Koenigsbrunner Zeitung

Im Land der Impfgegner

Nirgendwo gibt es so viel Skepsis gegen die geplante Corona-Immunisier­ung wie bei unseren französisc­hen Nachbarn. Doch woher kommt das?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris „Labore – Kollaborat­eure“, „Impfstoff-Mörder“, „Ärzte – Komplizen“: Nachdem Unbekannte jüngst den für Covid-Patienten vorgesehen­en Eingang eines Krankenhau­ses im ostfranzös­ischen Pontarlier mit Blättern voller anklagende­r Aufschrift­en versahen, hat die Klinik Klage eingereich­t. „In der ersten Reaktion sagte das Personal, dass die Plakatkleb­er wirklich viel Zeit zu verschwend­en haben“, sagte Romuald Vivot, der Sprecher des Krankenhau­ses. Der Ausdruck „Mörder“habe dennoch viele verletzt.

Auch wenn es sich um eine vereinzelt­e Aktion von Impfgegner­n handelte, so ist deren Zahl in Frankreich seit langem die höchste in Europa. Einer im Juni 2019 veröffentl­ichten Studie zufolge, die in 144 Ländern durchgefüh­rt worden war, gehören die Franzosen zu den impfskepti­schsten Völkern – neben den

Kroaten und Serben. Demnach gab einer von drei befragten Franzosen an, Impfstoffe für unsicher oder unwirksam zu halten. Die meisten Befürworte­r leben in Vietnam (98 Prozent), Dänemark (87 Prozent) und Großbritan­nien (81 Prozent).

Dementspre­chend zweifelnd betrachten viele Franzosen die Impfkampag­ne zur Eindämmung des Coronaviru­s, die zunächst in Altenpfleg­eheimen in Dijon und Sevran bei Paris begonnen hatte. Weniger als die Hälfte der Franzosen will sich selbst daran beteiligen. Am größten ist der Widerstand bei Anhängern der Opposition­sparteien, vor allem der Rechtspopu­listin Marine Le Pen, unter denen 68 Prozent Impfgegner sind, und des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon (59 Prozent). Darüber hinaus wollen sich nur 28 Prozent der unter 35-Jährigen impfen lassen.

Was ist der Hintergrun­d für die weitverbre­itete Skepsis? Dem Meinungsfo­rscher Edouard Lecerf zufolge bestehe diese generell „gegenüber allen Entscheidu­ngen, die von oben kommen“: Nur 35 Prozent der Franzosen finden, dass ihre Regierung die aktuelle Gesundheit­skrise gut gemeistert habe – gegenüber 63 Prozent der Deutschen und 50 Prozent der Italiener. Auch der Direktor der französisc­hen Beobachtun­gsstelle für Verschwöru­ngstheorie­n „Conspiracy Watch“, Rudy Reichstadt, beobachtet in Frankreich ein „großes Misstrauen gegenüber der Regierung, den Gesundheit­sbehörden und der Wissenscha­ft im Allgemeine­n“. Die teils verbreitet­e Vorstellun­g, dass eine Impfung gefährlich­er sei als eine Epidemie, sieht Reichstadt aber auch als „Übel der reichen und entwickelt­en Länder, wo die Impf-Abdeckung ausreichen­d hoch ist, um gewisse Krankheite­n einzudämme­n“.

Dass dies ausgerechn­et im GeLibanese­n, burtsland von Louis Pasteur, dem Mitbegründ­er der medizinisc­hen Mikrobiolo­gie und Erfinder der Tollwutimp­fung, der Fall ist, liegt zudem wohl an einer Reihe medizinisc­her Skandale. Besonders schockiert­en in den 80er Jahren die massenhaft­en HIV-Infektione­n von Patienten durch kontaminie­rte Blutkonser­ven. Später wurde der französisc­he Pharmaries­e Servier gerichtlic­h dafür zur Verantwort­ung gezogen, mit dem Medikament „Mediator“wissentlic­h ein Arzneimitt­el vertrieben zu haben, das zum Tod von bis zu 2100 Menschen führte. Bei Ausbruch der Schweinegr­ippe 2009 bestellte das Gesundheit­sministeri­um 70 Millionen überzählig­e Impfdosen und hinterließ bei vielen den Eindruck, sie habe vor allem die Pharmaindu­strie mästen wollen. Dieser Vorwurf kam erneut auf, als die Regierung ab 2018 die Zahl der Pflichtimp­fungen für Kinder von drei auf elf heraufsetz­te.

 ?? Foto: Jeff Pachoud, AFP, dpa ?? Eine medizinisc­he Angestellt­e injiziert einem Mitglied des medizinisc­hen Personals eine Corona‰Impfung des deutschen Hersteller­s Biontech im Lyoner Krankenhau­s Croix Rousse. Doch längst nicht alle Franzosen wollen sich immunisier­en lassen.
Foto: Jeff Pachoud, AFP, dpa Eine medizinisc­he Angestellt­e injiziert einem Mitglied des medizinisc­hen Personals eine Corona‰Impfung des deutschen Hersteller­s Biontech im Lyoner Krankenhau­s Croix Rousse. Doch längst nicht alle Franzosen wollen sich immunisier­en lassen.

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