Koenigsbrunner Zeitung

„Übertrifft unsere Befürchtun­gen“

Die USA und Tschechien müssen auf das Turnier verzichten. Das hat immerhin eine schöne Geschichte zur Folge

- VON MARC STEVERMÜER

Gizeh Am sehr späten Dienstagab­end lief auf einmal die Waschmasch­ine im Hause Schmid. Der Herr des Hauses, der auf den Vornamen Andy hört und in der HandballBu­ndesliga für die Rhein-Neckar Löwen spielt, musste packen. Und zwar unerwartet. Es geht für den Schweizer mit seiner Nationalma­nnschaft nach Ägypten. Abflug am Donnerstag­morgen nach Kairo, WM-Auftaktspi­el am Donnerstag­abend in Gizeh gegen Österreich. Klingt verrückt. Oder „surreal“, wie es Schmid nennt. Aber was ist in diesen wilden Zeiten schon normal? Eine rhetorisch­e Frage.

Die Eidgenosse­n rücken für das US-amerikanis­che Team nach, das auf die WM verzichten muss. 18 positive Corona-Tests beförderte­n die Mannschaft aus dem Wettbewerb, für den sie sich übrigens gar nicht qualifizie­rt hatte. Die USA erhielten eine Wildcard vom Weltverban­d IHF, für den das Fehlen der Auswahl von Trainer Robert Hedin ein schwerer Schlag ist. Denn die IHF will den amerikanis­chen Markt für sich gewinnen, die WM-Spiele der US-Mannschaft wären live vom großen Sportsende­r ESPN übertragen worden. Und jetzt dieses Desaster, von dem die Schweizer profitiere­n. „Ich hatte mich eigentlich auf Homeschool­ing eingestell­t“, sagt Schmid. Lesen, schreiben, rechnen wollte er mit seinem Sohn Lio. Nun spielt er eine WM. Seine erste. Im gefühlten Handball-Rentenalte­r von 37 Jahren, was aber nicht an ihm liegt. Der Spielmache­r genügt seit Ewigkeiten allerhöchs­ten Ansprüchen. Schmid gehört zu den Besten der Welt, nur seine Kollegen im Nationaldr­ess waren eben über viele, viele Jahre stets nicht nur eine, sondern zwei oder drei Klassen schlechter als er. „Ich weiß, dass es wegen der Corona-Situation Argumente für und gegen die WM gibt. Aber ich muss das machen, ich muss diese WM spielen. Diese Chance habe ich wahrschein­lich nur dieses eine Mal in meinem Leben“, sagt Schmid, der mit den Löwen zwei Meistersch­aften gewann, einen Pokalsieg feierte und fünfmal zum besten Bundesliga­spieler gewählt wurde. Die WMTeilnahm­e. Sie ist das letzte Puzzleteil in Schmids illustrer Karriere, die bislang so ganz ohne Weltmeiste­rschaft durchaus etwas Tragisches hatte. Denn auf der größten Bühne des Handballs treffen sich nun mal die Besten und die Bekanntest­en. Ausgerechn­et mit ihm fehlte aber stets einer der Besten und Bekanntest­en.

So schön die Geschichte für Schmid auch sein mag, so gravierend ist aber schon jetzt der Imageschad­en für die WM, den Weltverban­d und den ägyptische­n Veranstalt­er. Denn mit den Tschechen, die auch zu viele Corona-Fälle haben und durch Nordmazedo­nien ersetzt wurden, musste eine weitere Nation kurzfristi­g seine Turniertei­lnahme absagen. Bei den Brasiliane­rn gibt es zudem sieben positive Tests, darunter Topspieler Thiagus Petrus vom FC Barcelona, Torhüter Leonardo Tercariol und Trainer Marcus „Tata“Oliveira.

Deutlich wurde Axel Kromer, Sportvorst­and des Deutschen Handballbu­ndes. Er sprach am Mittwoch nicht nur von „Hiobsbotsc­haften aus vielen Bereichen der Handball-Welt“, sondern gestand: „Das übertrifft unsere Befürchtun­gen. Für alle, die das alles enorm kritisch beäugen und bewerten, ist das natürlich eine Bestätigun­g.“

Immerhin: Die Kap Verden, am Sonntag zweiter deutscher Vorrundeng­egner, und zuletzt ebenfalls ein WM-Wackelkand­idat, wollen laut Mitteilung des nationalen Verbandes in Ägypten antreten. Wenn auch stark ersatzgesc­hwächt. Und ohne Trainer Jose Tomaz. Bei ihm liegt ebenso wie bei sechs Spielern und drei weiteren Mitglieder­n der Delegation ein positiver Corona-Test vor. Die Afrikaner vom AtlantikAr­chipel lassen sich dennoch nicht entmutigen. Der Verband garantiert­e, dass das Team „zuversicht­lich und motiviert ist“. Das Team verspreche, das Land zu würdigen und die Nation stolz zu machen. Und gesund bleiben wollen sie vermutlich auch.

● Eröffnungs­spiel Gastgeber Ägypten hat im Eröffnungs­spiel der WM einen 35:29 (18:11)-Sieg gegen Chile erzielt. Die Nordafrika­ner beherrscht­en vor leeren Rängen in Kairo von Anfang an die einseitige Partie.

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Andy Schmid

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