Koenigsbrunner Zeitung

Abends, kurz nach neun, in Augsburg

Fast jeden Tag herrscht in der Stadt wenige Minuten vor der Ausgangssp­erre noch rege Betriebsam­keit. Wer jetzt noch ohne Grund unterwegs ist, sieht zu, dass er schnell nach Hause kommt. Wenig später sieht es ganz anders aus

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Die Aral-Tankstelle an der B17 ist nicht erst seit Corona ein beliebter Treffpunkt für junge Augsburger. Doch seit den Ausgangsbe­schränkung­en hat sich hier so etwas wie ein sozialer Raum entwickelt. Man kann sich auf dem Parkplatz sehen und bei einem Bier oder Energydrin­k kurz ein wenig plaudern. Auch an einem Abend in dieser Woche gegen 20.45 Uhr ist hier wieder Betrieb, zu zweit oder auch in kleinen Grüppchen stehen Menschen zusammen und scheinen den kalten Abend zu genießen. Nichts deutet darauf hin, wie sich nur etwas später die Szenerie verändern wird.

Christian und seine Verlobte Clarissa stehen mit ein paar Freunden auf eine Zigarette auf dem Parkplatz der Tankstelle. „Unser Sozialverh­alten hat sich durch die Ausgangssp­erre schon sehr verändert“, berichtet er. Früher habe man sich frühestens um 22 Uhr hier draußen getroffen und dann den Abend zusammen verbracht. „Jetzt kommen wir abends hier kurz vorbei, holen Getränke und schauen, ob wir jemanden zufällig treffen. Eine Zigarette, dann geht es wieder nach Hause.“Seiner Freundin gehen die Abende mit den Kumpels stark ab. „Die Sperrstund­e finde ich willkürlic­h gewählt“, sagt sie. „Ob wir um 21 Uhr oder um 22 Uhr nach Hause gehen, ist dem Virus doch egal!“

Doch mit dem Gesetz will hier niemand in Konflikt kommen. Wie ein Kommando hört man um 20.50 Uhr Autotüren schlagen, überall auf dem Tankstelle­ngelände blenden Scheinwerf­er auf. In einer eiligen Choreograf­ie reihen sich die Autos aneinander und fahren in Richtung B17, und damit in die Stadt, davon. Kein einziges Auto steht mehr auf dem Platz. Ziemlich genau zehn Minuten brauche man von hier bis in die Wohnvierte­l von Lechhausen, hatten die jungen Leute vorher noch berichtet.

Im Tankstelle­ngebäude, wo gerade noch Menschen mit Getränken in der Hand an der Kasse standen, ist es mit einem Mal still geworden. „Das bleibt jetzt so, bis sich morgen früh gegen 5 Uhr die ersten Arbeiter ein Frühstück holen“, weiß Lisa Ossyra an der Kasse. Die 24-StundenTan­kstelle liegt, geschuldet der Ausgangssp­erre, die Nacht über wie ausgestorb­en da. „Zwischen 19 und 21 Uhr ist richtig viel los, weil sich die Menschen mit Getränken und Snacks für den Abend eindecken“, sagt die Verkäuferi­n. In der Tankstelle gibt es einen Getränkema­rkt, weshalb die Preise hier moderat sind. Die einzigen Fahrzeuge, die nach 21 Uhr noch zum Tanken kämen, seien Lkw auf der Durchfahrt. „Wir nutzen die Ruhe, um sauber zu machen und Ware einzuräume­n“, sagt Lisa Ossyra.

Genauso leer sieht es eine Stunde später auch in der Innenstadt aus. Am Königsplat­z wartet Taxifahrer Raed Warshane auf den letzten Fahrgast für diesen Tag. „Nachts braucht niemand mehr ein Taxi – ich mache um 22 Uhr Schluss“, sagt er. Gerade mal 20 bis 30 Taxen würden im gesamten Stadtgebie­t dann noch späte Gäste transporti­eren – und dabei mehrere Stunden zwischen den einzelnen Fahrten im Auto warten.

Kurz darauf öffnet er die Türe seines Taxis für Andrea Mehler, die sich erschöpft in die Sitze sinken lässt. Die Altenpfleg­erin kommt aus Lechhausen von der Arbeit und will nur noch nach Hause. „Die Ausgangssp­erre ist mir ziemlich egal“, sagt sie. Von ihrem Arbeitgebe­r hat sie eine Bescheinig­ung, dass sie so spät noch unterwegs sein darf. „Ich bin froh, dass ich noch ein Taxi bekommen habe, das ist erheblich angenehmer, als mit den Öffentlich­en zu fahren“, findet die Frau.

Richtig blöd findet Davut die Ausgangssp­erre. Der junge Mann wartet gegen 22 Uhr am Königsplat­z auf eine Straßenbah­n. Er kommt von einem Freund – eine Erlaubnis für seinen späten Weg hat er natürauf lich nicht. Dafür einige „Rezepte“, mit denen er glaubt, um eine drohende Strafe herumzukom­men. Immerhin kostet es 500 Euro, wenn ihn die Polizei ohne triftigen Grund zu dieser Stunde antrifft. „Die Polizisten rennen nicht gerne – ich konnte schon zweimal einer Kontrolle davonlaufe­n“, behauptet er. Für den Notfall hat er sich noch ein paar „triftige Gründe“zurechtgel­egt, die er erzählen will.

Um 22 Uhr ist die Augsburger Innenstadt auch an diesem Abend wieder wie leer gefegt. Ein Polizeiaut­o fährt im Schritttem­po über den Königsplat­z in Richtung Hauptbahnh­of. Eine einzelne Frau, die schnellen Schrittes über den Platz läuft, ignorieren die Beamten. Die Ausgangssp­erre wirkt – die Menschen bleiben ihn ihren eigenen vier Wänden.

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Fotos: Peter Fastl Abends, kurz vor halb zehn, in Augsburg. Nur eine Person ist in der Innenstadt noch unterwegs – sie ist auf dem Heimweg von der Arbeit.
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Der Taxifahrer Raed Warshane macht mit seinem Taxi nach 21 Uhr kaum noch Um‰ satz.
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Bis kurz vor 21 Uhr herrschte an dieser Tankstelle im Norden von Augsburg noch re‰ ger Betrieb.

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