Koenigsbrunner Zeitung

„Verstörend­e Bilder mit Symbolkraf­t“

Der USA-Experte Thomas Jäger erklärt, welche Folgen die dramatisch­en Ereignisse für die amerikanis­che Demokratie haben werden – und warum ein Comeback Trumps möglich ist

- Interview: Michael Pohl

Sind die Ereignisse und Bilder von der Erstürmung des amerikanis­chen Parlaments im Kapitol in Washington der bisherige Tiefpunkt der Ära von Präsident Donald Trump?

Thomas Jäger: Ja, man kann tatsächlic­h von einem Tiefpunkt dieser ungewöhnli­chen vierjährig­en Amtszeit sprechen. Die Toten und die verstörend­en Bilder der Parlaments­besetzung, wie Randaliere­r auf dem Stuhl des Senatspräs­identen oder im Büro der Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, Platz nehmen, führen mit Symbolkraf­t vor Augen, wohin vier Jahre Donald Trump die Vereinigte­n Staaten geführt haben. Diese Bilder sind Ergebnis der langen tiefen politische­n Spaltung, die Donald Trump in seiner Amtszeit auf die Spitze getrieben hat.

Ist die Symbolkraf­t der Bilder von Trump-Anhängern im Urwaldkost­üm und Südstaaten­flagge an einem der wichtigste­n Ort der westlichen Demokratie­n noch mächtiger als die Ereignisse selbst?

Jäger: Das ist meistens so, das ist die Macht der Bilder. Wenn man diese Symbole von den Ereignisse­n trennt, bleiben gewalttäti­ge Ausschreit­ungen, bei denen man sich schon sehr fragen muss, warum den anstürmend­en Massen am Kapitol kaum Polizei gegenübers­tand. Ganz Washington hat damit gerechnet, dass es zu Ausschreit­ungen kommt, nachdem Trump zum Protestmar­sch aufgerufen hat. Und dann war vor dem Kapitol fast niemand da, um die Demonstran­ten abzuhalten. Das war ein krasser Fehler der Sicherheit­skräfte. Das ist verwunderl­ich: Das Kapitol verfügt selbst über starke Polizeikrä­fte. Und die Polizei in Washington untersteht dem Polizeiprä­sidenten und der von den Demokraten regierten Stadt.

Wie beschädigt ist die amerikanis­che Demokratie?

Jäger: Die Institutio­nen der amerikanis­chen Demokratie sind nicht beschädigt, sie funktionie­ren noch. Es sind auch nicht die hässlichen Bilder, die die amerikanis­che Demokratie beschädige­n, es ist die tiefe politische Spaltung in den Vereinigte­n Staaten. Es gibt keinerlei Kompromiss­bereitscha­ft, kein Streben nach Ausgleich in der Politik, jeder lebt in einer eigenen Welt, seiner eigenen Wirklichke­it.

Welche Folgen hat es aber für die Demokratie, wenn Abgeordnet­e in ihrem eigenen Parlament vor einem wütenden Mob fliehen müssen?

Jäger: Dabei kommt es im gespaltene­n Amerika auf den Standpunkt an, von dem die Seiten ihren Blick auf die Demokratie werfen. Für die Abgeordnet­en, die vor dem Mob geflüchtet sind, war dieser Aufstand ganz klar ein Anschlag auf die Demokratie. Die Trump-Anhänger, die das Kapitol gestürmt haben, sehen das genau andersheru­m: In ihrer Parallelwe­lt sitzen die Feinde der Demokratie im Kongress, die ihnen nach ihrer Auffassung die Wahl gestohlen haben. Hier prallen zwei völlig unterschie­dliche Wirklichke­iten aufeinande­r, angefacht durch die Fantasien eines Präsidente­n, der immer noch in der Lage ist, ganz viele Menschen zu begeistern.

Im Tränengasn­ebel ging fast unter, dass Trump nun eine friedliche Amtsüberga­be zugesicher­t hat. Hat die Eskalation der Ereignisse ihn zum Einlenken bewogen?

Jäger: Diese Meldung zeigt schon, wie irrwitzig die Situation inzwischen geworden ist: Ein amerikanis­cher Präsident sagt etwas eigentlich völlig Selbstvers­tändliches, doch aus dem Mund von Donald Trump ist das eine Nachricht, die um die Welt geht. Donald Trump hat vermutlich bis Mittwoch tatsächlic­h geglaubt, dass es für ihn noch eine Chance gibt, das Wahlergebn­is zu kippen. Er hat seine Anhänger aufgeforde­rt, Druck auf den Kongress zu machen, dass es Neuwahlen in manchen Bundesstaa­ten geben soll oder das Repräsenta­ntenhaus den Präsidente­n wählt. Das war natürlich völlig wirklichke­itsfremd. Aber in seiner Fantasiewe­lt hat er noch die Chance gesehen, seine Präsidents­chaft zu bewahren. Mit der Abstimmung im Repräsenta­ntenhaus war das Spiel für ihn aber vorbei.

Mit Vizepräsid­ent Mike Pence und Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell haben sich die führenden Republikan­er im Kongress von Trump abgewendet. Ist die Ära Donald Trump bei den Republikan­ern damit endgültig vorbei? Jäger: Nein, das ist sie nicht. Das gilt vielleicht für die Funktionär­e der Republikan­er. Sie wenden sich von Donald Trump immer mehr ab.

Doch entscheide­nd sind in den USA nicht die Funktionär­e, die Trump am liebsten schon lange losgeworde­n wären, sondern die Parteibasi­s. Die in den Wählerverz­eichnissen der Republikan­er eingetrage­nen Amerikaner haben die Macht, jeden Gegner von Donald Trump bei Vorwahlen abzustrafe­n. Trumps Macht stützt sich nicht auf die Funktionär­e, sondern auf seine Popularitä­t an der Basis, die ihn groß gemacht hat.

Wird sich die Basis nach den Ereignisse­n von Trump abwenden?

Jäger: Es ist noch zu früh zu sagen, ob die Bilder von Washington einen Meinungsum­schwung bewirken. Die Erfahrunge­n der vergangene­n vier Jahre sprechen eher dagegen, dass Trump wirklich Rückhalt verliert. Trump hat bei der Präsidents­chaftswahl trotz allem über 70 Millionen Stimmen bekommen. Möglicherw­eise sind manche erschrocke­n über die Vorkommnis­se, andere denken vermutlich, es musste so kommen.

Halten Sie ein Comeback Trumps in vier Jahren jetzt noch für möglich? Jäger: Das hängt ganz von der Präsidents­chaft Joe Bidens ab. Davon, ob er eine Agenda der Mitte verfolgen wird und versucht, die gespaltene Gesellscha­ft zu versöhnen, oder ob sich jetzt mit der neu gewonnenen Senatsmehr­heit die linken Demokraten durchsetze­n. Viele wollen Biden jetzt zu einer linken Agenda drängen, das würde die Spaltung der amerikanis­chen Gesellscha­ft weiter vertiefen. Wenn Biden beispielsw­eise das Oberste Gericht um linke Richter erweitert, würde das Trump klar in die Hände spielen.

Muss Trump nach dem Kapitol-Angriff juristisch Konsequenz­en fürchten? Jäger: Es wird überlegt, noch in den letzten Tagen ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen ihn einzuleite­n. Doch die Demokraten müssen sich fragen, ob sie Trump wirklich den Gefallen tun wollen, dass er vor seinen Anhängern noch als Märtyrer erscheint. Der Vorwurf würde allerdings auf Hochverrat lauten. Wenn sich unabhängig davon ein Staatsanwa­lt findet, der Trump nach dem Ende seiner Amtszeit wegen Hochverrat­s anklagen will, dann würde es tatsächlic­h zu einem juristisch­en Verfahren gegen Trump kommen.

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Foto: Manuel B. Ceneta, dpa Die Bilder nach dem Sturm aufgewiege­lter Trump‰Anhänger auf das Kapitol sorgten weltweit für Entsetzen – und werden lange nachwirken.
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Thomas Jäger, 60, lehrt als Professor für Außen‰ politik und internatio­nale Politik an der Universitä­t in Köln.

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