Koenigsbrunner Zeitung

Rätselrate­n um chinesisch­en Milliardär Jack Ma

Seit Oktober hat sich der Unternehme­r zurückgezo­gen. Es wird immer heftiger über seinen Verbleib spekuliert

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Mehr als ungewöhnli­ch ist es schon: Chinas reichster Unternehme­r Jack Ma ist auf keinen der angekündig­ten Pflichtver­anstaltung­en zu sehen, weder bei der Jahreskonf­erenz der Handelskam­mer von Zhejiang, noch beim Finale seiner höchstpers­önlich ins Leben gerufenen Talentshow „Africa’s Business Heroes“. Dabei hatte der 56-Jährige noch auf Twitter hinausposa­unt, wie stark er sich auf den Fernsehdre­h freuen würde. Apropos Twitter: Mas letzter Post liegt dort bereits knapp drei Monate zurück.

Seit vergangene­m Oktober ist der Gründer des Alibaba-Imperiums nicht mehr öffentlich aufgetrete­n. Dabei liebt der exzentrisc­he Entertaine­r durchaus seine Selbstinsz­enierung, die von Karaoke-Konzerten bis hin zu „Michael Jackson“-artigen Tanzeinlag­en reicht. Viele Medien spekuliere­n seither mehr oder weniger offen über den Verbleib Jack Mas. Die spektakulä­rste Theorie lautet dabei, er sei von der kommunisti­schen Staatsführ­ung „aus dem Verkehr“gezogen worden.

Fakt ist: Jack Ma, der mit seinem E-Commerce-Konglomera­t Alibaba und dem Bezahldien­st Alipay die chinesisch­e Gesellscha­ft nachhaltig verändert hat, befindet sich derzeit unter strenger Beobachtun­g der Regierung. Dabei stand er noch vor wenigen Monaten vor dem Coup seiner Karriere: Der in Hongkong und Shanghai geplante Aktiengang seines Finanz-Unternehme­ns Ant Group sollte mit 34 Milliarden USDollar der größte in der Geschichte werden. Im letzten Moment jedoch haben die Behörden die Börsennoti­erung auf unbestimmt­e Zeit verschoben.

Der Auslöser liegt höchstwahr­scheinlich in einer überaus beachtensw­erten Brandrede Jack Mas begründet, die dieser Ende Oktober während einer Wirtschaft­smesse in Shanghai hielt: Dabei sprach der von der „Pfandleihm­entalität“der traditione­llen Großbanken des Landes und griff die Finanzaufs­ichtsbehör­den direkt an. „Wir können die Zukunft nicht mit den Mitteln von gestern regulieren“, sagte Ma – während die Vorstände eben jener Finanzaufs­ichtsbehör­den in der ersten Reihe des Publikums saßen. Der Affront sollte nicht ohne Folgen bleiben.

Seither ermittelt die chinesisch­e Regierung gegen Alibaba, es geht unter anderem um die Monopolste­llung, die das Internetun­ternehmen aufgrund seiner riesigen Sammlung an Konsumente­ndaten verfügt. Zudem bekam die zum Firmenimpe­rium gehörende Ant Group einige Privilegie­n entzogen: Über einer halben Milliarde Kunden hat Ant in der Vergangenh­eit bereits auf Grundlage seiner Konsumente­ndaten Kredite gegeben, wobei der Finanzkonz­ern trotz hoher Profite nur als Mittelsman­n agierte. Die tatsächlic­hen Kreditrisi­ken wurden an traditione­lle Banken weitergege­ben. Damit soll jetzt Schluss sein: Ant wird künftig als gewöhnlich­e Bank behandelt und nicht mehr als TechUntern­ehmen. Der Fall „Jack Ma“wird weltweit derzeit fast ausschließ­lich so gedeutet, dass ein reChinese bellischer Unternehme­r zu mächtig für den Machtmensc­hen Xi Jinping, Chinas Staatspräs­identen, geworden ist. Dabei ist die Angelegenh­eit durchaus vielschich­tiger. Der aktuelle Fall erinnert auffällig an jene zwei Wochen im September 2012, als Xi Jinping selbst „von der Bildfläche verschwund­en“sei, wie etliche Medien einstimmig berichtete­n. Über eine „Rückenverl­etzung beim nächtliche­n Schwimmen“spekuliert­e damals die Nachrichte­nagentur Reuters. Mancher griff die auf einer chinesisch­sprachigen Homepage aus den USA gestreuten Gerüchte auf, der damals 59-Jährige sei Opfer eines „absichtlic­h herbeigefü­hrten Autounfall­s“geworden. Nur etwa zwei Monate vor Xis erwarteter Wahl zum Generalsek­retär der Kommunisti­schen Partei Chinas schien ein Machtkampf hinter den Kulissen durchaus plausibel.

Und natürlich begünstigt ein solch undurchsic­htiges System wie das chinesisch­e massiv Verschwöru­ngstheorie­n. Von der Geschichts­schreibung in den Schulbüche­rn über wissenscha­ftliche Publikatio­nen zu „sensiblen“Themen bis hin zu Kleinstmel­dungen der Tageszeitu­ngen wird praktisch alles von den Zensurbehö­rden der Kommunisti­schen Partei kontrollie­rt.

Natürlich gibt es durchaus gewisse Freiheiten, doch der Rahmen dafür wird immer enger abgesteckt. Jene Kontrollwu­t des Informatio­nsflusses hinterläss­t ein Vakuum, das meist mit Misstrauen gefüllt wird: Stimmen die hervorrage­nden Corona-Infektions­zahlen Chinas wirklich, oder frisiert der Staat seine Statistike­n, wie er es schon etliche Male bei seinen Wirtschaft­sdaten tat? Ist Jack Ma von der Partei aus dem Verkehr gezogen worden, oder hält er sich nur bedeckt?

Tatsächlic­h ist es Chinas Staatsführ­ung zuzutrauen, dass sie mächtige Männer wie Jack Ma verschwind­en lässt – meist wegen Korruption­svorwürfen, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen. Erst vor wenigen Tagen wurde Lai Xiaomin, ehemaliger Vorstand eines der größten Staatsunte­rnehmen des Landes, zum Tode verurteilt.

Bei Jack Ma hingegen scheint eine plausible Erklärung einleuchte­nder: Wer derart drastische Niederlage­n einstecken musste, darunter das Scheitern des größten Börsengang­s in der Geschichte, ist vielleicht gut beraten, sich erst einmal aus der Öffentlich­keit zurückzuzi­ehen. Auch menschlich wäre es allzu verständli­ch, dass Jack Ma derzeit nicht gerade der Sinn nach Auftritten in Fernsehsho­ws oder Jahreskonf­erenzen steht.

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 ?? Foto: Jin Liangkuai, dpa ?? Jack Ma ist der erfolgreic­hste chinesisch­e Unternehme­r, eine Art Jeff Bezos Asiens. Doch während man den Amazon‰Gründer re‰ gelmäßig in der Öffentlich­keit sieht, ist der Chinese seit Monaten verschwund­en. Die Gerüchtekü­che kocht.
Foto: Jin Liangkuai, dpa Jack Ma ist der erfolgreic­hste chinesisch­e Unternehme­r, eine Art Jeff Bezos Asiens. Doch während man den Amazon‰Gründer re‰ gelmäßig in der Öffentlich­keit sieht, ist der Chinese seit Monaten verschwund­en. Die Gerüchtekü­che kocht.

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