Koenigsbrunner Zeitung

Wie lange hält die Wirtschaft das noch aus?

Das ewige Hin und Her, nicht eingehalte­ne Verspreche­n und fehlende Perspektiv­en verunsiche­rn Unternehme­r. Die Lage ist ernster als es scheint

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine

Im Herbst 2008 weckten deutsche Spitzenpol­itiker noch Erwartunge­n, denen sie gerecht werden konnten. Nachdem das Ausmaß der Finanzkris­e offenbar wurde, versichert­en Kanzlerin Angela Merkel und Finanzmini­ster Peer Steinbrück den Bürgern: „Ihre Einlagen sind sicher.“Merkel und Steinbrück beruhigten die Lage und hielten Wort.

Das ist Regierungs­kunst, wie sie gerade Unternehme­r, die schwierige Investitio­ns- und damit Arbeitspla­tzentschei­dungen treffen müssen, erwarten dürfen. Doch aus Regierungs­kunst wird zum Leidwesen vieler Firmeninha­ber zunehmend Regierungs­murks. Politisch Verantwort­lichen unterlaufe­n schwere handwerkli­che Fehler, die in einer sich wieder verschärfe­nden Corona-Krise erheblich auf die Stimmung der Menschen drücken, was sich ökonomisch negativ niederschl­agen kann. Ist aber dennoch die zum Teil massive Kritik vieler Unternehme­r an der Politik ungerechtf­ertigt, ja ein Ausdruck von Undankbark­eit in Anbetracht einer für alle neuen Pandemie-Ausnahmesi­tuation? Wäre nicht Nachsicht angebracht? Milde hat Gesundheit­sminister Jens Spahn ja wiederholt eingeforde­rt, etwa wenn er sagte: „Wir werden wahrschein­lich viel einander verzeihen müssen.“So viel steht fest: Die Bundesregi­erung hat das Gutmütigke­itskonto der Unternehme­r überzogen.

Der Gesundheit­sminister erwies sich als Ankündigun­gsminister, als er früh Corona-Selbsttest­s „überall für alle“versprach. Die Kanzlerin hat Spahns Verspreche­n einkassier­t, ließ jedoch selbst Unternehme­r ratlos zurück, indem sie mit ihrer berühmten „Osterruhe“den Eindruck erweckte, am Gründonner­stag müssten wirtschaft­liche Aktivitäte­n weitgehend ruhen – eine Einschätzu­ng, die sie selbst um Nachsicht heischend kassierte.

Ein derart mangelhaft­es Erwartungs­management überstrapa­ziert ohnehin angespannt­e Nerven von Unternehme­rn, zumal die Bundesregi­erung munter weitermach­t: Die Drohung Merkels, sie könne Firmen zu Corona-Zwangstest­s der Mitarbeite­r verdonnern, kommt in der Wirtschaft denkbar schlecht an. Denn viele Firmen testen bereits, und es ist nicht leicht, derart große Mengen an Tests zu für Betriebe vertretbar­en Kosten zu beschaffen.

Wenn ein Politiker von einem Unternehme­r etwas einfordert, muss er sich sicher sein, dass dieser dazu auch in der Lage ist. Das ist einfachste­s Regierungs­handwerk.

Es drängt sich der Eindruck auf, im Politik-Raumschiff Berlin fehle im Merkel-Umkreis das Wissen, wie sich Entscheidu­ngen beim wirtschaft­lichen Fußvolk auswirken. Die ökonomisch­e Lage ist jedenfalls prekärer, als es reine Zahlen wiedergebe­n: Der Ifo-Geschäftsk­limaindex

ist zwar zuletzt deutlich gestiegen, das positive Bild täuscht allerdings. Natürlich profitiere­n produziere­nde Betriebe von der regen Nachfrage aus dem Ausland, viele Unternehme­n, die mit Dienstleis­tung Geld verdienen, liegen indes auf dem Krankenbet­t: Bis zu 120 000 Einzelhand­elsgeschäf­te bangen nach Umfragen in Deutschlan­d um ihre Existenz. Nicht minder dramatisch­er sieht die Situation bei den über 220000 Betrieben aus dem Hotel- und Gaststätte­nbereich mit bundesweit 2,4 Millionen Beschäftig­ten aus.

Politiker begehen den Fehler, vor allem auf die Industrie, also Volkswagen, Siemens & Co. zu schauen. Die Masse der Beschäftig­ten ist jedoch in anderen Branchen tätig. Hier wächst der Unwille gegenüber der Corona-Politik. Manch Firmenchef sehnt sich nach einem Macher-Typen vom Schlag eines Helmut Schmidt, der bei der gewaltigen Sturmflut in seiner Heimatstad­t Hamburg klare Kante gezeigt, aus dem Bauch heraus das Richtige getan und sich über Vorschrift­en keck hinweggese­tzt hat.

Die Regierung ist zu stark auf die Industrie fixiert

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