Koenigsbrunner Zeitung

400 Jahre Rathaus: Das „vergessene“Jubiläum

Augsburgs Prachtbau steht seit 1620 – und damit seit 400 Jahren. Eigentlich wollte die Stadt das feiern, wenigstens ein bisschen, doch die Rechnung ging nicht auf. Von neuen Plänen, alten Ideen – und nackten Tatsachen

- VON NICOLE PRESTLE

Viele deutsche Städte haben ältere Rathäuser als Augsburg, nur wenige haben größere. Was Baumeister Elias Holl ins Augsburger Zentrum stellte, sucht in ganz Mitteleuro­pa seinesglei­chen. Tatsächlic­h steht der Renaissanc­ebau heute vor allem wegen eines Konkurrenz­kampfs da: Die Fugger hatten im 16. Jahrhunder­t mit einigen Bauten im italienisc­hen Stil von sich reden gemacht. Die Patrizier konnten und wollten sich das nicht bieten lassen. So setzten sie Fuggerhäus­ern und -kapelle kurzerhand ein neues Rathaus entgegen. Ein Gebäude, über das man viele Geschichte­n erzählen kann.

Im Jahr 1620 war der Bau fertig, ihn „hochzuzieh­en“hatte nur fünf Jahre gedauert, allerdings auch Opfer gefordert: Das vorherige, gotische Rathaus musste erst abgerissen werden. Nicht etwa, weil es baufällig gewesen wäre. „Es entsprach einfach nicht mehr dem Zeitgeist“, sagt der Augsburger Autor Martin Kluger, der vor Kurzem ein Geschichts­buch über das Augsburger Rathaus verfasst hat.

Vergangene­s Jahr hätte der HollBau, der in jedem Augsburg-Reiseführe­r zu finden ist, sein 400-Jähriges feiern können. Hätte, denn wie aus so vielen Veranstalt­ungen wurde auch aus dieser wegen der Corona-Pandemie nichts. Die Stadt hatte zwar einen Festakt samt Ausstellun­g geplant, als im März aber der erste Corona-Fall in Augsburg bekannt wurde, legte man die Pläne auf Eis. Was blieb, waren eine Mini-Ausstellun­g im Unteren Fletz, bei der das erste Sitzungspr­otokoll von 1620 zu sehen war, und eine Sonderbrie­fmarke der LogisticMa­il-Factory. Alles aber nicht so schlimm, heißt es aus der Stadtverwa­ltung. 1620 habe ohnehin nur die Hülle des Rathauses gestanden. „Der Innenausba­u war erst vier Jahre später abgeschlos­sen“, sagt Hauptamtsl­eiter Bernhard Maurmeir.

Nun könnte auch das Jahr 2021 ein Holl-Jubiläum gefeiert werden, immerhin jährte sich Anfang Januar der Todestag des Baumeister­s zum 375. Mal. Doch die Stadt hat auch dieses Ereignis hintangest­ellt. Wichtiger ist der 500. Geburtstag der Fuggerei, der im August gefeiert wird. Holl muss also weiter warten, genau gesagt noch zwei Jahre: 2023 steht sein 450. Geburtstag an. Dann werde es, sagt Maurmeir, „wohl einen Festakt, Vorträge und Ausstellun­gen geben“.

Tausende von Touristen kommen in normalen Jahren ins Augsburger Rathaus, was sie vor allem anzieht ist der Goldene Saal samt seiner Fürstenzim­mer. Über 32 Meter ist er lang, über 17 Meter breit und gut 14 Meter hoch.

„Adäquat genutzt wurde der Saal letztlich nie“, sagt Autor Martin Kluger. Denn der eigentlich­e Plan der Patrizier, sich mit dem Neubau wieder die Reichstage zu sichern, ging nicht auf. Nur noch einmal, 1713, rief der Kaiser zu dieser wichtigen Versammlun­g nach Augsburg, danach lief Regensburg der Fuggerstad­t den Rang ab.

Wer heute aufmerksam durch den Goldenen Saal geht, kann dort viele Hinweise auf die Geschichte der Stadt entdecken. Gemälde zeigen die fünf Augsburger Hauptgewäs­ser Lech, Wertach, Singold, Brunnen- und Senkelbach. Sie verherrlic­hen das Haus Habsburg und die römischen Kaiser. Besonders amüsiert ist Autor Kluger aber über eine Darstellun­g an einer der östlichen Fensterlai­bungen. Ein strammer Putto streckt dort seinen nackten Po in Richtung des Lechvierte­ls. Die Augsburger Stadtwache sprengte dort am Ostersonnt­ag des Jahres 1528 eine geheime Versammlun­g der reformator­ischen Täuferbewe­gung.

Ob der nackte Po im Goldenen Saal tatsächlic­h ein Bild gewordener Beleg für damalige Auseinande­rsetzungen über den vermeintli­ch wahren Glauben sind, kann Martin Kluger nicht sagen. „Über Schriftque­llen ist das kaum zu belegen.“Aber vielleicht ist das eine Frage, die bis zum nächsten Jubiläumsj­ahr erforscht werden kann.

OLiteratur Das Buch „Das Renais‰ sanceratha­us und der Goldene Saal in Augsburg“von Martin Kluger ist im Con‰ text‰Verlag erschienen. Es kostet 6,90 Euro.

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Foto: Martin Kluger Dieser Putto streckt den Besuchern des Goldenen Saals seinen nackten Po entgegen. Vielleicht waren die Adressaten seiner Geste aber auch andere ...

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