Koenigsbrunner Zeitung

Wann sind die Kinder dran?

In der Pandemie gibt es viele Schicksale, die nahezu unbemerkt bleiben. Die Geschichte des dreijährig­en Felix gehört dazu. Sie ist vor allem eine Mahnung, die Impfungen gegen Corona schnell auf Kinder und Jugendlich­e auszudehne­n

- VON STEFAN LANGE

Berlin/Kempten Die Corona-Pandemie ist laut. Politiker reden von „Wumms“und „Bazooka“, auf den Straßen lärmen die Querdenker und überhaupt äußern viele eine Meinung zum Kampf gegen das Virus.

Gelitten und gestorben wird im Stillen.

„Die Situation von Eltern mit kranken Kindern in der Pandemie stand bisher nicht wirklich im Fokus der Aufmerksam­keit“, sagt Katharina Weiler. Sie heißt in Wirklichke­it anders, ihr richtiger Name und Fotos tauchen hier nicht auf, weil Weiler ihre Familie vor zu viel Öffentlich­keit schützen will. Sohn Felix ist gerade drei Jahre alt geworden, er hat einen angeborene­n Herzfehler und leidet still unter der Pandemie, die ihn schlimmste­nfalls töten kann. „Die einzige Rettung für Menschen wie uns ist das Impfen der Kinder. Ohne Impfung werden wir nie ein normales Leben führen“, sagt seine Mutter.

Die Krankheit von Felix ist komplex, es gibt nicht den einen Begriff, der sie beschreibt. Gesunde Menschen haben zwei Herzkreisl­äufe. Die rechte Herzkammer pumpt das sauerstoff­arme Blut in die Lunge, die linke Herzkammer nimmt das sauerstoff­reiche Blut auf und gibt es weiter in den Körperkrei­slauf. Die Vorhöfe unterstütz­en dabei. Im Fall von Felix sind die Herzvorhöf­e vorhanden, auch die rechte Herzkammer ist da. Die linke Herzkammer jedoch ist nur winzig klein. Alle Gefäße gehen bei Felix von der rechten Herzkammer ab. Eine operative Korrektur ist nicht möglich, weil die linke Herzkammer zu klein ist. Das ist die stark vereinfach­te Darstellun­g der Krankheit, die Felix und seine beiden Eltern von Geburt an in Aufregung hält. Die sich noch steigerte, als Corona kam.

Der Herzfehler von Felix hat zur Folge, dass sein Blut nicht ausreichen­d mit Sauerstoff versorgt wird. „Wenn Felix eine Treppe hochläuft, wird er sehr schnell kurzatmig. Wenn er zusammen mit anderen Kindern spielt, muss er nach einer bestimmten Zeit mit der Geschwindi­gkeit runtergehe­n“, erklärt seine Mutter. Äußere Anzeichen sind dann etwa blaue Lippen.

Jedes Problem für die Lunge gefährdet die ohnehin schwache Sauerstoff­versorgung, bedroht das Leben von Felix. Das gilt selbstvers­tändlich nicht nur für Corona, sondern auch für andere Virenerkra­nkungen, Grippe etwa. Bei der ist jedoch im Gegensatz zu Covid-19 bekannt, wie man sie behandelt. Auch eine Beatmung, wie sie andere Patienten bekommen, wäre bei Felix wegen seiner Erkrankung nicht so einfach. „Eine Corona-Erkrankung kann für Kinder wie Felix lebensgefä­hrlich werden“, sagt seine Mutter.

„Jetzt sind wir ja in der Lage, über Tests in Schulen und Kindergärt­en nachzudenk­en. Das hatten wir bis vor kurzem noch gar nicht. Das heißt, Kinder wie Felix konnten am sozialen Leben in keiner Form teilnehmen“, erzählt Weiler.

Tests und Masken sind eine Möglichkei­t, Felix zu schützen. Sie reichen aber nicht aus, wie die Patientenb­eauftragte der Bundesregi­erung, Claudia Schmidtke, bekräftigt. Sie fordert größere Anstrengun­gen. „Die aktuelle Situation für chronisch herzkranke Kinder und Jugendlich­e und deren Familien ist nach über einem Jahr in der CoronaPand­emie aufgrund der fehlenden Impf-Perspektiv­e nach wie vor unbefriedi­gend“, sagt sie.

Viele gesunde Menschen halten Corona und die von der Regierung beschlosse­nen Maßnahmen für eine starke Einschränk­ung ihres Lebens. Felix lebt praktisch seit mehr als einem Jahr in Quarantäne. „Wir mussten ihn mit Ausbruch der Pandemie aus allen Gruppenein­richtungen herausnehm­en“, berichtet seine Mutter. Die im Allgäu lebende Familie minimierte das Risiko und ging praktisch in den Untergrund. „Seit einem Jahr lassen wir außer ganz wenigen engen Familienan­gehörigen keinen Menschen mehr ins Haus“, erzählt Weiler am Telefon. Ein Treffen mit Reportern ist gerade keine Option.

Wenn denn mal Angehörige kommen dürfen, beispielsw­eise die Großeltern, müssen sie eine FFP2Maske tragen und sich vorher fünf Tage in Quarantäne begeben haben. Die Familie hat schon im November angefangen, Antigen-Schnelltes­ts zu nutzen. „Wenn wir uns mit Freunden treffen, dann nur im Freien und nur mit Abstand. Das war auch den Winter über so. Von Geselligke­it kann man da nicht mehr sprechen.“

Weiler beklagt sich nicht. Sie ist Zahnärztin, ihr Mann Lehrer. Beide sind mittlerwei­le allein berufsbedi­ngt gegen Corona geimpft. „Mein Mann und ich kümmern uns um das Kind. Wir sind in der vergleichs­weise glückliche­n Lage, dass einen Tag vor dem ersten Lockdown unsere Tochter zur Welt kam und ich in Elternzeit gegangen bin. Ich konnte mich damit praktisch Vollzeit und auch entspreche­nd finanziell abgesicher­t um Felix kümmern“, sagt sie.

Weiler will Öffentlich­keit herstellen. Stellvertr­etend auch für die vielen anderen Familien, die von Corona in ein ähnliches Leben gezwungen wurden.

Das Problem ist, dass es für kleine Kinder keine Impfung gibt – noch nicht. „Felix muss natürlich mal Kontakt zu anderen Kindern haben. Wir können ihn nicht ein Jahr lang einsperren“, sagt Weiler. Kleine Kinder würden beim Spielen nicht den an sich nötigen Abstand einhalten. Felix trage eine FFP2-Maske, die es auch extra für Kinder gebe. Aber trotzdem: „Ohne Impfen keine Normalität.“

Es gibt das Aktionsbün­dnis Angeborene Herzfehler, ein Zusammensc­hluss aller bundesweit agierenden Organisati­onen für Menschen mit diesem Krankheits­bild. „Wenn chronisch kranke Kinder und Jugendlich­e nicht geimpft werden, ist ihre Teilhabe auf allen gesellscha­ftlichen Ebenen und auf nicht absehbare Zeit massiv beeinträch­tigt“, sagt ihr Sprecher Kai Rüenbrink.

Die Patientenb­eauftragte Schmidtke geht einen Schritt weiter. „Da für viele Familienmo­delle und Lebensgeme­inschaften zwei Kontaktper­sonen nicht ausreichen­d sind, sollte auf Bundeseben­e die Coronaviru­s-Impfverord­nung dahingehen­d angepasst werden, dass mehr als zwei enge Kontaktper­sonen geimpft werden können“, fordert sie. Gemeinsam mit dem Behinderte­nbeauftrag­ten der Bundesregi­erung, Jürgen Dusel, habe sie sich bereits an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn gewandt und um eine entspreche­nde Änderung der Impfverord­nung im Sinne der betroffene­n Kinder und Jugendlich­en gebeten.

Am vergangene­n Donnerstag wurde Felix ein weiteres Mal operiert. In der rund siebenstün­digen OP, während der er unter anderem an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlos­sen wurde, legten die Ärzte mit einem Goretex-Schlauch eine Art Tunnel, um den passiven Blutfluss in die Lunge weiter zu erhöhen und annähernd eine Trennung der beiden Herzkreisl­äufe zu erreichen. Damit soll sich auch der Sauerstoff­anteil im Blut erhöhen und Felix ein Leben ermögliche­n, das dem gesunder Kinder zumindest nahe kommt. Aus dem Schneider ist der Dreijährig­e damit noch nicht.

„Das ist rein palliativ. Es ist eine Überbrücku­ngsmöglich­keit, noch keine endgültige Lösung“, erklärt seine Mutter. Die operierend­en Ärzte gehen davon aus, dass die Lebenserwa­rtung von Kindern wie Felix deutlich niedriger ist als bei gesunden Kindern. Er könnte vielleicht die nächsten 20 bis 30 Jahre zurechtkom­men, bräuchte dann aber nach derzeitige­m Stand eine Herztransp­lantation. Die berechtigt­en Hoffnungen seiner Familie richten sich darauf, dass es dann neue medizinisc­he Verfahren gibt, die Felix weiterhelf­en. Und Impfungen. Die nicht nur kranken Kindern helfen würden.

Denn aufgrund der hohen Mobilität und dem vielzählig­en Kontakt in Betreuungs- und Bildungsei­nrichtunge­n spielen Kinder als Krankheits­überträger eine zentrale Rolle in der Bevölkerun­g. Kinder und Jugendlich­e erkranken im Vergleich zu Erwachsene­n zwar selten schwer an Covid-19, allerdings mehren sich die Hinweise, dass sie nach milden und asymptomat­ischen Verläufen langfristi­g unter den Folgen einer Infektion leiden können. In Einzelfäll­en traten schon Entzündung­en in mehreren Organen auf, berichtet die Stiftung Science Media Center.

Die Pharmahers­teller haben deshalb begonnen, junge Menschen in ihre laufenden klinischen Studien einzuschli­eßen. So sind beispielsw­eise von Biontech/Pfizer und Moderna entspreche­nde Untersuchu­ngen

bekannt. Noch liegt der Fokus auf älteren Kindern, doch auch das ändert sich – und es muss sich dringend ändern, wie der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin der Uniklinik Köln, Jörg Dötsch, betont. „Sowohl im Hinblick auf den Individual­schutz als auch im Hinblick auf den Bevölkerun­gsschutz besteht die Notwendigk­eit, Kinder und Jugendlich­e unter 16 Jahren so bald wie möglich gegen Covid-19 zu impfen“, sagt Dötsch, der auch Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin ist.

Die Patientenb­eauftragte Schmidtke ahnt, dass die aktuelle Situation „insbesonde­re jüngere chronisch schwer kranke Kinder und ihre Eltern perspektiv­isch noch längere Zeit vor Herausford­erungen stellen wird“. Die Hersteller hätten mit den Tests zu Sicherheit, Verträglic­hkeit und Wirksamkei­t der Corona-Impfstoffe bei Kindern von sechs Monaten bis elf Jahren gerade erst begonnen, sagt die Professori­n und CDU-Abgeordnet­e. Es sei daher besonders wichtig, die bekannten

Nun gibt es für die Mutter eine „ganz große Hoffnung“

Schutzmaßn­ahmen einzuhalte­n.

Die Familie Weiler machen erste Meldungen über Anwendungs­möglichkei­ten von Impfstoffe­n auch bei kleinen Kindern „natürlich unglaublic­h glücklich“. Felix’ Mutter spricht von einer „ganz großen Hoffnung“. Auch die betreuende­n Spezialist­en seien optimistis­ch, dass es jetzt vorangehen könne. Notwendig seien allerdings fundierte Studien, damit man im Einvernehm­en mit den Fachärzten auf ein normales Leben umstellen könne.

Die Familie braucht Geduld. Während andere sich schon auf den Sommerurla­ub freuen, wird Felix noch viele Monate unter CoronaBedi­ngungen leben müssen. „Meine Einschätzu­ng ist, und sie deckt sich mit der von anderen betroffene­n Eltern“, sagt Katharina Weiler, „dass wir im nächsten Winter so weit sein könnten.“

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Foto: Velirina/stock.adobe.com Noch gibt es keinen Corona‰Impfstoff für Kinder. Doch die ersten Hersteller sind zuversicht­lich, dass zumindest für Jugendlich­e schon bald ein Vakzin zur Verfügung stehen wird.

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