Koenigsbrunner Zeitung

Schluss mit der deutschen Amerika-Fixierung

Der Sturm des Kapitols in Washington wühlt Politik und Medien auf. Dabei brauchen wir die US-Demokratie gar nicht mehr als Vorbild

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Ein verheißene­s Land – so hat Barack Obama seine Autobiogra­fie überschrie­ben. Nach der Stürmung des Kapitols in Washington, nach vier Jahren unter der Führung von Obamas Nachfolger Donald Trump, nach einer seit zwei Jahrzehnte­n währenden Krise der politische­n Kultur ist von der Verheißung Amerika nicht mehr viel übrig.

Und dennoch kommentier­en Journalist­en und Politiker aus Deutschlan­d in den sozialen Netzwerken die Trump-Rebellion in Echtzeit und mit ehrlichem Entsetzen, als ginge das Paradies auf Erden unter. Empört wird ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Trump gefordert, dessen Amtszeit ohnehin in weniger als zwei Wochen endet.

Vergleichb­ar sind diese Aufrufe des Erschrecke­ns mit dem Anbrüllen des Fernsehers, wenn in einem

Finale der Fußball-Weltmeiste­rschaft einem Spieler der eigenen Mannschaft ein furchtbare­r Fehler unterläuft. Doch der Spieler hört die Schreie nicht, genauso wenig wie es Trump und seine Fußtruppen jetzt tun.

In Deutschlan­d glauben noch immer viele aufgeklärt­e Menschen mit kindlichem Glanz in den Augen an die Geschichte vom guten Amerika. An die Geschichte vom GI, der Kaugummi an die Kleinen verteilt, und an die Rosinenbom­ber, die Bonbons abwerfen. An die Geschichte vom Tellerwäsc­her, der es durch harte Arbeit, Fleiß und Disziplin zum Millionär bringen kann. Und an die Geschichte von der großen Freiheit, in der die Amerikaner angeblich leben.

Wie in allen guten Erzählunge­n stecken Wahrheitsk­örnchen darin, der Rest gehört in das Reich der Legende. Amerika ist nicht das neue Jerusalem, das die Pilgerväte­r als glänzende Stadt auf einem Berg errichten wollten.

Die USA haben nach dem Krieg die Demokratie nach Westdeutsc­hland gebracht und dafür gesorgt, dass die Herrschaft des Volkes fest verankert wird. Dafür gebührt ihnen Dankbarkei­t. Ihr eigenes demokratis­ches System ist allerdings nicht erst seit Donald Trump marode und kein leuchtende­s Vorbild mehr. Selbst Obama, in dessen Amtszimmer ein Bild von Arbeitern hing, die die Fackel der Freiheitss­tatue polieren, konnte den Verfall nicht stoppen.

Das Zweipartei­ensystem aus Republikan­ern und Demokraten begünstigt die Polarisier­ung der Gesellscha­ft. Politik in Washington ist das Geschäft von Millionäre­n und Milliardär­en, der Einfluss der Konzerne enorm, der Wahlkampf ein Werfen mit Schmutz. All das ist sattsam bekannt.

Für uns in Deutschlan­d gibt es keinen Grund, in Schrecken und Entsetzen zu geraten, weil unser Amerika-Bild nun einen weiteren hässlichen Fleck bekommen hat.

Denn erstens ändert sich durch Aufwallung, Appelle und Ermahnunge­n aus Germany in den USA rein gar nichts und zweitens brauchen wir Amerika nicht mehr als Vorbild und Rückversic­herung für die Demokratie in Deutschlan­d. Ihre Wurzeln – die antike Volksherrs­chaft, das Christentu­m mit seinem Gleichheit­spostulat, die Reformatio­n mit der Gewissensf­reiheit und die Aufklärung, der Sozialstaa­t – liegen ohnehin hier in der Alten Welt.

Es wird Zeit, sich eine neue Nüchternhe­it zu verordnen, das kindliche Gebanntsei­n zu bannen und die Geschichte vom guten Amerika in einer Schublade verstauben zu lassen.

Vielleicht kann man sie in vier Jahren wieder hervorhole­n. Joe Biden wird die Amtsgeschä­fte übernehmen und verfügt über eine Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Noch ist aber jeder Präsident gescheiter­t, der das Land heilen wollte.

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