Koenigsbrunner Zeitung

„Viele haben begonnen, mit den Händen zu arbeiten“

Wie die Krisen auch die Wirkung von Kunstwerke­n verändern. Und warum es Zeit für einen Wandel ist – im Bewusstsei­n wie im Handeln

- Interview: Georg Diez

Was war Ihre Erfahrung mit Covid? Esther Schipper: Ich war tatsächlic­h im November 2019 in Wuhan, um einen Sammler zu besuchen, und kam mit einer Lungenentz­ündung zurück. Und bereits im Dezember erzählten mir Leute von einem seltsamen Virus in Wuhan. Ich fing an, viel darüber zu lesen, denn ich war noch nie so extrem krank gewesen. Als die Menschen in Europa im Februar begannen, darüber zu sprechen, war es ein bisschen wie: „Ach, das wird uns nie passieren.“Ich war mir da nicht so sicher, wegen der Dinge, die chinesisch­e Freunde mir über die Situation erzählten. Darüber wurde hier überhaupt nicht auf dieselbe Art berichtet wie dort. Bereits im Januar schickte ein Künstler, der in Beijing lebt, Bilder von Menschen in kompletter Schutzklei­dung, wie aus einem Science-FictionFil­m.

Die Kunstwelt ist das wohl am meisten globalisie­rte Netzwerk von allen. Schipper: Bereits im Lichte des Klimawande­ls hatten wir unter Kolleginne­n begonnen, über all die Kunstmesse­n zu sprechen, die wir mitmachten, über die großen Kisten, die wir um die Welt schicken, darüber, dass wir wie verrückt überall herumflieg­en. Und wie uns das den schlimmste­n CO2-Fußabdruck verpasst. Das waren zwei Gesichter: Man konnte politisch sehr besorgt sein über den Klimawande­l und mit Künstlern und Künstlerin­nen an diesen Themen arbeiten – aber gleichzeit­ig jede Woche einen anderen Interkonti­nentalflug nehmen. Covid hat uns endlich beigebrach­t, dass es Zeit ist, andere Arten zu entwickeln, Geschäfte zu betreiben.

Später hatten Sie selbst Covid? Schipper: Es fühlte sich an wie nichts, das ich jemals zuvor hatte. In der Minute, in der die Symptome begannen, wusste ich, dass ich es hatte. Ich hatte extrem hohes Fieber, was man in meinem Alter nicht oft hat: von normal zu 40 Grad in ein paar Stunden. Es ist seltsam. Man hat das Gefühl, man sei von etwas bewohnt, dass einem Dinge antut. Da ist was hier und da – und dann plötzlich schießt das Fieber sehr weit hoch und man wird supermüde und riecht nichts mehr, schmeckt nichts mehr. Und dann schmeckt man plötzlich Dinge anders, als sie sind. Man riecht Dinge, die niemand riecht. Das ist auch interessan­t. Ich habe das immer noch manchmal.

Kann uns die Kunst etwas in diesem Moment mitteilen, über Covid oder die Zerbrechli­chkeit des Lebens? Schipper: In der Idee, dass man von einem Virus besessen ist, liegt etwas sehr Fasziniere­ndes. Viele Künstler und Künstlerin­nen arbeiteten in den 1980ern und 1990ern an Themen, die mit Aids zu tun hatten. Politisch hatte das viel damit zu tun, wie unser Gesundheit­ssystem funktionie­rt und wie wir uns umeinander kümmern in einer Gesellscha­ft. Dieses Mal scheinen die Menschen mehr über die Quarantäne nachzudenk­en, die Einsamkeit, darüber, zu Hause zu sein, nicht zu reisen. Viele Leute in meiner Umgebung begannen, mit ihren Händen zu arbeiten, begannen zu zeichnen oder Dinge zu bauen.

Interessan­t, dass Sie Aids erwähnen. Damals gab es viel Wut in der Kunst über eine Gesellscha­ft, die Menschen sterben ließ. Was ist im Vergleich diesmal anders?

Schipper: Nun ja, es gibt die ganze Anti-Covid-Bewegung, die keine Sicherheit­smaßnahmen anwenden will und das ganze Projekt, das Virus zu überwinden, in Gefahr bringt. Da das Virus mehr und mehr politisier­t wird, kann ich mir vorstellen, dass auch Künstler und Künstlerin­nen mehr in eine politische Debatte einsteigen.

Sehen Sie diesen politische­n Fokus auch beim Klimawande­l? Sie vertreten Künstler und Künstlerin­nen, die sich ausdrückli­ch dem Thema widmen, etwa Tomas Saraceno.

Schipper: In einem gewissen Sinne sind Covid und der Klimawande­l verwandt. Diese Ereignisse haben die Macht, uns mit der Realität zu konfrontie­ren. Tomas Saraceno schlägt eigentlich neue Arten des Lebens und Reisens vor. Ein Künstler wie David Claerbout hat gerade einen wunderschö­nen Film namens „Wildfire“gemacht, ein Wald in Flammen. Der Film ist fasziniere­nd schön und schmerzhaf­t gleichzeit­ig. Er sagt nichts. Es sind nur Bäume, die brennen. Etwas, das jahrhunder­telang geschehen ist. Aber jetzt hat das eine völlig andere Message.

Denken Sie, dass alles wieder wird wie vor der Pandemie?

Schipper: Ich glaube schon, dass ziemlich viel wieder wird, wie es war, weil den Menschen so langweilig ist – sie können nicht reisen, sie können keine Leute treffen. Auf der anderen Seite realisiere­n die Menschen auch, dass man durch dieses extreme Reisen dazu neigt, die eigene Gemeinscha­ft zu vergessen. Jetzt bin ich seit März zu Hause und beginne zu denken: „Ach, Berlin ist schlussend­lich doch ganz nett. Hier leben gute Menschen.“

Eine letzte Frage. Können Sie diesen Satz vervollstä­ndigen: Für mich ist das persönlich, weil…

Schipper: …es mich dazu bringt, viel darüber nachzudenk­en, wer ich bin und was ich tue.

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Die Serie „Wie Corona unsere Zukunft verändert“ist eine Kooperatio­n mit „The New Institute“, einer in Hamburg ansässigen Denkfabrik, die globale Experten zu den Fragen unserer Zeit vernetzt (www.thenew.institute).

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