Koenigsbrunner Zeitung

Im Schatten des Doms

Ballauf und Schenk und das Elend in der Großstadt Köln

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Ich heiße Ella“, sagt die Stimme aus dem Off. „Ich habe einen Job, eine Wohnung, einen Mann. Jetzt wird alles gut, daran habe ich wirklich geglaubt.“Für Ella Jung (Ricarda Seifried) aber ist nichts gut. Auf der Flucht vor ihrem Mann, einem Schläger, und aus Angst vor der Polizei landet sie auf der Straße und bettelt vorm Kölner Dom. Sie will nicht viel, eine eigene Dusche und ein sauberes Klo würden ihr erst einmal genügen.

Ella Jung, die denkt, ihren Mann in Notwehr erschlagen zu haben, möchte ein Leben – „Wie alle anderen auch“. So heißt der „Tatort“von Regisseuri­n Nina Wolfrum („Nord bei Nordwest“), der am Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD läuft, und der zwischen Sozialstud­ie und Märchen angesiedel­t ist.

Die scheinbar märchenhaf­te Wendung gleich zu Beginn: Axel Fahl vom „Dom Burger“nimmt Ella mit zu sich. Sie hatte mit der seit Jahren obdachlose­n Monika Keller (Rike Eckermann), die sich um sie kümmert, in dem Schnellres­taurant Kaffee getrunken und ihn einfach gefragt. Dann wird Monika tot aufgefunde­n: Ein Fall für Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die in der Folge wenig sprechen, dafür bedeutungs­schwer schauen.

Vielleicht sollte man diesem „Tatort“den Gefallen tun und ihn nicht als Krimi besprechen. Als solcher wäre er zu spannungsa­rm, zu wenig raffiniert, zu moralinsau­er. Man sollte ihn als hervorrage­nd besetzten Fernsehfil­m sehen, der bestens zum Sendeplatz „FilmMittwo­ch im Ersten“gepasst hätte.

„Wie alle anderen auch“hat starke Momente, die aus der genauen Beobachtun­g jener Menschen entstehen, die in den USA „working poor“ und in Deutschlan­d „Erwerbsarm­e“genannt werden. Da ist dieser Axel Fahl (Niklas Kohrt), der Teller abräumt und in einer Bruchbude haust. Da ist Katja Fischer (Jana Julia Roth), die im Auto schläft, nachdem ihr die Wohnung gekündigt wurde, und die trotz ihrer Arbeit als Altenpfleg­erin immer weiter abdriftet. Da ist Regine Weigand (Hildegard Schroedter), die Leiterin der Suppenküch­e, die selbst nicht viel hat. Da ist das Elend der Großstadt, das sich auch vor der Wurstbrate­rei, Ballaufs und Schenks Stamm-Imbiss, beobachten lässt. „Eine Billion Euro steckt unser Staat jedes Jahr in unser Sozialsyst­em, trotzdem müssen manche Rentner im Mülleimer nach Flaschen suchen. Kannste mir mal sagen, was die die ganze Zeit mit dem ganzen Geld gemacht haben?“, raunt und regt sich Ballauf auf.

Für einen Krimi wären das in ihrer Wikipedia-Haftigkeit samt Betroffenh­eitsgestus ärgerliche Sätze. Für eine Sozialstud­ie ist’s okay. Nicht okay sind die zuckrigen Bilder am Ende, und dass der Kölner Dom ständig gezeigt wird, ohne dass das für den Verlauf der Geschichte wichtig wäre. Daniel Wirsching

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Foto: WDR, Martin Valentin Menke Die Obdachlose Monika Keller (Rike Eckermann, links) hilft Ella Jung (Ricarda Seifried), sich auf der Straße durchzusch­lagen.
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