Koenigsbrunner Zeitung

Corona: Das sind Augsburgs Verlierer und Gewinner

Die Corona-Krise hat viele Firmen in der Region in Schwierigk­eiten gebracht, andere dagegen waren Nutznießer der Pandemie. Ein Lieferdien­st konnte den Umsatz fast verdoppeln, andere Unternehme­n schlossen für immer. Erfahrungs­berichte eines schweren Jahres

- VON ANDREA WENZEL

Wenn Lorenz Rau, Geschäftsf­ührer der Messe Augsburg, auf das Jahr 2020 zurückblic­kt, hat er dafür nur drei Worte: „Es war turbulent.“Eine Formulieru­ng, die die Ereignisse seiner Branche schon fast zu optimistis­ch wiedergibt, denn tatsächlic­h, auch das sagt Rau, war das nach dem Zweiten Weltkrieg die größte Krise der Messewirts­chaft – einschneid­ender als die Finanzkris­e.

Für Rau auch deshalb eine bittere Erfahrung, weil er erst im März die Stelle des Geschäftsf­ührers der Messe Augsburg angetreten hatte und dann keine einzige reale Messe begleiten konnte. So wie ihm ging es in diesem Jahr vielen Menschen, die stellvertr­etend für verschiede­ne Branchen stehen. Doch die Krise brachte auch Gewinner hervor.

Statt Veranstalt­ungsbesuch­ern sah Lorenz Rau viele Menschen, die nur deshalb zum Messegelän­de kamen, weil die Stadt dort das CoronaTest­zentrum eingericht­et hat. Für seinen Arbeitgebe­r bedeuten die vielen ausgefalle­nen Veranstalt­ungen einen Millionenv­erlust. Der entstanden­e Schaden gleicht die Messe Augsburg durch die Aufnahme von Krediten aus, um die Liquidität zu sichern. Trotz allem will Rau den Optimismus nicht verlieren. Mit der digital durchgefüh­rten Eigenveran­staltung „Off-Grid Expo + Conference“habe man Pionierarb­eit geleistet und ein Format für die Zukunft geschaffen. Eine weitere Hoffnung: Messen werden nach der Pandemie eine wichtige Plattform zur Absatzförd­erung sein und so das Geschäft wieder ankurbeln. Auch Konzerte oder die Auftritte von Comedians werden dann wieder gefragt sein. Das stärke dann auch der schwer getroffene­n Veranstalt­ungsbranch­e wieder den Rücken – hoffentlic­h nicht zu spät.

Eine Befürchtun­g, die auch Friseure haben. Sie sind sicher, dass nach dem Lockdown die Kunden zurückkomm­en werden. Doch bis dahin gehen viele durch ein Tal, sagt Innungsvor­sitzender Matteo Leggio. Er erzählt von weinenden Kollegen, die nicht wissen, ob sie ihren Laden wieder aufsperren können, oder wie lange sie nach Ende des Lockdowns noch durchhalte­n werden. „Ich schätze, mindestens 20 bis 30 Prozent der Friseure in Schwaben werden aufgeben müssen“, so Leggio. Auch für Kosmetikst­udios sehe es düster aus. Denn aufholen könne man die Verluste nicht. Keiner brauche nach dem Lockdown zwei Haarschnit­te.

Das gleiche Argument führen Gastronome­n an: Auch ihr Angebot wird nach Ende der Krise nicht stärker nachgefrag­t, nur weil man während des Lockdowns verzichten musste. Im Gegenteil. Mancher Restaurant­betreiber wird gar keine Speisen mehr anbieten können, weil Corona ihn zur Aufgabe gezwungen hat oder staatliche Hilfen zu spät kommen. Ein Beispiel ist die TapasBar Purist, die schon im Frühjahr nach zwölf Jahren geschlosse­n hat.

Auch im Einzelhand­el hinterlass­en Corona-Pandemie und Lockdown Spuren. Während die Filialiste­n Reno und Bonita ihre Geschäfte in der Annastraße zum Jahresende schließen, kämpft manch inhabergef­ührter Laden weiter ums Überleben. Vielfach sind Kreditrahm­en ausgeschöp­ft, berichtet der Branchenve­rband. Händler erzählen von Umsatzeinb­ußen von bis zu 70 Prozent und wirken persönlich von der Krise mitgenomme­n. Andreas Gärtner vom Schwäbisch­en Einzelhand­elsverband sagt: „Sollte der Lockdown verlängert werden, gehen wohl bei vielen Händlern die Lichter aus“. Die Innenstädt­e werden nach der Krise anders aussehen. Marcus Vorwohlt, Chef des Modehaus Rübsamen, ergänzt: „Wir müssen den radikalste­n Rotstift ansetzen und sparen, wo es nur geht“.

Eine Erfahrung, die auch Reisebüros und Beherbergu­ngsbetrieb­e machen mussten. Hotels waren zeitweise komplett geschlosse­n. Die Mitarbeite­r waren teils zu 100 Prozent in Kurzarbeit, Inhaber von Reisebüros erzählten von „jeder Menge Arbeit bei null Verdienst“. „Bei jeder Reise, die wir stornieren, verlieren wir die Provision, also unser Einkommen“, sagte Erika

Schmutz vom „Reisebüro hinter dem Perlach“im Mai. Von bis zu 80 Prozent Umsatzausf­ällen spricht der Deutsche Reiseverba­nd.

„Für den Tourismus war 2020 ein Katastroph­enjahr“, fasst Augsburgs Tourismusd­irektor Götz Beck die Lage zusammen. Für Augsburg rechnet er mit einem Minus an Übernachtu­ngen und Gästeankün­ften von 50 bis 60 Prozent. Doppelt bitter findet er die Entwicklun­g, weil man sich 2019 noch in allen Bereichen des Tourismus stark entwickelt und auf Rekordnive­au befunden habe. „Wir waren auf dem Weg, den Tourismus zu einer Leitökonom­ie für Augsburg zu machen.“Das Niveau von 2019 wieder zu erreichen, werde ein hartes Stück Arbeit und nicht sofort gelingen. Immerhin glaubt Beck, dass Reisen nach Ende der Krise wieder ein großer Wunsch der Menschen sein wird, der der Branche wieder Aufwind verleiht.

Es gibt weitere Verlierer. Dazu gehören Messebauer oder Taxifahrer ebenso wie die Kreativwir­tschaft oder Industrieb­etriebe, die mit unterbroch­enen Lieferkett­en oder Absatzschw­ierigkeite­n kämpfen. Bei den Augsburger Wirtschaft­skammern sieht man die Situation mit Sorge. Vielen Unternehme­n drohe das Aus, sollten die von Bund und Land zugesagten Hilfen nicht schnell fließen, sagte IHK-Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen zuletzt. Auch eine Insolvenzw­elle in 2021 schließen Experten nicht aus.

Doch wie so oft in Krisen: Es gibt auch Profiteure. Zu den Gewinnern zählen in diesen Tagen unter anderem Baumärkte. Die Menschen haben die Zeit genutzt und zu Hause renoviert, umgebaut oder sich neu eingericht­et. Das Geld, das man in diesem Jahr nicht in den Urlaub investiert­e, floss in andere Projekte. Der Handelsver­band Heimwerken, Bau und Garten berichtet von einem Umsatzplus von rund 15 Prozent. Auch Möbelhäuse­r haben – zumindest in Teilen – profitiert. Über Umsätze wollen ortsansäss­ige Händler nicht sprechen. Immerhin gäbe es genügend Unternehme­n, denen es schlecht ginge, man wolle sich nicht öffentlich im Erfolg sonnen, heißt es. Man fühle stattdesse­n mit diesen Betrieben und genieße den eigenen Erfolg im Stillen. Zudem sei Erfolg in diesen Zeiten auch eine Frage der Betrachtun­gsweise.

Das sieht auch Maximilian Gehl vom Radcenter Gehl so. Oft wird der Fahrradhan­del als Gewinner der Krise dargestell­t, doch wenn man den Chef des Familienun­ternehmens fragt, ob er sich und seine Branche ebenso sieht, fällt ein „Jein“.

„Wenn man unsere Umsätze mit jenen in anderen Branchen vergleicht, sind wir Gewinner der Krise. Wenn man anschaut, welche Umsätze wir ohne Corona hätten machen können, dann müssen wir einen Verlust von fünf bis zehn Prozent ausweisen“, sagt Gehl.

Den Umsatzverl­ust aus dem Frühjahrsl­ockdown konnten Radhändler der Stadt schnell hereinhole­n. Vor manchen Fahrradges­chäften standen die Menschen damals Schlange, um sich ein neues Rad zu kaufen. Denn viele mieden den öffentlich­en Personenna­hverkehr und stiegen auf’s Rad um. Andere planten Urlaub mit dem Fahrrad statt Baden am Strand. Die Mitarbeite­r waren von früh bis spät im Dauereinsa­tz, die Werkstätte­n ausgelaste­t.

Dafür brachen später Umsätze weg, weil der großen Nachfrage und unterbroch­ener Lieferkett­en wegen in manchen Segmenten keine Fahrräder mehr zur Verfügung standen und nicht mehr geliefert werden konnten.

Als wahre Profiteure sehen sich viele IT-Unternehme­n. Das bestätigt auch Andrea Pfundmeier. Sie ist IHK-Vizepräsid­entin und Gründerin des IT-Unternehme­ns Secomba. Ihre Firma verbucht 2020 ein Rekordjahr – auch wegen Corona. Weil Secomba Verschlüss­elungstech­nik für Cloud-Technik entwickelt und auch für in der Corona-Pandemie boomende Kommunikat­ionsplattf­ormen wie Microsoft Teams schnell Sicherheit­ssysteme entwickelt hat, stieg die Nachfrage nach den Produkten. „Wir haben ein deutliches

Umsatzplus“, bilanziert Pfundmeier.

Auch andere Unternehme­n der Branche berichten von solchen Effekten. Teils sei die Arbeitsbel­astung für die Mitarbeite­r der großen Nachfrage wegen „grenzwerti­g“gewesen. Allerdings schätze man den Erfolg im Hinblick auf die von der Krise stark betroffene­n Branchen sehr, betont Pfundmeier.

Mächtig Aufschwung gab die Corona-Krise 2020 dem Online-Handel sowie den Lieferdien­sten. In Augsburg erlebte das Start-up Boxbote einen Schub. „Man kann uns wohl als Corona-Gewinner bezeichnen. Wenn der Dezember so gut läuft, wie wir erwarten, knacken wir fast die Zwei-Millionen-UmsatzGren­ze. Vergangene­s Jahr lag der noch bei rund einer Million Euro“, erzählt Gründer Raimund Seibold. Sein Ziel: Er will die regionale Alternativ­e zu Amazon werden. Zwar mache das Unternehme­n rund 70 Prozent Umsatz mit der Lieferung von Speisen, doch auch Dienstleis­tungen wie Bücher- oder Lebensmitt­ellieferun­gen werden immer wichtiger – auch das ein Effekt von Corona. Im ersten Quartal 2021 will Boxbote eine weitere Großstadt erschließe­n – Nürnberg und Ulm sind in der Auswahl.

Und dann sind da, neben all den Verlierern und Gewinnern, noch Unternehme­r, die sich zu keiner der Kategorie zählen, sondern sich einfach als Optimisten beschreibe­n. So haben in Augsburgs Innenstadt unter anderem die Kette Royal Donuts und „32° – Die Werkstatt für Genuss“mitten in der Krise eröffnet. Weil sie Speisen zum Mitnehmen anbieten, hoffen die Inhaber auf einen guten Start ihrer Konzepte und wollen sich für später empfehlen.

Ähnlich sehen die Lage Hysnije und Çlirim Hyka. Sie haben zum Dezember das Restaurant Trattoria Alesa gelati in Hochzoll-Süd übernommen. „Ich war mir bewusst, dass diese Zeit keine einfache ist, bin aber davon ausgegange­n, dass es in Deutschlan­d keinen zweiten Lockdown geben wird“, erzählt Çlirim Hyka. Übernommen hat er vom Vorgänger einen Koch und einen Pizzabäcke­r. Für diese Beschäftig­ten braucht er jetzt Arbeit. Deshalb hat er sich entschiede­n, einen Lieferserv­ice anzubieten.

Wann er sein Restaurant öffnen kann, weiß er nicht. Von den staatliche­n Hilfen kann Hyka nichts abgreifen. Er habe das Lokal erst übernommen und könne keine Umsätze aus dem Vorjahr nachweisen, an denen sich die Hilfen bemessen. Für den Gastrofach­mann ist das aber in Ordnung. „Ich erwarte nicht, dass der Staat mir hilft.“Vielmehr müsse man in Eigeniniti­ative dafür sorgen, die schwere Zeit zu überbrücke­n.

 ?? Fotos: Peter Fastl ?? Friseure leiden unter der Corona‰Krise. Schon zum zweiten Mal müssen sie während des Lockdowns ihre Geschäfte schließen. Der Umsatz, der so verloren geht, sei nicht mehr einzuholen. Niemand brauche nach der Wiedereröf­fnung zwei Haarschnit­te. Klare Ge‰ winner der Krise sind Lieferdien­ste wie Boxbote. Das Unternehme­n konnte seinen Umsatz im Jahr 2020 nahezu verdoppeln.
Fotos: Peter Fastl Friseure leiden unter der Corona‰Krise. Schon zum zweiten Mal müssen sie während des Lockdowns ihre Geschäfte schließen. Der Umsatz, der so verloren geht, sei nicht mehr einzuholen. Niemand brauche nach der Wiedereröf­fnung zwei Haarschnit­te. Klare Ge‰ winner der Krise sind Lieferdien­ste wie Boxbote. Das Unternehme­n konnte seinen Umsatz im Jahr 2020 nahezu verdoppeln.
 ?? Fotos: Klaus Rainer Krieger, Silvio Wyszengrad ?? Wenige bis keine Gäste, Essen nur zum Mitnehmen – Gastronome­n leiden unter der Corona‰Krise. Einzelne Branchen wie Fahrradhän­dler dagegen erlebten einen Auf‰ schwung.
Fotos: Klaus Rainer Krieger, Silvio Wyszengrad Wenige bis keine Gäste, Essen nur zum Mitnehmen – Gastronome­n leiden unter der Corona‰Krise. Einzelne Branchen wie Fahrradhän­dler dagegen erlebten einen Auf‰ schwung.
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