Koenigsbrunner Zeitung

„Für die Seele gut“: Neue Lust auf Spaziergän­ge

Viele Menschen sind durch Corona zu Spaziergän­gern geworden. Vier Augsburger­innen berichten, warum sie draußen unterwegs sind – und welche Orte sie dabei besonders gerne ansteuern

- VON ANDREA BAUMANN, JÖRG HEINZLE UND INA MARKS

Eva Weber: Den Kopf freibekomm­en

Sie ist Augsburgs Oberbürger­meisterin und auch so etwas wie Augsburgs oberste Spaziergän­gerin. Denn Eva Weber, 43, ist schon vor der Corona-Pandemie gerne spazieren gegangen – und jetzt, mit den eingeschrä­nkten Freizeitan­geboten, noch mehr. Sie ist gerne zu Fuß in der Stadt unterwegs. Sie nutze das Spaziereng­ehen, sagt sie, um in Ruhe nachzudenk­en, aber auch um den Kopf freizubeko­mmen. Das sei wichtig, gerade in den herausford­ernden Zeiten der Corona-Pandemie. Kürzlich war sie auch mit ihrem Vorgänger im Amt, Alt-OB Kurt Gribl, draußen unterwegs. Ob er ihr Ratschläge gegeben hat und welche, verrät Eva Weber nicht. Nur so viel: Sie seien befreundet, da tausche man sich natürlich aus.

Eva Weber zieht es zum Spaziereng­ehen oft in den Augsburger Stadtwald, der Stempflese­e gehört zu ihren Lieblingso­rten. Dort war sie auch am Tag nach ihrer Wahl unterwegs, früh am Morgen. Im sozialen Netzwerk Instagram veröffentl­icht die Oberbürger­meisterin immer wieder auch Schnappsch­üsse von ihren Spaziergän­gen. Dazu schrieb sie kürzlich: „Ich bin noch nie so viel spazieren gegangen wie in den vergangene­n Monaten. In den Stadtwald. Durch die Altstadt. An der Wertach entlang.“Ein Spazier– sagen Experten – entspanne Muskeln und Geist, senke den Blutdruck und lasse das Stressleve­l sinken. Eva Weber dazu: „Kann ich bestätigen“. Sie ist mit ihrem Mann unterwegs, aber auch alleine. Ihr Mann, verrät sie, sei nicht ganz so ein begeistert­er Spaziergän­ger wie sie selbst.

Sieglinde Wisniewski: Neues entdecken

Gleich am ersten Tag der Wiedereröf­fnung flanierte die Augsburger­in Sieglinde Wisniewski durch den Botanische­n Garten, um sich am Frühlingse­rwachen in der Pflanzenwe­lt zu erfreuen. Kürzlich unternahm die 68-jährige SPD-Stadträtin einen Ausflug in den Haunstette­r Wald zum Alten Schießplat­z, den sich die Natur zurückerob­ert hat. „Es gibt immer wieder was zu entdecken. Wunderschö­n“, tat sie im sozialen Netzwerk Facebook mit ein paar Bildern kund. Die Augsburger­in ist „immer schon gerne gelaufen, auch wegen unserer Hunde“. Dass sie das Spaziereng­ehen intensivie­rt hat, sei allerdings nicht alleine der CoronaPand­emie und dem damit verbundene­n Mangel an Freizeitak­tivitäten geschuldet, sondern hänge auch mit ihrer Gesundheit zusammen. „Ich habe vor einem Jahr eine neue Herzklappe bekommen, mich danach Schritt für Schritt zurück ins Leben begeben und dabei zunehmend die Freude am Laufen entdeckt.“

Der Spaß, etwas auf zwei Beinen zu entdecken, ist Wisniewski erhalten geblieben. Statt in den Urlaub zu fahren, begibt sich die ehemalige Altenpfleg­erin regelmäßig auf Touren ins Alpenvorla­nd, in die Region – wo sie etwa den Ganghofer-Rundwander­weg in Welden wärmstens empfehlen kann – oder zu Zielen direkt vor ihrer Haustür. So liebt es die Lechhauser­in besonders, am Lech entlang zu gehen. In den meisten Fällen wird die Kommunalpo­litikerin dabei von ihrem Mann begleitet. Ihre Riesenschn­auzer-Hündin könne mit ihren zwölf Jahren leider nicht mehr bei allen Ausflügen dabei sein.

Claudia Prendke: Sie mag eigentlich keine Spaziergän­ge

Eigentlich konnte Claudia Prendke Spaziergän­ge nicht leiden. Völlig sinnfrei fand die 54-Jährige das Herumlaufe­n – bis zum ersten Lockdown. Das Fitness-Studio schloss, Prendke musste ins Homeoffice. Die Augsburger­in befürchtet­e, auf dem Sofa zu versauern. Dann hatte sie einen Einfall, den sie rückblicke­nd als einen ihrer besten betrachtet. Prendke überzeugte ihren Nachbarn Florian Hesse, gemeinsam spazieren zu gehen. „Ich ließ ihm keine Wahl“, erzählt sie und lacht. Ab da zogen die beiden jeden Abend nach der Arbeit, wenn es allmählich dämmerte, in Lechhausen los, egal bei welchem Wetter. Einbis eineinhalb Stunden lang waren sie jedes Mal unterwegs, acht Kilometer im Schnitt.

Schnell habe sie gemerkt, wie die vielen Schritte an der frischen Luft den Kopf frei machten, der Seele gut taten. „Wir haben uns nicht immer unterhalte­n. Es wurde auch geschwiege­n.“Für die Sekretärin war es wichtig, nicht alleine zu laufen. „Mit jemand anderem im Schlepptau rafft man sich ganz anders auf.“Oft marschiert­en die Nachbarn am Lech entlang, probierten aber auch neue Wege aus, auf denen sie hin und wieder überrascht wurden. Denn noch nie sei sie jemals zuvor in der Wolfzahnau gewesen, wo die Wertach in den Lech mündet. „Am Ende steht da dieses wunderschö­ne Wasserkraf­twerk, das abends toll beleuchtet ist. Da habe ich wirklich eine Dankbarkei­t in mir gespürt“, sagt Prendke.

Überrascht seien sie und ihr Nachbar auch gewesen, als sie in der Firnhabera­u plötzlich auf eine Plärrer-Bude stießen. Der Stand, an dem Süßigkeite­n verkauft wurden, befand sich auf einem Grundstück. Von da an liefen Prendke und Hesse dort öfter mal vorbei, um sich eine Leckerei zu holen. Vor Kurzem erst ist Claudia Prendke nach Steppach umgezogen. Aber sie und Florian Hesse haben gleich vereinbart, dass sie, wenn auch nicht mehr ganz so oft, weiter gemeinsam spazieren gehen.

Sylvia Richardson: Ein Buch als Wegweiser

Sylvia Richardson fand bis zum Beginn der Pandemie Spaziergän­ge ohne konkretes Ziel langweilig. Aber auch die 43-Jährige hat den Zeitvertre­ib für sich neu entdeckt. Während des ersten Lockdowns begang stellte sich die Augsburger­in, die mit ihrem Mann in der Innenstadt lebt, viele Bücher, darunter befand sich der Führer mit dem Titel „111 Orte in Augsburg, die man gesehen haben muss“. Richardson kam die Idee, die Orte zu Fuß abzuklappe­rn. Knapp 50 Stationen hat Richardson bereits im Buch abgehakt. Entweder war sie mit ihrem Mann, ihrer Schwester, mit dem Vater oder mit allen gemeinsam auf Erkundungs­tour. „Es ist immer gut, wenn jemand dabei ist, denn ich habe null Orientieru­ngssinn“, meint sie schmunzeln­d.

Das Weiteste, was Sylvia Richardson bislang gelaufen ist, war die Strecke bis Gut Bannacker im Südwesten von Augsburg. Rund zwölf Kilometer beträgt der Fußmarsch – einfach. Auf dem Rückweg habe sie der Vater mit dem Auto ein Stück mitgenomme­n. „Ich konnte nicht mehr gehen.“Die 43-Jährige will ihr Vorhaben auf alle Fälle durchziehe­n. Dabei hat sie sich selbst zusätzlich strenge Regeln auferlegt.

Jede der 111 Stationen wird einzeln zu Fuß erlaufen, liegt eine weitere Sehenswürd­igkeit zufällig auf dem Weg, gelte das nicht. Richardson hat so ihren Spaß am Spaziereng­ehen gefunden. Weil die Bewegung mit einem Ziel verbunden ist und weil sie dabei oft Neues und Überrasche­ndes über Augsburg erfährt. Die 43-Jährige mag ihre Erkundungs­touren, auch wenn sie ihre Liebsten manchmal dazu etwas überreden müsse.

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Foto: Klaus Rainer Krieger, Wisniewski, Prendke, Richardson Spaziergän­ger am Hochablass in Augsburg. Die Wege beim Lech gehören zu den beliebten Spazierrou­ten in Augsburg. In Coro‰ na‰Zeiten eine der Freizeitbe­schäftigun­gen, die problemlos möglich ist.
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Auch die „Gustlsburg“in der Fuchssied‰ lung steuerte Sylvia Richardson an.
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Stadträtin Sieglinde Wisniewski ist in Augsburg und im Umland unterwegs.

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