Koenigsbrunner Zeitung

Von der Mutter lernte er das Puppenschn­itzen

Jürgen Marschall war in der Augsburger Puppenkist­e für neue Charakterf­iguren und das Restaurant zuständig. Bis ihm eine heimtückis­che Erkrankung immer mehr zusetzte. Jetzt ist er mit 62 Jahren gestorben

- VON ALOIS KNOLLER

Seine letzte große Aktion war im ersten Corona-Lockdown ein Fundraisin­g für das Restaurant „Die Kiste“. Mit viel Herzblut und ambitionie­rten Ideen hatte Jürgen Marschall die Gastronomi­e seit 2002 nach der Sanierung des Stammsitze­s der Augsburger Puppenkist­e aufgezogen. Und seinen Spaß hatte er noch an den Folgen der „Kasperlige­n Weihnacht“, die alle Fans der Puppenkist­e darüber hinwegtrös­ten sollte, dass auf der Bühne in der Spitalgass­e auch in der Adventszei­t nicht gespielt werden darf. Am Heiligen Abend ist Jürgen Marschall, der ältere Enkel des Gründers der Augsburger Puppenkist­e, gestorben. Er wurde 62 Jahre alt und litt seit Längerem an einer heimtückis­chen Erkrankung. Seinen Humor ließ er sich trotzdem nicht rauben.

Die „Kasperlige Weihnacht 2020“enthält Erinnerung­en an die Schnitzkun­st von Jürgen Marschall. Den Weihnachts­mann Julebukk und sein Rentier hatte er für die Inszenieru­ng „Als der Weihnachts­mann vom Himmel fiel“geschaffen. Zahlreiche Ausstattun­gen der Stücke und des Kabaretts kamen aus seiner Hand. Jürgen Marschall hatte das Puppenschn­itzen von seiner Mutter Hannelore Marschall-Oehmichen gelernt. Ihre alte Hobelbank stand dann in seiner urigen Kellerwerk­statt unter einem Gewölbe aus rohen Backsteine­n. Jürgen saß einst links und Mutter Hannelore rechts. Daran hat er sich gern erinnert. Ihre alten Schnitzmes­ser hat er auch übernommen, inzwischen sind sie kurzgeschl­iffen vom vielen Schärfen. Wie viele Gesichter in Holzköpfe haben sie bereits geschnitte­n? sei jedes Mal wie eine Geburt, erklärte Jürgen Marschall, wenn sich die Konturen einer neuen Marionette immer deutlicher abzeichnen, wenn Mund, Nase und Augen modelliert werden, sobald die Farbe der blank polierten Oberfläche einen blassen Teint verleiht. Noch schlummern sie dann aber wie in einem Kokon. „Sobald die Augen aber drin sind, fangen sie zu leben an“, beobachtet­e Jürgen Marschall. Sein Handwerk hatte er im Laufe der Jahre immer mehr vervollEs kommnet, damit die Spieler Puppen in die Hand bekommen, die nicht nur charakteri­stische Züge trugen, sondern sich auch optimal führen ließen. Zu Hause und bei seinen Großeltern Walter und Rose Oehmichen ist der 1958 geborene Jürgen Marschall mit Marionette­n aufgewachs­en. Allerdings verlor er in seiner Jugend das Interesse am Familienun­ternehmen, er machte eine Malerlehre, war DJ und hatte mit dem „Katzenstad­el“seine eigene Kneipe. Im Nebenjob sprang er seinem drei Jahre jüngeren Bruder Klaus dabei zur Seite, ehe er im Jahr 1991 in die Augsburger Puppenkist­e zurückkehr­te. Zusammen mit seinem Bruder Klaus („wir haben sehr gut harmoniert“) wurde er Mitinhaber der Puppenkist­e. 1998 gestaltete er die Ausstellun­g zum 50-jährigen Bestehen der Marionette­nbühne, die später die Basis fürs Puppenkist­e-Museum werden sollte. Der erste Kinofilm „Die Story von Monty Spinnerrat­z“von 1995 forderte von Jürgen und seiner Mutter eine enorme Produktion von fast 100 neuen Figuren ab. Jürgen Marschall machte sich gern den Spaß, Puppen die Gesichtszü­ge bekannter Promis zu verpassen. So gleicht in der MozartAdap­tion von 2005 der Don Giovanni dem Antonio Banderas als verschlage­ner Frauenheld, Don Pietro ähnelt Curd Jürgens und die rothaarige Donna Elvira sieht aus wie Sophia Loren.

Als 2002 das Heilig-Geist-Spital nach der Sanierung wieder eröffnet wurde, gab es nicht nur ein Puppenthea­termuseum, sondern auch das Restaurant „Die Kiste“. Für auserwählt­e Premiereng­äste des Silvesterk­abaretts servierte der frischgeba­ckene Gastronom Jürgen Marschall erstmals ein Fünf-Gänge-Menü. Als geselliger Mensch liebte er es, sich mit einem großen Freundeskr­eis zu umgeben. Seine Freunde trauern nun um ihn, viele haben etwa auf Facebook Beileidsbe­kundungen veröffentl­icht.

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Foto: Ulrich Wagner (Archivfoto) Die Kunst des Puppenschn­itzens hat Jürgen Marschall bei seiner Mutter Hannelore Marschall‰Oehmichen gelernt und selbst ver‰ vollkommne­t.

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