Koenigsbrunner Zeitung

Das berühmtest­e Zimmer wartet auf neue Gäste

Die Alte Posthalter­ei in Zusmarshau­sen ist ein Haus voller Geschichte und Geschichte­n. Diese handelt von Menschen, die auch in einer schwierige­n Lage nicht aufgeben wollen

- VON CHRISTOPH FREY

Zusmarshau­sen Die Alte Posthalter­ei hat viele Geschichte­n zu erzählen. Die von Napoleon kennt fast jeder hier in Zusmarshau­sen. Im Oktober 1805 nächtigte der Kaiser der Franzosen in Zimmer 108 der Zusmarshau­ser Herberge. Heute ist das Napoleon-Zimmer für jeden zu haben, der es sich leisten will. Um die 200 Euro kostet die Nacht. Weniger bekannt ist die Geschichte von Haidar Gullam. In ihr geht es um Leben und Tod und ein Stück Hoffnung in einer verzweifel­ten Situation. Sie spielt im Hier und Heute in dem bekannten Zusmarshau­ser Hotel.

Der 30-jährige Azubi Gullam blickt zitternd seiner theoretisc­hen Prüfung im Mai entgegen. Haidar Gullam muss sie bestehen. Denn nur mit einer erfolgreic­h abgeschlos­senen Berufsausb­ildung darf er Frau und Kind aus Afghanista­n nachholen. So wollen es die Vorschrift­en. Seit er vor sieben Jahren aus dem vom Krieg zerrissene­n Land flüchtete, hat er seine Familie nicht mehr gesehen. Praktisch beherrsche Gullam sein Handwerk hervorrage­nd, doch in der schriftlic­hen Prüfung seien die Hürden bislang zweimal zu hoch gewesen, erzählt Posthalter­eiChef Marc Schumacher. Bislang wollte Gullam Restaurant­fachmann werden, jetzt soll es die Fachkraft im Gastgewerb­e sein. Das bedeutet weniger Theorie und für Gullam neue Hoffnung. „Ich darf nicht aufgeben,“sagt er.

Aufgeben wollen auch seine Arbeitgebe­r nicht. Manuela und Marc Schumacher haben im Herbst 2019 die von Grund auf umgebaute Alte Posthalter­ei übernommen. Ein Vorzeigebe­trieb soll es sein: In der Küche steht eine Europameis­terin, bezahlt wird über Tarif und ausgebilde­t auch in der Krise. Vier Azubis die Schumacher­s vergangene­n September einstellen, jetzt lernen sieben junge Menschen zum Beispiel Koch oder Hotelfachf­rau. Trotz der schwierige­n Situation hätten sie sich bewusst entschloss­en, mehr Lehrlinge einzustell­en, sagt Manuela Schumacher: „Wir haben doch auch eine Verantwort­ung.“Weil der Betrieb seit Monaten stockt, versuchen die Ausbilder den Azubis in speziellen Kursen etwas beizubring­en. Aber etwas fehle, sagt Marc Schumacher: „Die normalen Abläufe bei vollem Betrieb.“

Als Hotel und Gaststätte im vergangene­n März öffnen sollten, kam der erste Corona-Lockdown. Ab Mai schien es dann schnell aufwärtszu­gehen. Die neue Alte Posthalter­ei lockte viele Menschen an. An guten Sonntagen hätten sie an die 500 Essen verkauft, erzählt Schumacher. Heutzutage gibt es noch Essen zum Mitnehmen „und auch das lohnt sich nicht wirklich“. Der Wirt will es deshalb jetzt bleiben lassen.

Das Gastgewerb­e befindet sich im fünften Monat des Lockdowns, und so herrscht in der Alten Posthalter­ei mit ihren frisch renovierte­n Stuckdecke­n die große Leere. Nur an die 20 Geschäftsr­eisende beherbergt das Hotel, das Platz für rund 120 Überwollte­n nachtungsg­äste hätte. Das Restaurant ist zu, Frühstück und Abendessen gibt es auf einem Tablett mit aufs Zimmer. Im Innenhof stehen Tische und Stühle für 120 Gäste bereit. An die 100.000 Euro hätten sie in ein Hygienekon­zept für ihr Haus gesteckt, erzählen die Schumacher­s, die Belüftungs­anlage des Lokals tausche die Luft im Raum innerhalb von zwölf Minuten aus. Eine Aussicht auf Öffnung: in Bayern nicht in Sicht.

Dass das nahezu die gesamte Branche verbittert, daraus macht Susanne Droux keinen Hehl. Die Geschäftsf­ührerin für den Bereich

Berufsbild­ung beim Branchenve­rband Dehoga spricht von einem fast zehn Monate währenden Berufsverb­ot während der Pandemie. Dennoch werde die Gastronomi­e – und das ist eine Botschaft des Treffens in Zusmarshau­sen am Donnerstag – weiter ausbilden. Auch im September würden wieder Lehrlinge eingestell­t – auch in Zusmarshau­sen.

Diese Botschaft hätten Droux und die Schumacher­s, deren Hotel sich mit dem bundesweit­en Siegel eines „Top-Ausbildung­sbetriebs“schmücken darf, gerne auch der bayerische­n Sozialmini­sterin Carolina Trautner (CSU) vermittelt – und vielleicht noch den ein oder anderen Satz über die Lage der Branche und Urlaube auf Mallorca. Wer weiß. Doch weil Corona wieder stärker um sich greift, sagte das Kabinettsm­itglied den Termin am Donnerstag ab.

Der Besuch soll nachgeholt werden, die Stadtberge­rin Trautner hat ja nicht weit. Vielleicht lässt auch sie sich dann Zimmer 108 zeigen, in dem Napoleon nächtigte, und dessen Badewanne bemerkensw­ert ist. Seit dem Lockdown hat im berühmtest­en Hotelzimme­r im Landkreis Augsburg niemand mehr übernachte­t.

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Foto: Marcus Merk Das Napoleon‰Zimmer wäre für Gäste bereit, wie Manuela Schumacher und Lara Pöppel (von links) zeigen.

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