Koenigsbrunner Zeitung

„Ein Instrument der Hilflosigk­eit“

Bayern diskutiert über die neuen Corona-Maßnahmen Gegen die 15-Kilometer-Zone für Corona-Hotspots formiert sich Widerstand. Der Präsident des Landkreist­ages berichtet von massiver Verärgerun­g. Der Grünen-Fraktionsc­hef spricht von „Gängelung der Bürger“

- VON ULI BACHMEIER

München Bisher konnte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) darauf setzen, dass nicht nur die Regierungs­parteien, sondern eine breite Mehrheit hinter seiner Corona-Strategie steht. Gegen die geplante 15-Kilometer-Zone rund um Corona-Hotspots, die nach der Vereinbaru­ng der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und den Beschlüsse­n der Staatsregi­erung ab Montag auch in Bayern gelten soll, aber formiert sich Widerstand.

Der Präsident des bayerische­n Landkreist­ages, der Deggendorf­er Landrat Christian Bernreiter (CSU), berichtet von massiver Verärgerun­g der Bürger: „Bei uns hier kocht die Volksseele.“Bei den Grünen im Landtag, die den Kurs der Staatsregi­erung bisher im Grundsatz mitgetrage­n haben, herrscht Unverständ­nis. „Für mich ist diese Regelung ein Instrument der Hilflosigk­eit“, sagt Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann. „Das ist eine Gängelung der Bürger, die auf Kosten der Akzeptanz der Maßnahmen geht. Damit verspielt Söder das Vertrauen der Bürger.“

Erklärtes Ziel der Ministerpr­äsidenten und der Bundeskanz­lerin ist es, wie berichtet, die Mobilität in Städten und Landkreise­n mit hohen Infektions­zahlen einzuschrä­nken. Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 Fällen pro 100000 Einwohner sollen touristisc­he Tagesausfl­üge über einen Umkreis von 15 Kilometern um den Wohnort hinaus untersagt werden – auch um die Zahl der Kontakte in beliebten und phasenweis­e heillos überfüllte­n Ausflugszi­elen zu verringern.

Dass dieses Instrument, was die Verringeru­ng von Kontakten am Ausflugsor­t betrifft, in weiten Teilen Bayerns sehr wahrschein­lich wirkungslo­s bleiben wird, wurde inschnell klar. Die an Sonn- und Feiertagen besonders von Tagestouri­sten überlaufen­en Orte in den Landkreise­n Miesbach, GarmischPa­rtenkirche­n und Rosenheim sowie einige wenige touristisc­he Hotspots im Allgäu werden voraussich­tlich kaum Entlastung spüren, weil es in ihrem Einzugsgeb­iet aktuell keine Städte und Landkreise mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 gibt.

Grünen-Fraktionsc­hef Hartmann hält die Regelung grundsätzl­ich für eine Fehlkonstr­uktion: „Ob die Menschen 15 oder 30 Kilometer in die freie Natur fahren, um im Corona-Lockdown Kraft zu tanken und abzuschalt­en, spielt unter Infektions­schutz-Gesichtspu­nkten keine Rolle. Letztlich geht es doch um Kontaktver­meidung – und die ist draußen leichter möglich als in voldes len Büros, Werkhallen oder U- und S-Bahnen. Auflagen und Beschränku­ngen, die derart erkennbar am Ziel vorbeischi­eßen, untergrabe­n die Akzeptanz für andere, sinnvolle und notwendige Maßnahmen der Corona-Politik. Mir fehlt dafür jedes Verständni­s.“

Noch mehr und noch konkretere­n Ärger freilich gibt es jetzt schon dort, wo die Infektions­zahlen hoch sind – zum Beispiel im Bayerische­n Wald in Niederbaye­rn. „Bei uns tobt das Volk“, sagt der Deggendorf­er Landrat Bernreiter. In seinem Landkreis und im Nachbarlan­dkreis Regen liegen die Inzidenzwe­rte über 200. Eine 15-Kilometer-Zone für Corona-Hotspots hätte hier Folgen, die als ungerecht empfunden würden. Bernreiter: „Die Leute sagen: Wir dürfen nicht auf die Rusel zum Schlittenf­ahren oder auf den Arber zum Skifahren, aber die Leute aus Regensburg, Dingolfing oder Freising dürfen das.“

Der Präsident des Landkreist­ages versucht deshalb in Abstimmung mit der Staatsregi­erung eine gerechtere und nachvollzi­ehbarere Lösung durchzuset­zen. Wenn schon eine weitere Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit notwendig sei, so lautet seine Forderung, dann dürfe nicht nur untersagt sein, einen Corona-Hotspot zu Freizeitzw­ecken zu verlassen, sondern auch, dort ohne triftigen Grund hinzufahre­n. „Zu einer sinnvollen Kontaktbes­chränkung gehört für mich auch, dass touristisc­he Hotspots mit hohen Inzidenzwe­rten nicht besucht werden dürfen. Dann verstehen das die Leute auch“, sagt Bernreiter.

Darüber hat auch Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU), zugleich Stimmkreis­abgeordnet­e für den bei Ausflügler­n besonders beliebten Landkreis Miesbach, schon nachgedach­t. Einen ganzen Landkreis für Touristen zu sperren, so sagt sie, sei aber rechtlich nicht möglich. Betretungs­verbote könnten nur im Einzelfall in klar abgegrenzt­en Bereichen erlassen werden. „Man kann die Leute nicht aussperren“, sagt auch ihr Kollege Martin Bachhuber (CSU), Stimmkreis­abgeordnet­er für Bad Tölz-Wolfratsha­usen und Garmisch-Partenkirc­hen. Es bleibe nur „der dringliche Appell an die Vernunft“. »Kommentar

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Screenshot: calcmaps.com, AZ Sollte die Stadt Augsburg wieder den kritischen Inzidenzwe­rt von 200 Corona‰Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen reißen, dürften die Einwohner diesen blauen Kreis nicht mehr verlassen.

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