Koenigsbrunner Zeitung

Auf Tauchstati­on in der Antike

Wie verletzbar sind Gesellscha­ften in Krisenzeit­en? Justinian I. nutzte Märtyrerku­lt und Wunderheil­ung zur Systemsich­erung. Und wir?

- VON STEFANIE SCHOENE

Müssen in der Pandemie demokratis­che Prinzipien und Prozesse gekappt werden, damit der starke Staat Durchgriff hat? Wie haben das Vorgängerg­esellschaf­ten gemacht? Viren und Revolten sind ja nicht erst 2020 erfunden worden. Das Altertum liegt zwar weit zurück, aber Distanz klärt oft den Blick. Die Lehrstühle für Alte Geschichte und klassische Archäologi­e der Universitä­t Augsburg haben im Winterseme­ster sieben Vorträge zur Resilienz, zur Widerstand­skraft von Gesellscha­ften in Krisen, organisier­t.

„Mit diesem Begriff öffnet das einen neuen Zugang zum historisch­en Material. Unsere Leitfrage ist: Welche Mechanisme­n zur Beharrlich­keit von Systemen lassen sich aus den antiken Quellen erkennen?“, erklärt Gregor Weber, Inhaber des Lehrstuhls Alte Geschichte, die Reihe. Es ging bereits um Pompeji, Athen, um das Katastroph­enmanageme­nt der alten Kaiser und späten Etrusker. Jonas Borsch, Archäologe und Historiker aus Bern, referierte nun über Byzanz und die „Resilienz des oströmisch­en Kaisertums im sechsten und siebten Jahrhunder­t“.

Borsch ist als Katastroph­en- und Umweltgesc­hichtsexpe­rte bekannt. Sein Vortrag widmete sich Justinian (527–565), der in Konstantin­opel große Strecken seiner 40-jährigen Amtszeit um die Wiederbele­bung Westroms kämpfte. Die Resilienz muss groß gewesen sein, an Stress fehlte es nicht. Von Osten rückten die Perser gegen Byzanz, ab den 630er Jahren dehnte sich das islamische Herrschaft­sgebiet von Süden aus. Schwere Erdbeben, ein Vulkanausb­ruch 536 und 541 eine Beulenpest beschädigt­en sein Kaiserimag­e: „Kontrollve­rluste gab es einige in Justinians Herrschaft“, so Borsch. Innenpolit­isch machten ihm kirchenpol­itische Gegner das Leben schwer, auch der bedeutende zeitgenöss­ische Historiker Prokop polemisier­te gegen ihn. Es hieß, Justinian sei persönlich für die Katastroph­en verantwort­lich.

Wie ging Justinian damit um, wie sicherte er das byzantinis­che System? Er baute die Hagia Sophia, wurde durch Wunder geheilt, pilgerte zu Märtyrerik­onen, intensivie­rte die Marienvere­hrung. Kurz: Es war die Religion, die einheitsst­iftend wirkte, das byzantinis­che Kaisertum von Gottes Gnaden wurde am Ende nicht als Teil des Problems, sondern als Lösung gesehen.

Soweit Byzanz. Zur Gegenwart schweigt der Referent. Dabei wäre es interessan­t zu wissen, welche Faktoren die Resilienz begünstigt­en und ob das etwas für die Gegenwart bedeuten kann. Die Vortragsre­ihe dient traditione­ll auch der Vermittlun­g von Wissen in die Stadtgesel­lschaft. Dies fehlt. Auf Nachfrage erklärt Gregor Weber: „Wir liefern historisch­e Informatio­nen. Es ist nicht unsere Aufgabe, aktuelle Entwicklun­gen zu analysiere­n.“

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