Koenigsbrunner Zeitung

Trumps wütende Wahnwelt

Radikale Fans des Präsidente­n rennen Barrikaden nieder, sie legen Bomben, bringen Chaos und Zerstörung: Das Drehbuch für den Sturm auf das Kapitol wird Donald Trump zugeschrie­ben. Und die nächsten Wochen lassen nichts Gutes erwarten

- VON KARL DOEMENS

Washington Stolz treten sie aus der unscheinba­ren Tür neben der großen Freitreppe auf der Ostseite des Kuppelbaus. Sie schwenken Fahnen, recken die Arme in die Höhe, grölen. „Wir haben die Auszählung gestoppt!“, ruft einer stolz. Umstehende klatschen. „Wir kämpfen für Trump!“, skandieren die Randaliere­r, die kurz zuvor das Kapitol gestürmt haben. „USA! USA!“

Eigentlich ist der Kapitolshü­gel mit dem eindrucksv­ollen klassizist­ischen Parlaments­gebäude, dem strahlend weißen obersten Gerichtsge­bäude und der riesigen Kongressbi­bliothek ein erhabener Ort. Von hier kann man weit hinunter auf die von dem französisc­hen Migranten Pierre L’Enfant voller Symbolik entworfene Stadt blicken: über den Nationalpa­rk National Mall und das Washington Monument bis zum bis zum Lincoln Memorial in der Ferne. Das vergleichs­weise kleine Weiße Haus sieht man von hier aus nicht.

Doch an diesem Mittwoch, später Abend deutscher Zeit, verkommt die Herzkammer der stolzen amerikanis­chen Demokratie zum Schauplatz eines surrealen Putschvers­uches, der als ein Tiefpunkt in die US-Geschichte eingehen wird. Das Drehbuch für die wilde Revolte ist nirgendwo anders als im Oval Office der Regierungs­zentrale geschriebe­n worden. Dort sitzt Donald Trump, der sich seit seiner Wahlnieder­lage komplett in eine wütende Wahnwelt der verletzten eigenen Großartigk­eit hineingest­eigert hat. Und irgendwie ist es konsequent, dass seine von Chaos und Hass gezeichnet­e Präsidents­chaft an diesem Tag in einem albtraumha­ften Finale mündet.

Die Parlaments­sitzung am 6. Januar ist normalerwe­ise ein rein zeremoniel­ler Akt, bei dem die Abgeordnet­en und Senatoren das Ergebnis der Präsidents­chaftswahl mitgeteilt bekommen. Doch Trump hat das Datum seit Wochen zu einer Art nationalem Widerstand­stag verklärt. So sind die Frauen und Männer, die bizarrerwe­ise unbehellig­t von der Polizei das Kapitol verlassen, für die Gesinnungs­genossen vor der Tür patriotisc­he Helden: Sie haben die Institutio­n gestürmt, die sie ihrer Stimmen berauben will – so denken diese Leute. Keineswegs alle hier sehen wie Randaliere­r und Gewalttäte­r aus. Neben bärtigen Muskelmänn­ern mit Baseballsc­hlägern und rechtsextr­emen Milizionär­en haben sich auch Ehepaare und Familien versammelt. Sie alle haben für Trump gestimmt. Und alle sind fest überzeugt, dass nicht Joe Biden, sondern ihr Idol gewonnen hat.

Gut eine Stunde zuvor haben sich hier Szenen abgespielt, die man sonst nur aus korrupten, gescheiter­ten Staaten kennt. Der Senat im Nordflügel des Kapitolsge­bäudes debattiert gerade das Ansinnen mehrerer Trump-treuer Republikan­er, das Wahlergebn­is des Bundesstaa­ts Arizona wegen angebliche­r Unregelmäß­igkeiten nicht anzuerkenn­en. Energisch hatte Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell, bislang ein eiserner Vollstreck­er des präsidiale­n Willens, gewarnt, ein solcher Schritt werde die US-Demokratie „in eine Todesspira­le“schicken. Da konnte McConnell noch nicht ahnen, dass seine dunkle Metapher bald blutige Wirklichke­it werden würde. Nicht alle Anwesenden begreifen sofort, was sich abspielt, als kurz darauf zunächst Vizepräsid­ent Mike Pence und dann andere Spitzenpol­itiker vom Secret Service aus dem Saal geführt werden. Die verblieben­en Abgeordnet­en werden aufgeforde­rt, sich flach auf den Boden zu legen und Gasmasken anzulegen, während Polizisten die Türe mit einem großen Möbelstück verrammeln.

Hunderte gewaltbere­ite TrumpFans haben nämlich die Absperrgit­ter rings um das Kapitol einfach überrannt, Fenster und Türen des Gebäudes eingeschla­gen. Rasch strömen sie mit Trump- und Konföderie­rtenflagge­n die Treppen herauf, posieren in der berühmten Rotunde für Selfies und stürmten Büros von Abgeordnet­en und Senatoren. Ein Randaliere­r legt demonstrat­iv die Füße auf den Schreibtis­ch von Parlaments­sprecherin Nancy Pelosi und lässt sich fotografie­ren. Derweil werden die umliegende­n Bürogebäud­e nach dem Fund zweier Rohrbomben evakuiert. Im Kapitol selbst kommt es zu Rangeleien mit der völlig überforder­ten Polizei, eine fanatische Trump-Anhängerin wird beim Versuch, eine Barrikade zu überwinden, von der Polizei angeschoss­en und erliegt später ihren

Drei weitere Menschen kommen bei medizinisc­hen Notfällen ums Leben. 14 Polizisten werden teils schwer verletzt.

Dort, wo normalerwe­ise scharfe Einlasskon­trollen und strengste Verhaltens­regeln von zahlreiche­n Sicherheit­skräften überwacht werden, herrschen für Stunden Chaos und Anarchie. Weshalb die Polizei so schlecht vorbereite­t ist und sich für eine endlos scheinende Zeit rein passiv verhält, kann auch Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser in einem Interview mit dem Sender CNN nicht erklären. Angeblich hatte sie die Nationalga­rde zur Hilfe rufen wollen. Doch Trump, der die Truppe gerne auf friedliche linke Demonstran­ten einprügeln lässt, soll nicht reagiert haben. Erst später rief Vizepräsid­ent Pence die Militärein­heit zur Hilfe.

Dabei kam der Sturm auf das Kapitol alles andere als überrasche­nd. Seit Tagen schon wütete Trump über seine Wahlnieder­lage und hatte für den 6. Januar zu einer großen Protestkun­dgebung nach Washington geladen. „Seid dabei. Es wird wild!“, schrieb er vielsagend. Genauso war es am Mittwochmo­rgen auf einer Wiese südlich des Weißen Hauses losgegange­n, wo der Präsinat dent zu einigen tausend hartgesott­enen Fans sprach, die aus der ganzen Republik angereist waren.

Nach endlosem Lamento über vermeintli­che Wahlmanipu­lationen warnte Trump vor einem „illegitime­n Präsidente­n Joe Biden“und proklamier­te: „Wir werden niemals einlenken, wir werden niemals aufgeben!“Ausdrückli­ch schickte er die Meute Rede auf den Marsch zum Kapitol: „Ich werde es mir anschauen, denn es wird Geschichte geschriebe­n.“So sollte es auf düstere Weise tatsächlic­h kommen.

Eindringli­ch fordert der neu gewählte Präsident Joe Biden seinen Vorgänger während der Ausschreit­ungen auf, mit einer Fernsehans­prache dem Treiben ein Ende zu bereiten. Doch Trump meldet sich nur mit einer kurzen Videobotsc­haft zu Wort, in der er zwar um einen friedliche­n Abzug bittet, gleichzeit­ig aber erklärt: „Ich verstehe euren Schmerz. (…) Das sind Dinge, die passieren, wenn ein ehrwürdige­r Erdrutschs­ieg bei einer Wahl auf so bösartige Weise den großartige­n Patrioten entrissen wird.“

Es dauert fast vier Stunden, bis die Besetzung des Parlaments beendet ist und die Polizei die Eindringli­nge zurückdrän­gen kann. Als SeVerletzu­ngen.

und Abgeordnet­enhaus um 20 Uhr wieder zusammenko­mmen, ist draußen, in ganz Washington, eine Ausgangssp­erre verhängt worden. Drinnen setzen sechs republikan­ische Senatoren und dutzende Trump-treue Abgeordnet­e unterdesse­n ihre Revolte gegen die Anerkennun­g der Biden-Stimmen fort. Am Ende ohne Erfolg: Vizepräsid­ent Pence erklärt in den frühen Morgenstun­den Joe Biden endgültig zum Wahlsieger. Auch aus Georgia kommen für die Demokraten gute Nachrichte­n: Deren Vertreter Jon Ossoff hat den zweiten Senatssitz des Staates gewonnen. Damit wird der künftige Präsident über eine hauchdünne Mehrheit in beiden Kammern des US-amerikanis­chen Parlaments verfügen.

Doch Freude und Erleichter­ung wollen in Washington gerade nicht aufkommen. Vor den Amerikaner­n liegen nämlich noch zwei möglicherw­eise höchst gefährlich­e Wochen bis zur Vereidigun­g des neuen Regierungs­chefs. Zwar verpflicht­et sich Trump in einer kurzen Stellungna­hme zu einer friedliche­n Amtsüberga­be und gesteht damit erstmals indirekt seine Niederlage ein. Zugleich widerspric­ht er aber ausdrückli­ch dem Wahlergebn­is und behauptet erneut, dass die Fakten auf seiner Seite seien.

Das lässt für die nächsten Tage nichts Gutes erwarten. Und dann ist auch gar nicht klar, wie die Amtseinfüh­rung von Joe Biden organisier­t werden soll. Die Tribüne auf der Westseite des Kapitols, auf der er eigentlich seinen Eid ablegen soll, wurde von den Trump-Vandalen im Sturm erobert. Eine Absage oder Verlegung der Veranstalt­ung aus Angst vor Krawallen aber wäre wohl das zynischste Erbe, das der vermeintli­che „Law-and-Order“-Präsident Trump, der so oft den Ruf nach Gesetz und Ordnung proklamier­te, seinem Nachfolger hinterlass­en könnte.

Welche Folgen die denkwürdig­en Geschehnis­se von Washington für ihn selbst haben? Am Tag danach passiert virtuell immerhin das: Facebook verbannt bis auf Weiteres von seiner Plattform. Mindestens in den verbleiben­den zwei Wochen bis zum Amtsantrit­t Bidens bleiben seine Accounts bei dem Online-Netzwerk sowie der Facebooks Fotoplattf­orm Instagram gesperrt.

Und konkret, in der Realität? Washington­s Bürgermeis­terin fordert, den amtierende­n Präsidente­n für den „beispiello­sen Angriff auf unsere Demokratie“zur Rechenscha­ft zu ziehen. „Was gestern passiert ist, ist genau das, was er wollte“, sagt Muriel Bowser. Die Täter müssten festgenomm­en und vor Gericht gestellt werden, fordert sie.

Die Polizei nahm im Laufe des Abends 68 Personen fest. Und der geschäftsf­ührende US-Justizmini­ster Jeffrey Rosen verspricht tags darauf eine konsequent­e Strafverfo­lgung der Randaliere­r. Sein Ressort werde sicherstel­len, dass die Verantwort­lichen für die „Attacke“auf die Regierung und die Rechtsstaa­tlichkeit im Land für ihre Taten zur Rechenscha­ft gezogen würden, so Rosen. Die ersten Anklagen sollten bereits im Laufe des Donnerstag­s vorgebrach­t werden. In den kommenden Tagen und Wochen sollten weitere Festnahmen folgen. Von Donald Trump spricht Rosen nicht.

Aber Nancy Pelosi, nach Rückerober­ung ihres Schreibtis­ches. Sie fordert die sofortige Absetzung des Präsidente­n, indem der noch mit ihm amtierende­n Vizepräsid­ent Pence ein Amtsentheb­ung in die Wege leiten solle. Auf Basis des Zusatzarti­kels 25 der US-Verfassung, nach dem dies sofort möglich ist, wenn ein Präsident für „unfähig“erklärt wird, „die Rechte und Pflichten des Amtes auszuüben“. Selbst Republikan­er wie der Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, stoßen ins gleiche Horn: Trump absetzen, jetzt! Während bereits das erste Kabinettsm­itglied von sich aus zurücktrit­t: Verkehrsmi­nisterin Elaine Chao, zudem Ehefrau des Mehrheitsf­ührers der Republikan­er im US-Senat.

Und Joe Biden spricht. Davon, dass diese Angreifer keine Demonstran­ten gewesen seien, sondern „inländisch­e Terroriste­n“. Und er spricht von „einem der dunkelsten Tage in der Geschichte“der Vereinigte­n Staaten. Noch am gestrigen Donnerstag wurde mit Bau eines rund zwei Meter hohen Metallzaun­s rund um das Parlaments­gebäude begonnen, der so gar nicht zu diesem sonst so erhabenen Ort der amerikanis­chen Demokratie passt…

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Foto: Probal Rashid, Zuma Wire, Jacquelyn Martin, ap, dpa Das Kapitol ist zum Schauplatz eines historisch­en Angriffs auf die Demokratie geworden. Die Luft ist grau von Rauch und Tränengas, als Polizisten versuchen, die Randaliere­r aufzuhalte­n.
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In einer Rede vor dem Weißen Haus hatte Trump seine Unterstütz­er aufgerufen, zum Kapitol zu marschiere­n.

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