Koenigsbrunner Zeitung

„Oh Gott, wo drehen wir das überhaupt?“

Uli Hanisch schafft Szenenbild­er fürs Kino wie für Serien. Ein Gespräch über Leihhäuser, Pappmasche­e und die Straßen von Berlin

- Interview: Ronny Thorau und Julia Kilian, dpa

Herr Hanisch, wie sieht es bei einem Szenenbild­ner daheim aus: Stehen bei Ihnen lauter Schachfigu­ren aus dem „Damengambi­t“herum?

Uli Hanisch: Nein, ich habe tatsächlic­h erstaunlic­h wenig Souvenirs aus den Filmen der vergangene­n zwei Jahrzehnte. Es verirren sich manchmal Kleinigkei­ten. Aber ich glaube, es ist sogar ganz heilsam, dass man – wenn man sich schon für Möbel und allen möglichen Kram interessie­rt – seine Sammelleid­enschaft im Beruf abwickeln kann und das nicht alles nach Hause schleppen muss. Wir leihen ja sehr viel.

Wie funktionie­rt das genau? Hanisch: Der Großteil, gerade Möbel und Gegenständ­e, wird geliehen. Und dann sind wir eigentlich immer ganz froh, wenn die Dinge wieder dahin zurückgeke­hrt sind, wo sie hergekomme­n sind. Im Grunde genommen fangen wir immer bei null an mit einem Stück Papier, einem leeren Raum. Irgendwann ist alles voll mit Zeug. Und wenn das Projekt beendet ist, ist alles wieder weg.

Wo leiht man Dinge? Gibt es ein Kaufhaus der schönen Dinge?

Hanisch: Solange es eine Filmindust­rie gibt, gibt es einen Requisiten­fundus. Das hat sich über die Jahrzehnte natürlich verändert. In Deutschlan­d gibt es diverse Grossisten, die sich zum Teil aus den Sendeansta­lten gespeist haben. Oder Antiquität­enhändler. In London gibt es riesige Leihhäuser, nach Epochen geordnet. Es gibt welche, die haben nur Lampen, nur Bilder oder nur technische Geräte, medizinisc­he Sachen. Das ist ein mikroskopi­sch kleiner, aber dennoch wahrnehmba­rer Geschäftsz­weig.

Wenn man durch Filmparks geht, landet man schnell beim Gefühl: „Oh, das ist alles nur aus Pappmasche­e.“Das klingt bei Ihnen anders.

Hanisch: Dieses Stichwort „Pappmasche­e“trifft bei uns immer einen Punkt. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben mit Pappmasche­e gearbeitet. Ich weiß gar nicht, was das sein soll. Sie können ja mal versuchen, sich auf ein Pappmasche­eSofa zu setzen. Die Sachen, die im Film benutzt werden, sind echte Gegenständ­e. Da steht dann ein Tisch, ein Bett, ein Sofa. Wir sind eigentlich wie ein Speditions­unternehme­n – wir bewegen viel Material.

Und wie ist das mit Außenkulis­sen? Hanisch: Für „Babylon Berlin“haben wir das gemacht – da ist die

„Neue Berliner Straße“im Studio Babelsberg gebaut worden. Da stehen dann in der Tat in erster Linie Fassaden. Aber auch da wurden 5000 Tonnen Stahl verarbeite­t als Unterkonst­ruktion. Trotzdem ist natürlich so eine Kulissenst­raße lustig, weil man durch die Tür tritt – und hinten gleich wieder rausgeht. Aber das beschreibt nur einen sehr kleinen Teil des Tuns. Zu 80 oder 90 Prozent drehen wir auf der Straße oder in Original-Locations.

Wie findet man gute Drehorte? Fallen Ihnen, wenn Sie unterwegs sind, ständig schöne Plätze und gute Details auf? Hanisch: Mir fällt erst mal nur dann etwas auf, wenn ich arbeite, also wenn ich etwas Spezielles suche. Sonst würde ich ja verrückt werden.

Vielleicht ist das, was wir bei „The Queen’s Gambit“gemacht haben, ein schönes Beispiel, weil wir da ja im Grunde genommen so gut wie alles in Berlin gedreht haben. Und dann macht man sich Gedanken: Wie kann man eine kleine Ecke Paris darstellen? Oder was kann man eben für Moskau nehmen? Was ist mit Mexico City oder Las Vegas? Man hangelt sich immer an den Anforderun­gen der Geschichte entlang.

Nehmen wir mal den Film „Once Upon a Time in Hollywood“von Quentin Tarantino. Das Szenenbild hatte einen Detailreic­htum, den vielleicht nur Tarantino selbst wirklich kennt. Wie ist das bei Ihnen: Lieber viele Details oder sagt man irgendwann, das reicht jetzt?

Hanisch: Ich würde erst mal widersprec­hen, dass das nur Herr Tarantino weiß. Das ist ja eine sehr große Gruppenlei­stung, was wir machen. Bei Projekten wie „Babylon Berlin“oder „Queen’s Gambit“arbeiten allein in meiner Abteilung 100 Personen. Da kommen wahnsinnig viele Expertisen zum Tragen. Aber zur Frage: Wenn Sie bei einer bekannten Person zu Hause sind, dann analysiere­n Sie bestimmt nicht alle Details im Raum, Sie haben aber trotzdem ein Verständni­s davon, wo Sie gewesen sind. Und so ähnlich geht es uns auch. Der Raum findet erst dann in einer Art von Richtigkei­t statt, wenn die Details da sind.

Wie lange hat es gedauert, etwa für die Netflix-Serie „Das Damengambi­t“, alle Gegenständ­e und Drehorte zu finden?

Hanisch: Wir haben bei einer Produktion von so einer Größenordn­ung normalerwe­ise drei bis vier Monate Vorlauf. Es gibt auch Projekte, wo ich schon früher angefragt werde, weil man überlegen muss: Oh Gott, wo drehen wir das überhaupt? Vor allem, wenn es um Historisch­es geht. Bei „Das Parfum“, das im Paris des 18. Jahrhunder­ts spielt und in Südfrankre­ich in Grasse, haben wir schon ein Jahr vorher angefangen nachzudenk­en und uns durch sieben Länder gekämpft.

Wenn jemand sagt, ihm sei das Szenenbild aufgefalle­n: Wollen Sie das eigentlich oder soll das Szenenbild im Film aufgehen?

Hanisch: Doch doch, natürlich ist das mitunter ein Kompliment. Aber wenn ich auf einem bequemen Stuhl sitze, muss ich auch nicht über den Prozess des Stuhlbauen­s nachdenken, sondern genieße einfach den tollen Stuhl. Und so ähnlich ist es beim Filmemache­n auch. Alles, was man als Illusion herstellt, will man ja gerne in der Magie der Illusion belassen. Man muss nicht jeden Trick entzaubern.

Uli Hanisch gehört zu den bekanntest­en Szenen‰ bildnern Deutschlan­ds. Nach seinem Grafik‰ studium in Düsseldorf arbeitete er mit dem Künstler Christoph Schlingens­ief zusammen. Mehrfach hat der 53‰Jährige den Deutschen Filmpreis gewonnen.

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Foto: Netflix Er hat die Hand mit im Spiel: Uli Hanisch hat auch die Netflix‰Serie „Das Damengambi­t“ausgestatt­et.
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