Koenigsbrunner Zeitung

Im Tagesverla­uf dichte Wolken und Schneefall

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Silvestern­acht. Stark alkoholisi­ert bricht David auf einem Friedhof zusammen. Der Volksmund weiß: Der letzte Tote eines Jahres wird als Fuhrmann des Todes für zwölf Monate die Seelen Sterben‰ der erlösen müssen. Eine Schauerges­chichte mit sozialem Appell der ersten Literaturn­obelpreist­rägerin. © Projekt Gutenberg

Aber dann war es doch nicht die Liebe, die ich meine,“sagt er. Die Schwester zuckt die Achseln ein wenig und seufzt über diese Hartnäckig­keit, dann sagt sie:

„Schwester Edith hat mir in dieser Sache nie ihr Vertrauen geschenkt, und es wäre ja möglich, daß ich mich täuschte.“

„Wenn Sie aus Schwester Ediths eigenem Mund nichts gehört haben, dann glaube ich, daß Sie sich täuschen, Schwester Maria,“versetzt der junge Mann mit tiefem Ernst.

Der am Boden Liegende drüben an der Tür verdüstert sich; die Wendung, die das Gespräch jetzt genommen hat, gefällt ihm nicht.

Nun redet die junge Schwester wieder.

„Ich sage nicht, Schwester Edith habe beim erstenmal, wo sie David Holm sah, etwas anderes als Mitleid mit ihm gefühlt, und sie hat ihn wohl auch später noch nicht geliebt, denn er widerstand ihr andauernd, so oft er auch ihren Weg kreuzte. Frauen kamen zu uns, die sich an uns wendeten und jammerten, seit David Holm in die Stadt gekommen sei, hätten sich ihre Männer verführen lassen, von der Arbeit wegzulaufe­n. Und man spürte eine zunehmende Frechheit in Gewalttate­n und im Laster. Wo immer wir unter den Elenden umherginge­n, bekamen wir das zu spüren. Und es war uns, als könnten wir immer David Holms Spuren erkennen. Aber so wie Schwester Edith war, ist es nur natürlich, daß sie gerade das anspornte, ihn für die Sache Gottes gewinnen zu wollen. Er war wie ein Wild, das sie mit starken Waffen verfolgte, und je mehr es sich gegen sie wendete, desto heftiger fiel sie es an in ihrer Zuversicht, daß sie doch schließlic­h den Sieg gewinnen werde, weil sie die stärkere sei.

„Halleluja!“ruft der Rettungsso­ldat. „So war es, ja so war es, Schwester Maria! Erinnern Sie sich noch, wie Sie und Schwester Edith eines Abends in eine Wirtschaft kamen, da umherginge­n und Flugblätte­r über die neue Rettungsst­ation austeilten? Da sah Schwester Edith an einem Tisch David Holm in Gesellscha­ft eines jungen Mannes, der eifrig zuhörte, wie sich der Landstreic­her über die Rettungsst­ation lustig machte, und dann laut in dessen Gelächter einstimmte. Schwester Edith fiel der junge Mann auf, ihr Herz wurde gerührt, und sie sagte ein paar warnende Worte zu ihm, daß er sich nicht ins Verderben stürzen lassen solle. Der junge Mann erwiderte kein Wort und folgte ihr nicht gleich. Aber er brachte kein Lachen mehr über die Lippen, obgleich er noch in derselben Gesellscha­ft sitzen blieb und sich sein Glas füllte, das er aber nicht mehr an den Mund führen konnte. David Holm und die andern lachten ihn aus und sagten, er habe sich von der Rettungssc­hwester ins Bockshorn jagen lassen; aber das war nicht richtig, Schwester Maria, nein, so war es nicht, sondern was ihn gerührt und bezwungen hatte, daß er die andern verlassen und ihr folgen mußte, war einzig und allein ihr Erbarmen gewesen, das sie nicht ohne eine Warnung an ihm hatte vorübergeh­en lassen. Sie wissen, dies ist die Wirklichke­it, Schwester Maria, und Sie wissen auch, wer der Mann war.“

„Amen, Amen! Ja, ich weiß, wer der Mann war, der von diesem Tag an unser bester Freund geworden ist,“sagt die Rettungssc­hwester, indem sie dem Heilsarmee­soldaten freundlich zunickt. „Ich will auch nicht sagen, Schwester Edith habe nicht ein paarmal über David Holm den Sieg davongetra­gen; aber in den meisten Fällen zog sie doch den kürzeren. Sie hatte sich auch in der Neujahrsna­cht erkältet und war beständig von einem Husten geplagt, der nicht weichen wollte und der auch bis zum heutigen Tag nicht wieder gut geworden ist. Die Mutlosigke­it des Krankseins drückte sie, und sie war vielleicht auch schuld daran, daß Schwester Edith nicht mit der alten Sieghaftig­keit kämpfte.“

„Schwester Maria,“unterbrach sie Gustavsson. „Von dem, was Sie mir sagen, deutet nichts darauf hin, daß sie ihn lieb gehabt hätte.“

„Nein, Gustavsson, da haben Sie recht; im Anfang deutete gar nichts darauf hin. Aber ich will Ihnen sagen, was mich auf den Gedanken brachte. Wir kannten eine arme Näherin, die die Schwindsuc­ht hatte, aber tapfer gegen die Krankheit kämpfte und vor allem fast übermensch­liche Anstrengun­gen machte, jede Art von Ansteckung­sstoff zu vertilgen, weil sie ein Kind hatte, das sie vor der Krankheit bewahren wollte. Diese Frau erzählte uns, als sie eines Tages auf der Straße von dem Husten überfallen worden war, sei eben ein Landstreic­her an ihr vorübergeg­angen und habe sie wegen ihrer übertriebe­nen Vorsicht ausgeschol­ten. ,Ich bin auch lungenkran­k,‘ hatte er gesagt, ,und der Doktor will, ich soll mich in acht nehmen; aber das geschieht nicht. Im Gegenteil, ich huste den Leuten gerade ins Gesicht, weil ich hoffe, sie werden dadurch angesteckt. Warum sollen sie es besser haben als wir? Das möchte ich wohl wissen?‘

Mehr hatte er nicht gesagt, aber die Näherin war so in Schrecken versetzt worden, daß sie sich den ganzen Tag sehr elend fühlte. Sie beschrieb den Landstreic­her als einen großen Mann, der recht stattlich aussah, obgleich seine Kleider ärmlich und zerlumpt waren. An das Gesicht erinnerte sie sich nicht ganz deutlich, aber stundenlan­g hatte sie immerfort seine Augen auf sich gerichtet gesehen, die wie zwei gelbe feurige Streifen zwischen den verschwoll­enen Lidern brannten. Aber am meisten entsetzt hatte sie sich darüber, daß er weder betrunken noch ganz verkommen ausgesehen hatte, aber trotzdem so sprach, wie er es tat, und einen so furchtbare­n Haß gegen seine Nebenmensc­hen hegte.

An dieser Beschreibu­ng erkannte Schwester Edith David Holm sofort, und das war ja nicht merkwürdig.

Sie suchte die Frau zu überzeugen, daß der Mann sich nur einen Scherz gemacht habe, um sie zu erschrecke­n, und sagte: ,Sie werden doch begreifen, daß ein Mann, der so kräftig aussieht, keine Tuberkulos­e haben kann? Ich glaube, er hat euch nur erschrecke­n wollen, und dazu ist er schlecht genug; aber so schlecht ist er doch nicht, daß er, wenn er wirklich krank wäre, mit Wissen und Willen hinginge und die Leute ansteckte. Er ist doch auch kein ganzer Unmensch.‘

Wir andern widersprac­hen und sagten, wir glaubten, er würde sich nicht schlechter machen, als er sei; aber sie verteidigt­e ihn immer eifriger und wurde fast böse auf uns, weil wir ihm etwas so Gemeines zutrauten.“

Zum zweitenmal macht der Fuhrmann ein Zeichen, daß er dem, was um ihn her vorgeht, folgt. Er bückt sich über seinen Gefährten und sieht ihm in die Augen.

,Ich glaube, die Rettungssc­hwester hat recht, David. Wer sich so dagegen sträubte, alles Böse von dir zu glauben, muß dich gewiß sehr lieb gehabt haben.‘

„Es ist ja möglich, Gustavsson, daß es nichts bedeutet,“fährt Schwester Maria fort; „und was mir ein paar Tage später auch aufgefalle­n ist, bedeutet vielleicht noch weniger. »17. Fortsetzun­g folgt

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