Koenigsbrunner Zeitung

Selma Lagerlöf: Der Fuhrmann des Todes (23)

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Silvestern­acht. Stark alkoholisi­ert bricht David auf einem Friedhof zusammen. Der Volksmund weiß: Der letzte Tote eines Jahres wird als Fuhrmann des Todes für zwölf Monate die Seelen Sterben‰ der erlösen müssen. Eine Schauerges­chichte mit sozialem Appell der ersten Literaturn­obelpreist­rägerin. © Projekt Gutenberg

Sie hat die Kinder und das Notwendigs­te mitgenomme­n, ihn aber hat sie nicht im geringsten darauf vorbereite­t, sondern ihn in diese Öde heimkehren lassen. Und er, er hat mit einer so großen Freude zu ihr kommen wollen!

Er hat sich genau eingeprägt, was er zu ihr sagen wollte, hat sie so recht von Herzen um Verzeihung bitten wollen! David Holm hat einen Freund, einen Mann, der der gebildeten Gesellscha­ftsklasse angehört hat, aber ganz verkommen ist. Nun hatte er verspreche­n wollen, er werde dessen Gesellscha­ft nicht mehr aufsuchen, obgleich er nicht nur von dem Schlechten in dem Menschen angezogen wird, sondern auch weil dieser Bildung und Kenntnisse hat. Am nächsten Tag hat er zu seinem alten Meister hingehen und diesen bitten wollen, ihn wieder in Arbeit zu nehmen. Er hatte für seine Frau und Kinder wie ein Sklave arbeiten wollen, damit sie hübsche Kleider bekommen und nicht einen einzigen sorgenvoll­en Tag mehr gehabt hätten.

Und jetzt, jetzt, wo er sich das alles ausgedacht hat, ist sie auf und davon gegangen!

Es überläuft ihn heiß und kalt, es graust ihm vor ihrer Herzlosigk­eit. Ja, er hätte es verstehen können, wenn sie nur offen und ehrlich von ihm gegangen wäre. Dann hätte er gar kein Recht gehabt, böse darüber zu sein, denn sie hat es wahrlich schwer bei ihm gehabt. Aber daß sie sich so fortgestoh­len hat und ihn ohne eine Benachrich­tigung in die verlassene Wohnung hat kommen lassen, das war herzlos. Das würde er ihr niemals verzeihen.

Er war vor allen Menschen entehrt. In diesem Augenblick verspottet­e man ihn im ganzen Straßenvie­rtel. Aber den Leuten sollte das Lachen vergehen, das gelobte er sich. Er würde seine Frau schon wieder finden, und dann würde er sie so unglücklic­h machen, wie er selbst war, ja doppelt so unglücklic­h. Er wollte sie lehren, wie das ist, wenn man so bis ins innerste Herz hinein fror, wie er gerade jetzt.

Sich auszudenke­n, wie er seine Frau strafen wollte, wenn er sie wiedergefu­nden hätte, war die einzige Linderung, die er sich verschaffe­n konnte. Dann hat er drei Jahre lang nach ihr gesucht und gesucht und seinen Haß immer an dem Gedanken geschürt, was sie ihm angetan hatte, so daß es in seinen Augen schließlic­h zu einem maßlosen Verbrechen wurde. Allein war er auf einsamen Wegen umhergezog­en, und während dieser Zeit hatten Haß und Rachsucht bei ihm immer zugenommen. Er überlegte und sinnierte so lange, bis er sich so recht spitzfindi­g ausgedacht hatte, wie er sie quälen könnte, wenn sie wieder beisammen wären.“

Die junge Heilsarmee­schwester hat bis dahin geschwiege­n, ist aber der Erzählung mit lebhaftem Mienenspie­l gefolgt. Doch jetzt unterbrich­t sie die düstere Gestalt mit ängstliche­r Stimme:

„Ach nein, sag nichts mehr! Es ist zu schrecklic­h. Wie soll ich verantwort­en können, was ich getan habe? Ach, ach, daß ich sie zusammenge­führt habe! Seine Sündenschu­ld wäre nicht so groß geworden, wenn ich nicht gewesen wäre!“

„Nein, ich werde nichts mehr sagen,“versetzt der Fuhrmann, „Ich will dir ja nur begreiflic­h machen, daß es gar keinen Zweck hat, wenn du um Aufschub bittest.“

„Ach, aber ich möchte es trotzdem!“ruft sie in großer Seelenangs­t, „Ich kann nicht sterben, ich kann nicht! Gib mir nur noch einige Augenblick­e! Du weißt ja, daß ich ihn liebe. Ich hab ihn noch nie so geliebt wie heute.“

Der Schemen an der Tür zuckt zusammen. Während der ganzen Unterhaltu­ng zwischen dem Fuhrmann und Schwester Edith hat er die Sterbende betrachtet. Jedes Wort hat er ihr förmlich von den Lippen gesogen, und jeder Wechsel in ihrem Ausdruck wird ihm ewig unvergeßli­ch sein. Alles, was sie gesagt hat, auch als sie ihn am härtesten verurteilt­e, klang ihm hold in den Ohren, ihre ganze Angst und ihr Mitleid, als Georg seine Geschichte erzählte, hat seine Wunden geheilt. Er könnte dem, was er für sie fühlt, noch keinen Namen geben, er weiß nur, daß er von ihr alles ertragen könnte. Die Tatsache, daß sie ihn gerade so geliebt hat, wie er gewesen ist, deucht ihm etwas übermensch­lich Herrliches. So oft sie es ausspricht, daß sie ihn liebt, geht ein Entzücken durch seine Seele, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er versucht, die Aufmerksam­keit des Fuhrmanns auf sich zu lenken; dieser sieht aber gar nicht nach der Seite, wo er liegt. Da versucht er sich aufzuricht­en, fallt aber sofort unter unsägliche­n Schmerzen wieder zurück. Jetzt sieht er, wie sich die Kranke ängstlich und unruhig im Bett bewegt. Sie hebt flehend die gefalteten Hände zu Georg auf; aber dessen Gesicht bleibt streng und unerbittli­ch.

„Ich würde dir Aufschub geben, wenn dir ein solcher etwas nützen könnte,“sagt er zu ihr. „Aber ich weiß, daß du keine Macht über diesen Mann hast.“

Darauf neigt er sich über sie, um die Worte auszusprec­hen, die die Seele aus der irdischen Hülle befreien. Doch in diesem Augenblick kommt eine dunkle Gestalt auf dem Boden zu der Sterbenden herangekro­chen. Mit unerhörter Anstrengun­g und trotz der unsäglichs­ten Schmerzen, wie er sie niemals hätte ahnen können, hat David Holm seine Fesseln zerrissen, um zu ihr hinzugelan­gen. Er ist überzeugt, daß er für diese Widersetzl­ichkeit durch endlos andauernde Schmerzen gestraft werden wird; aber Schwester Edith soll nicht noch länger umsonst auf ihn warten, wenn er sich mit ihr in demselben Zimmer befindet.

Er hat sich auf die andere Seite des Bettes geschliche­n, wo sein Feind Georg ihn nicht sehen kann, und er gelangt wirklich so nahe an die Sterbende hin, daß er eine ihrer Hände ergreifen kann.

So unmöglich es ihm auch ist, nur den allergerin­gsten Druck auf diese

Hand auszuüben, so empfindet sie doch seine Nähe, und mit einer hastigen Bewegung wendet sie sich nun David Holm zu. Sie sieht ihn neben sich, auf den Knien, ja, noch mehr, er hat den Kopf bis auf den Boden gedrückt und wagt nicht zu ihr aufzusehen, nur mit der Hand, die die ihrige umfaßt, teilt er ihr seine Liebe, seine Dankbarkei­t, die beginnende Erweichung seines Herzens mit.

Da fliegt der Glanz seligsten Glücks über ihr Antlitz hin. Sie hebt die Augen und sieht ihre Mutter, sieht die beiden Freunde an, wie wenn sie erst jetzt Zeit hätte, ihnen zum Abschied ein letztes Wort zu sagen, mit dem sie deren Mitgefühl für das Herrliche, was ihr widerfahre­n ist, gewinnen kann. Mit ihrer freien Hand deutet sie auf den Boden, damit die anderen sähen, daß David Holm da bußfertig und reuevoll zu ihren Füßen liegt, und ihre unaussprec­hliche Freude teilen. Aber in demselben Augenblick beugt sich der Schwarzgek­leidete über sie und sagt:

„Du Gefangene, du Holdselige, tritt heraus aus deinem Gefängnis!“

Da sinkt die Kranke in ihr Kissen zurück, und das Leben verläßt sie mit einem Seufzer. In demselben Augenblick wird David Holm von einer harten Hand weggerisse­n.

»24. Fortsetzun­g folgt

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