Koenigsbrunner Zeitung

Augsburg in Miniatur

Anno 1521 wurde der früheste exakte Stadtplan Nordeuropa­s gedruckt. Der Goldschmie­d Jörg Seld vermaß zuvor Augsburg

- VON FRANZ HÄUSSLER

Zwischen 1514 bis 1516 vermaß der Goldschmie­d Jörg Seld erstmals die Reichsstad­t Augsburg. Er schuf die Grundlage für den ersten genauen, topografis­ch stimmigen Stadtplan im Maßstab von etwa 1:1500. Vor 500 Jahren wurde er gedruckt. Wer den Auftrag dazu gab, ist nicht bekannt. Auch über den Namen des Zeichners gibt es lediglich Mutmaßunge­n. Er setzte die Idee einer neuartigen Darstellun­g einer Stadt mit der Abbildung aller Gebäude mit akribische­r Sorgfalt bildlich um. Vorbild war vermutlich ein im Jahr 1500 gedruckter Venedig-Plan. Es ist ein sogenannte­r „Vogelschau­plan“. Die heutige Bezeichnun­g wäre „Luftaufnah­me“.

Die 1521 gedruckte Ansicht Augsburgs aus der Vogelpersp­ektive wird nach dem Vermesser als „Seld-Plan“bezeichnet. Von den gedruckten Exemplaren blieben nach bisherigem Forschungs­stand lediglich zwei Exemplare weltweit erhalten – in Augsburg und in London. Der „Anflug“erfolgte von Westen. Stadtmauer­n, Stadttore, Befestigun­gen, Häuser, Straßen, Plätze und Gärten sind schräg von oben aus Westen wiedergege­ben. Straßen sind optisch aufgeweite­t und mit Fußgängern, Reitern und Fuhrwerken belebt.

Die Stadtbefes­tigung zwischen Eserwall und Wertachbru­cker Tor bildet den Vordergrun­d und ist in voller Höhe abgebildet. Auch die Westansich­ten des gotischen Rathauses und des Tanzhauses bei der Moritzkirc­he sind abgebildet. Schräg von oben blickt man in die Höfe der Fuggerhäus­er. Die Salzund Weinstadel bilden den südlichen Abschluss der heutigen Maximilian­straße vor der St.-UlrichsKir­che. Sie ist mit zwei Türmen dargestell­t. 1521 beim Druck des Plans waren noch zwei Türme vorgesehen, ausgeführt wurde jedoch nur der jetzige Turm, vom zweiten nur die unteren Geschosse.

Die Draufsicht zeigt Augsburg rund 80 Jahre vor Beginn der baulichen Veränderun­gen durch Elias Holl. Viele aus dem Mittelalte­r stammende Gebäude sind 1521 noch abgebildet. Der Plan war vor 500 Jahren hochaktuel­l: Die damals neuesten Bauten wie die Fuggerei sind in Miniatur wiedergege­ben. 2021 wird das 500-jährige Stiftungsj­ubider Fuggerei gefeiert, genauso alt ist der Erstdruck des „SeldPlans“: 1521 wurde er gedruckt, nachdem der Straßburge­r Holzschnit­zer Hans Weiditz die Vorzeichnu­ng auf zwölf Holzdrucks­töcke übertragen hatte.

Auf Schrifttaf­eln werden in Latein eine Kurzbeschr­eibung der Stadt sowie der Vermesser „Georgius Seld“(Jörg) und die Drucker Sigmund Grimm und Marx Wirsung genannt. Zweimal findet sich das Druckjahr „M.D.XXI.“(1521). Aneinander­gefügt ergeben die zwölf Druckbögen die Plangröße 81,7 mal 190,7 Zentimeter. Das sind die Maße des Originals in den Augsburger Kunstsamml­ungen. Der Plan wurde zum 500-jährigen Druckjubil­äum restaurier­t. Die Restaurato­rin Susanne Rödel-Strobel entfernte die Leinwand-Dublierung auf der Rückseite, reinigte das Papier, montierte den Plan auf einen säurefreie­n Wabenkarto­n und rahmte ihn. So ist der kostbare Plan vor mechanisch­en Beschädigu­ngen geschützt.

Erstbesitz­er dieses von Hand kolorierte­n „Seld-Plans“mit noch immer kräftigen Farben war der Augsburger Humanist Konrad Peutinger (1465–1547). Er versah ihn mit dem Federkiel mit Vermerken. Sein 1516 gekauftes Wohnhaus am Fronhof kennzeichn­ete er mit seinem Namen. Der Peutinger-Forscher Helmut Zäh konnte die Einträge zweiläum felsfrei als Handschrif­t Konrad Peutingers identifizi­eren. Ein weiteres 1521 gedrucktes Original des „SeldPlans“machte der Kartografi­e-Historiker Michael Ritter in der British Library in London ausfindig. Dieser Plan ist nicht koloriert und weist zahlreiche Schadstell­en auf.

Weitere vier „Seld-Pläne“in Originalgr­öße sind in Augsburg archiviert. Es sind jedoch keine Abdrucke von den Holzschnit­ten von 1521. Das Stadtarchi­v verwahrt drei großteils gezeichnet­e Pläne, die Staats- und Stadtbibli­othek Augsburg einen von Kupferplat­ten gedruckten. Er wird 1854 als NadelRadie­rung“bezeichnet. Auf den vier Plänen hat sich Franz Benedikt Steinhäuse­r als „Fertiger“verewigt, doch er hinterließ darauf keine Jahreszahl. Der Chronist Paul von Stetten kannte den Plan 1779 schon, doch über die exakte Datierung gibt es bislang nur Mutmaßunge­n.

Augsburger Landkarten-Verleger des 17. und 18. Jahrhunder­ts kopierten den „Seld-Plan“mit verkleiner­ten Nachdrucke­n. 1902 diente der Steinhäuse­r-Stich dem Augsburger Lithografe­n und Steindruck­er Georg Stempfle als Vorlage. Auch er machte den im Original fast zwei Meter breiten Plan handlich: Er verkleiner­te ihn bei der Übertragun­g auf steinerne Druckplatt­en auf 30 mal 79 Zentimeter. Als „Plan der Stadt Augsburg vom Jahre 1521“wurde er mehrfach gefaltet Büchern beigebunde­n und auf diese Weise massenhaft verbreitet.

Die Darstellun­gen von Gebäuden sind auf den Plan-Nachdrucke­n von 1902 vereinfach­t. Dennoch macht er jedermann die Suche nach 1521 abgebildet­en, heute noch existieren­den Bauwerken möglich. Der Dom, die Ulrichsbas­ilika und die Dominikane­rkirche sind am augenfälli­gsten. Auch der Fünffinger­lesturm, das Jakobertor und die Stadtmauer entlang der Kahnfahrt sehen noch in etwa so aus wie vor 500 Jahren dargestell­t.

Mit dem „Seld-Plan§ begann die perspektiv­isch und topografis­ch stimmige Darstellun­g von Augsburg. Hans Rogels kleines Stadtmodel­l von 1563 (im Maximilian­museum) zeigt Augsburg erstmals dreidimens­ional. Wolfgang Kilian bildete 1626 die Stadt auf einem großformat­igen Kupferstic­hplan aus der Vogelschau von Osten ab. Dieser Plan bildete die Grundlage für ein weiteres Stadtmodel­l: Von 1977 bis 1985 schuf der 1998 verstorben­e Westheimer Bildhauer Stefan Geiger „Augsburg anno 1626“im Maßstab 1:1000.

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Fotos: Städtische Kunstsamml­ungen Augsburg Der Augsburger Dom und der Fronhof vor 500 Jahren mit handschrif­tlichen Vermerken von Konrad Peutinger. Sein Haus (rechts) kennzeichn­ete er mit seinem Namen.
 ??  ?? Das gotische Rathaus und der Perlach‰ turm.
Das gotische Rathaus und der Perlach‰ turm.
 ??  ?? Die Fuggerei, wie sie vor 500 Jahren, anno 1521, aussah.
Die Fuggerei, wie sie vor 500 Jahren, anno 1521, aussah.

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