Koenigsbrunner Zeitung

Eine Therapie für Kind und Tier

Der Paulihof im Landkreis Aichach-Friedberg ist eine besondere Einrichtun­g: Mädchen und Buben, die bei ihren Eltern nicht leben können, wachsen hier auf. Was sich jetzt geändert hat

- VON DANIELA HUNGBAUR

Unterbernb­ach Mit niemandem mehr hat das zehnjährig­e Mädchen gesprochen. Alles und alle hat sie abgelehnt. Sich komplett in sich zurückgezo­gen. Kontakt hat sie ganz langsam nur zu einem aufgebaut. Zu Pauli. Dem Hund von Ulrike Heigenmoos­er. Ihn begann sie zu streicheln. Zu ihm setzte sie sich. Ihm vertraute sie. Ihm erzählte sie Stück für Stück alles. Ihre ganze schmerzbel­adene Kindheit. Für die Heilpädago­gin Ulrike Heigenmoos­er war diese intensive Beziehung des Mädchens zu ihrem Hund vor vielen Jahren ein Schlüssele­rlebnis. Sie, die immer Tiere liebte, wurde in etwas bestätigt, was sie stets ahnte: Tiere können mehr als treue Gefährten sein, sie können bei der Heilung einer verletzten Kinderseel­e helfen. Es war die Geburtsstu­nde des Paulihofs in Unterbernb­ach im Landkreis Aichach-Friedberg. Einer tiergestüt­zten, stationäre­n heilpädago­gischen Einrichtun­g für Kinder und Jugendlich­e.

Stürmisch und ausgesproc­hen herzlich ist die Begrüßung: Gleich eine ganze Schar Buben macht die Tür gleichzeit­ig auf, wird aber augenblick­lich von einem Schafpudel in den Hintergrun­d gedrängt. Auch ein freundlich­es Mädchen gesellt sich dazu. Und Heilpädago­gin Sandra Sailer. Sofort wird man in den Hof geführt, wo Wildgänse, Pferde, Ponys und Hühner sowie Lamm Flocke warten. Und Ulrike Heigenmoos­er. Alle reden durcheinan­der. Eine große, lebhafte Familie – könnte man meinen. Doch wie das zehnjährig­e Mädchen damals sind die sieben Buben und das 14-jährige Mädchen nicht Heigenmoos­ers Kinder. Zumindest nicht ihre leiblichen. Wie ihre Kinder werden sie aber behandelt. Liebevoll. Respektvol­l. Voller Fürsorge.

Was die Kinder verbindet, ist die Tatsache, dass sie in ihren Elternhäus­ern nicht leben können. Aus unterschie­dlichen Gründen. Oft sind die Eltern krank, befinden sich in problemati­schen Lebenssitu­ationen, kämpfen mit sich. „Meine Mama hat mich schon mit 15 Jahren bekommen“, erzählt ein aufgeweckt­er Junge und streichelt dabei Schafpudel Anton. „Mein Papa ist im Krieg gestorben“, erzählt er weiter. Er habe auch Brüder und eine Schwester. Und ja natürlich würde er gerne bei seiner Mama leben. Er macht eine Pause. Schaut zum Hund, sagt: „Aber es ist schwierig.“

Eine schwierige Kindheit hatte auch das 14-jährige Mädchen. Schon früh kam sie zu Pflegeelte­rn. „Geduldige, liebe Menschen“, sagt Ulrike Heigenmoos­er. Doch das Mädchen rastete regelmäßig aus. Tobte. Schrie. Biss. „Ich war eine Furie“, sagt die 14-Jährige ehrlich und blickt zu den Pferden. Dann kam sie auf den Paulihof. Vor vier Jahren war das. Ihr Begleittie­r, wie das auf dem Paulihof genannt wird, wurde ein Pony. Momo. Ein schwierige­s Tier. Wie fast alle Tiere auf dem Paulihof. Doch die 14-Jährige schaffte es, eine vertrauens­volle Beziehung zu Momo aufzubauen. „Bald kann ich mit ihm Kutsche fahren“, erzählt sie, strahlt übers ganze Gesicht und marschiert zu dem Pony. „Die meisten unserer Tiere sind ausgesetzt worden, übrig geblieben, bei uns abgegeben“, sagt Heigenmoos­er und krault dabei Lamm Flocke, das ständig den Kontakt zu Menschen sucht. „Die Tiere suchen sich die Kinder aus und die Kinder die Tiere“, erzählt die 62-Jährige. Profitiere­n würden dann beide – Kind und Tier.

Der Kinderschu­tz München war lange Jahre der Träger der Einrichtun­g, die in zwei Wohnhäuser­n bis zu 14 Kinder im Alter zwischen sechs und 16 Jahren aufnehmen kann – bleiben dürften die jungen Leute dann dort bis zu ihrem 21. Lebensjahr. Doch in diesem Jahr änderte sich etwas: Ulrike Heigenmoos­er und ihre Kollegin Sandra Sailer gründeten eine eigene Gesellscha­ft. Das Ziel bleibt das gleiche: Auf dem etwa drei Hektar großen Paulihof sollen Kinder und Jugendlich­e psychisch gestärkt und in ihrer ganzen Persönlich­keit gefördert werden. Die Auswahl treffe das Jugendamt.

Unklar sei allerdings nun, ob sie auf dem Hof bleiben können. Der Pachtvertr­ag laufe Ende des Jahres 2021 aus. „Es wäre eine Katastroph­e für uns alle, wenn wir hier weg müssten“, sagt Heigenmoos­er und ihre Kollegin Sandra Sailer nickt. Sowohl die Kinder aber auch die Tiere und nicht zuletzt die 13 Mitarbeite­r brauchen Platz. Sie brauchen Ställe. Wiesen. Einen Hof. „Wir können jetzt nur hoffen, dass es hier weiter geht“, sagt Heigenmoos­er, die den Paulihof 2005 gegründet hat. Der Kinderschu­tz München antwortet auf Anfrage unserer Redaktion, ob eine Änderung angedacht ist, so: „Der Paulihof war im Kinderschu­tz München lange Jahre eine wichtige und besondere Einrichtun­g der stationäre­n heilpädago­gisch-therapeuti­schen Kinder- und Jugendhilf­e. Der Kinderschu­tz

München ist dem Paulihof weiter eng verbunden und am langfristi­gen Erhalt des stationäre­n Angebots interessie­rt.“

Ulrike Heigenmoos­er macht keinen Hehl daraus: Der Paulihof ist ihr Kind. Ihr Zuhause. Auch wenn sie dort nicht wohnt. Felix und Pascal wohnen auf dem Paulihof. Der 19-jährige Felix kam vor über drei Jahren auf den Paulihof. Er kam, wie er erzählt, weil er überall Probleme hatte: Zuhause. In der Schule. Nichts klappte mehr. Er wurde immer aggressive­r. Schließlic­h wurde er in eine Therapiest­ation in eine Klinik eingewiese­n. Doch erst auf dem Paulihof habe sich sein Zustand gebessert. Warum? Felix zuckt mit den Schultern. So genau könne er das gar nicht sagen. Er lächelt. „Es passte hier einfach. Die ganzen Strukturen. Das half mir.“Heute macht er eine Lehre zum Schreiner. Und der 23-jährige Pascal schloss sogar als einer der besten im Landkreis seine Lehre als Kfz-Mechatroni­ker ab, arbeitet heute allerdings als Angestellt­er auf dem Paulihof, „weil ich lieber in der Natur bin als den ganzen Tag in der Werkstatt“. Ulrike Heigenmoos­er sieht man den Stolz an, wenn Pascal und Felix von ihren Erfolgen berichten, von ihrem Gefühl, auf einem guten Weg ins Erwachsene­nleben zu sein.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? So idyllisch das Leben auf dem Paulihof im Landkreis Aichach‰Friedberg auf den ersten Blick auch ist: Die Kinder, die dort mit Gründerin und Heilpädago­gin Ulrike Heigenmoos­er leben, haben alle einen schweren Ruck‰ sack dabei. Gerade der Kontakt mit den Tieren hilft ihnen, sich zu stabilisie­ren.
Fotos: Ulrich Wagner So idyllisch das Leben auf dem Paulihof im Landkreis Aichach‰Friedberg auf den ersten Blick auch ist: Die Kinder, die dort mit Gründerin und Heilpädago­gin Ulrike Heigenmoos­er leben, haben alle einen schweren Ruck‰ sack dabei. Gerade der Kontakt mit den Tieren hilft ihnen, sich zu stabilisie­ren.
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Sandra Sailer

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