Wie lange hält die Wirtschaft das noch aus?
Das ewige Hin und Her, nicht eingehaltene Versprechen und fehlende Perspektiven verunsichern Unternehmer. Die Lage ist ernster als es scheint
Im Herbst 2008 weckten deutsche Spitzenpolitiker noch Erwartungen, denen sie gerecht werden konnten. Nachdem das Ausmaß der Finanzkrise offenbar wurde, versicherten Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück den Bürgern: „Ihre Einlagen sind sicher.“Merkel und Steinbrück beruhigten die Lage und hielten Wort.
Das ist Regierungskunst, wie sie gerade Unternehmer, die schwierige Investitions- und damit Arbeitsplatzentscheidungen treffen müssen, erwarten dürfen. Doch aus Regierungskunst wird zum Leidwesen vieler Firmeninhaber zunehmend Regierungsmurks. Politisch Verantwortlichen unterlaufen schwere handwerkliche Fehler, die in einer sich wieder verschärfenden Corona-Krise erheblich auf die Stimmung der Menschen drücken, was sich ökonomisch negativ niederschlagen kann. Ist aber dennoch die zum Teil massive Kritik vieler Unternehmer an der Politik ungerechtfertigt, ja ein Ausdruck von Undankbarkeit in Anbetracht einer für alle neuen Pandemie-Ausnahmesituation? Wäre nicht Nachsicht angebracht? Milde hat Gesundheitsminister Jens Spahn ja wiederholt eingefordert, etwa wenn er sagte: „Wir werden wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“So viel steht fest: Die Bundesregierung hat das Gutmütigkeitskonto der Unternehmer überzogen.
Der Gesundheitsminister erwies sich als Ankündigungsminister, als er früh Corona-Selbsttests „überall für alle“versprach. Die Kanzlerin hat Spahns Versprechen einkassiert, ließ jedoch selbst Unternehmer ratlos zurück, indem sie mit ihrer berühmten „Osterruhe“den Eindruck erweckte, am Gründonnerstag müssten wirtschaftliche Aktivitäten weitgehend ruhen – eine Einschätzung, die sie selbst um Nachsicht heischend kassierte.
Ein derart mangelhaftes Erwartungsmanagement überstrapaziert ohnehin angespannte Nerven von Unternehmern, zumal die Bundesregierung munter weitermacht: Die Drohung Merkels, sie könne Firmen zu Corona-Zwangstests der Mitarbeiter verdonnern, kommt in der Wirtschaft denkbar schlecht an. Denn viele Firmen testen bereits, und es ist nicht leicht, derart große Mengen an Tests zu für Betriebe vertretbaren Kosten zu beschaffen.
Wenn ein Politiker von einem Unternehmer etwas einfordert, muss er sich sicher sein, dass dieser dazu auch in der Lage ist. Das ist einfachstes Regierungshandwerk.
Es drängt sich der Eindruck auf, im Politik-Raumschiff Berlin fehle im Merkel-Umkreis das Wissen, wie sich Entscheidungen beim wirtschaftlichen Fußvolk auswirken. Die ökonomische Lage ist jedenfalls prekärer, als es reine Zahlen wiedergeben: Der Ifo-Geschäftsklimaindex
ist zwar zuletzt deutlich gestiegen, das positive Bild täuscht allerdings. Natürlich profitieren produzierende Betriebe von der regen Nachfrage aus dem Ausland, viele Unternehmen, die mit Dienstleistung Geld verdienen, liegen indes auf dem Krankenbett: Bis zu 120 000 Einzelhandelsgeschäfte bangen nach Umfragen in Deutschland um ihre Existenz. Nicht minder dramatischer sieht die Situation bei den über 220000 Betrieben aus dem Hotel- und Gaststättenbereich mit bundesweit 2,4 Millionen Beschäftigten aus.
Politiker begehen den Fehler, vor allem auf die Industrie, also Volkswagen, Siemens & Co. zu schauen. Die Masse der Beschäftigten ist jedoch in anderen Branchen tätig. Hier wächst der Unwille gegenüber der Corona-Politik. Manch Firmenchef sehnt sich nach einem Macher-Typen vom Schlag eines Helmut Schmidt, der bei der gewaltigen Sturmflut in seiner Heimatstadt Hamburg klare Kante gezeigt, aus dem Bauch heraus das Richtige getan und sich über Vorschriften keck hinweggesetzt hat.
Die Regierung ist zu stark auf die Industrie fixiert