Argumente müssen auf den Tisch, um die beste Entscheidung fällen zu können. Am Ende muss natürlich auch entschieden werden – diesen Zeitpunkt darf man nicht verpassen.
Sie selbst bezeichnen sich, was E-Autos betrifft, als „Überzeugungstäter“. Wie geht es bei BMW elektrisch weiter? Zipse: In puncto Nachhaltigkeit ist die Basis das Pariser Klimaabkommen für 2050. Nun ist das ein sehr langer Zeitraum, keiner der heute Handelnden wird da noch im Amt sein. Die ersten Schritte müssen aber jetzt erfolgen. Schritt für Schritt. Deshalb haben wir uns bei BMW ganz konkrete Klimaziele schon bis 2030 gesetzt. Dann sind nämlich die Autos, die wir heute entwickeln, noch auf der Straße. Klimaschutz ist jetzt relevant und nicht erst übermorgen. Wir wollen unserer unternehmerischen Verantwortung für das Klima damit gerecht werden und haben dafür ja schon 2013 mit dem Elektroauto i3 einen Grundstein gelegt. Dieses Auto steht bei uns für langfristiges Denken.
Bauen Sie den i3 weiter? Es kommen ja jetzt viele neue Elektroautos aus Ihrem Hause auf den Markt?
Zipse: Richtig, 2023 werden wir bereits 25 elektrifizierte Modelle auf der Straße haben – die Hälfte davon vollelektrisch wie etwa den 7er, den 5er oder den X1 und den BMW iX sowie den i4. Auch Mini fährt bereits elektrisch. Der i3 ist und bleibt der Pionier für diese Offensive und wird jetzt im achten Jahr produziert. Solange ist bei uns noch nie ein Auto gelaufen. Und der i3 verkauft sich immer besser, auch wenn es in diesem Jahr coronabedingt leichte Einbußen gegenüber 2019 gab.
Bauen Sie das Elektroauto i3 also weiter? Es hat ja anfänglich nicht die in den Wagen gesetzten Erwartungen erfüllt.
Zipse: Der i3 ist noch nicht am Ende seines Lebenszyklus angekommen. Er wird uns noch weiter begleiten, solange die Kunden Interesse zeigen. Wir bauen ihn also weiter. Die Autoindustrie ist zwar staatlich reguliert, etwa die CO2-Emissionen unserer Fahrzeuge. Aber sie ist marktwirtschaftlich organisiert. Wir hängen also maßgeblich vom Kaufverhalten der Kunden ab. Doch jeder Kunde, der sich nun ein Auto mit modernster Technologie kauft, leistet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz, selbst dann, wenn es kein Elektroauto ist.
Klimaschutz und Diesel oder Benziner – wie passt das denn zusammen? Zipse: Wer sein altes Auto, das zehn bis 15 Jahre alt ist, gegen eine neues austauscht, leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Denn die Technologien in allen Antriebsformen sind so viel besser und umweltfreundlicher geworden. In jedem BMW steckt ein Klimaschutzbeitrag. Bei unserem neuen 1er haben wir etwa den CO2Ausstoß um bis zu 15 Prozent senken können. Moderne Dieselantriebe stoßen dank Filtertechnologie so gut wie gar keinen Feinstaub mehr aus. Und bei Stickoxiden werden die Grenzwerte auch im Realbetrieb deutlich unterschritten. Hier schneiden moderne Diesel um mehr als den Faktor 50 besser als zehn Jahre alte Fahrzeuge ab.
Dennoch wäre es für das Klima besser, Elektroautos zu fahren, wenn sie mit Öko-Energie geladen werden.
Zipse: Sicher, aber viele Menschen weltweit haben noch gar keinen Zugang zu Ladesäulen für Elektroautos. In diesem Fall können sie auch mit modernen Diesel- und Benzinautos einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Können die deutschen Premium-Hersteller die starke Stellung auch im Elektro-Zeitalter gegen immer besser werdende Konkurrenten verteidigen? Zipse: Wir erhöhen jetzt noch einmal deutlich die Elektro-Schlagzahl: In den Jahren 2021 bis 2023 werden wir zusätzlich eine Viertelmillion mehr Elektroautos bauen als ursprünglich geplant. Dabei waren unsere bisherigen Planungen alles andere als konservativ. Wir hatten bereits ambitionierte Wachstumspläne und wollten unsere Marktposition weiter ausbauen. Jetzt werden wir unseren Anteil elektrifizierter Fahrzeuge am Absatz sogar mehr als verdoppeln– von etwa acht Prozent in diesem Jahr auf rund 20 Prozent in 2023.
Werden Ihre ehrgeizigen Elektro-Pläne durch den zu langsamen Ausbau der Lade-Infrastruktur ausgebremst? Zipse: Sie sprechen da eine ganz zentrale Herausforderung an. Nur ein Beispiel: In Deutschland sollen 2030 rund sieben bis zehn Millionen elektrifizierte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein. Weil jedes Auto geladen werden muss, bräuchte man insgesamt etwa acht bis elf Millionen Ladepunkte – davon eine Million öffentliche. Für diese Größenordnung müsste man ab heute jede Woche 15 000 private und etwa 1300 öffentliche Ladepunkte in Betrieb nehmen. Davon sind wir leider weit entfernt. Meine größte Sorge ist also in der Tat, dass unsere ElektroautoOffensive durch den mangelnden Ausbau der Ladeinfrastruktur gebremst wird. Deshalb muss die nächste große Gemeinschaftsaktion in Europa darin bestehen, die Ladeinfrastruktur auszubauen.
Doch noch lange steht Corona im Mittelpunkt der europäischen Politik. Wie wirkt sich die Krise auf BMW aus? Macht dem Unternehmen der zweite Lockdown zu schaffen?
Zipse: Zunächst einmal macht mich die hohe Zahl an Toten sehr betroffen. Und ich hoffe sehr, dass sich die Situation mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen wieder etwas entspannt. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen, und bei BMW haben wir in den vergangenen neun Monaten Wege gefunden, wie wir als Unternehmen mit der Pandemie umgehen. Wir verzeichnen nahezu keine Ansteckungen in unseren Betrieben und Büros. Wo es möglich ist, gehen Mitarbeiter ins Homeoffice.
Wo liegen die Tücken des Homeoffice? Zipse: Bei vielen Formen von innovativer und kreativer Arbeit zeigen sich irgendwann die Grenzen des Homeoffice. Das merkt ein Unternehmen nicht sofort, aber in zwei bis drei Jahren, wenn es der Firma an Innovationskraft fehlt. Für reine administrative Aufgaben und auch
Teammeetings funktioniert Homeoffice natürlich. Bei kreativen Arbeiten, wo Menschen gemeinsam diskutieren und spontan sein müssen, funktioniert Homeoffice nicht dauerhaft wirklich gut.
Fühlen Sie sich in Corona-Zeiten politisch gut aufgehoben?
Zipse: Die Zusammenarbeit der Politik mit allen Bereichen der Gesellschaft funktioniert sehr gut. Ich hatte nie so viel Kontakt zu politischen Amtsträgern wie in dieser Zeit. Das ist ein sehr konstruktives Miteinander. Alle sind überzeugt: Wir müssen das gemeinsam schaffen. Politik und Wirtschaft sind enger zusammengerückt. Und das ist gut so.
Wie hat BMW das Krisenjahr 2020 bewältigt?
Zipse: Nach vorübergehend roten Zahlen im zweiten Quartal sind wir wieder im positiven Bereich. Unser Geschäftsmodell hat sogar in der Krise funktioniert. Natürlich mussten wir die Effizienz steigern und haben die Mitarbeiterzahl leicht angepasst. So sind in den ersten neun Monaten rund 2000 von insgesamt 126000 Arbeitsplätzen etwa über das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitern oder Abfindungen weggefallen. Da haben wir mit Augenmaß und einvernehmlich mit der Arbeitnehmervertretung gehandelt.
Halten Sie an der hohen Zahl der Ausbildungsplätze fest?
Zipse: Ja, wir haben auch dieses Jahr rund 1200 Auszubildende eingestellt und werden das auch nächstes Jahr tun. An der Zukunftsfähigkeit von BMW wird nicht gerüttelt. Wir haben bei BMW eine sehr niedrige Fluktuation. Wer bei uns anfängt, bleibt oft sein ganzes Arbeitsleben.
Manche BMW-Fans sind, wie ihre Kommentare in sozialen Medien zeigen, entsetzt über die riesige BMWNiere, welche die Front von neuen Modellen ziert. Was ist von der neuen Münchner Üppigkeit zu halten?
Zipse: (lacht) Die BMW-Geschichte zeigt, dass unsere Niere sich immer weiterentwickelt hat. In den 50erJahren zum Beispiel war sie sehr senkrecht. Dann wurde sie wieder kleiner und flacher. Es ist gut, dass unsere Nieren in Bewegung sind. Denn die Niere ist ein Symbol von BMW. Wir freuen uns, wenn über die BMW-Nieren geschrieben wird. Das Schlimmste wäre doch, wenn keiner merkt, dass sich bei BMW etwas tut. Die neue Niere ist ein Hingucker, an den man sich gewöhnen muss, geht es hier doch auch um die Designsprache von BMW in der Zukunft. Wir bekommen für diese neue Designsprache übrigens viel Zuspruch.
„In Japan denkt man Dinge gerne zu Ende“