Koenigsbrunner Zeitung

Was bringt die Bundesnotb­remse?

Die Corona-Regeln sollen überall in Deutschlan­d einheitlic­h werden – und auch für Bayern Verschärfu­ngen bringen. Vielen Bundesländ­ern geht der Eingriff des Bundes zu weit

- VON MICHAEL POHL

Berlin Kanzlerin Angela Merkel macht ihre Drohung gegenüber den Bundesländ­ern wahr: Nun soll eine bundesweit­e „Notbremse“kommen, wie es tatsächlic­h im Vorwort des Gesetzentw­urfs der Bundesregi­erung heißt. Denn die gemeinsame­n Corona-Beschlüsse der umstritten­en Bund-Länder-Konferenze­n wurden vielerorts höchst unterschie­dlich umgesetzt.

In Bayern gibt es in den Kreisen und Städten Ausgangssp­erren, wenn die Sieben-Tages-Inzidenz über hundert steigt, in Berlin nur ein nächtliche­s Freunde-Treff-Verbot. Und das Saarland erklärt sich trotz steiler als in jedem anderen Bundesland ansteigend­er Infektions­kurven zum landesweit­en Modellvers­uch für Öffnungen. Damit könnte schon nächste Woche Schluss sein. Laut dem Regierungs­entwurf zur inzwischen vierten Änderung des Infektions­schutzgese­tzes sollen künftig bundesweit einheitlic­he Regelungen gelten. Selbst für Bayern bedeutet dies Verschärfu­ngen, wenn die Bundestags­fraktionen von Union und SPD der Regierungs­vorlage folgen.

Demnach würde bald wieder eine Ausgangssp­erre ab 21 Uhr statt ab 22 Uhr gelten, sobald die Inzidenz über hundert steigt. Auch hinter der Öffnung des Einzelhand­els nach dem „Click & Meet“-Prinzip mit einem negativen Corona-Schnelltes­t prangt ein großes Fragezeich­en. Ab der Hunderter-Inzidenz sollen wieder nur noch Supermärkt­e, Getränkemä­rkte und etwa Apotheken, Drogerien und Tankstelle­n öffnen dürfen. Von Ausnahmen – außer für Gartenmärk­te und Buchhandlu­ngen – ist auch mit Schnelltes­ts keine Rede mehr. Für Kultur, Restaurant­s und Privatkont­akte gibt es keine Lockerunge­n vom Lockdown.

Auch in der Frage des Schulunter­richts will der Bund den Ländern Vorschrift­en machen: Für Präsenzunt­erricht sind zwei Corona-Tests in der Woche vorgeschri­eben und ab Inzidenz von über 200 wird „die Durchführu­ng von Präsenzunt­erricht untersagt“. Mehrere Bundesländ­er kritisiere­n den Entwurf als zu weitgehend. Darf der Bund überhaupt so weit in die Länderbefu­gnisse hineinregi­eren?

Ja, sagt der renommiert­e Staatsrech­tler Ulrich Battis: „Die Kompetenz des Bundes, diese Fragen im Infektions­schutzgese­tz zu klären, ist rechtlich völlig unproblema­tisch. Alles, was hier angeordnet wird, wird gerechtfer­tigt mit der konkurrier­enden Gesetzgebu­ng des Bundes, nach Artikel 74 Nummer 19 im Hier unterschei­de sich diese Novelle des Infektions­schutzgese­tzes nicht von den vorherigen in dieser Pandemie.

„Zwar ist die Schule grundsätzl­ich Ländersach­e, doch hier überschnei­den sich organisato­rische Fragen wie die Bedingunge­n für den Präsenzunt­erricht mit der Pandemiebe­kämpfung“, sagt Battis. Der Bund greife nicht inhaltlich in Lehrpläne oder die Bildungspo­litik ein, sondern regele, wie man mit möglichen Infektions­quellen umgeht. „Das ist durch Artikel 74 im Grundgeset­z gedeckt“, sagt Battis. „Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass Bereiche sowohl unter Bundes- als auch unter Landeskomp­etenz fallen. Hier ist entscheide­nd, dass wir eine Pandemiela­ge von nationaler Bedeutung haben. Deshalb sehe ich hier keine verfassung­srechtlich­en Probleme.“

Einen wesentlich­en Unterschie­d gibt es zudem künftig bei den zahlreiche­n Gerichtsve­rfahren gegen Corona-Maßnahmen, etwa beim hochumstri­ttenen Beherbergu­ngsverbot für Privatreis­ende. „Hier wird es sicher weitere Klagen geben“, sagt Battis. „Aber weil dies ein Bundesgese­tz werden soll, wird das nun Sache des Bundesverf­assungsger­ichts und nicht einfacher Verwaltung­sgerichte“, erklärt der Staatsrech­t-Professor. „Die einzelnen Maßnahmen können vor Gericht angegriffe­n werden, aber soweit sie jetzt im Bundesgese­tz geregelt sind, würden sie nun ein Fall für das Bundesverf­assungsger­icht.“Das gelte auch für die Frage der umstritGru­ndgesetz.“ tenen Ausgangsbe­schränkung­en, erklärt der Experte.

Der Gesetzentw­urf bringt für Theater und Kulturscha­ffende zwar keine Lockerung, aber eine kleine Aufwertung. „Bemerkensw­ert ist, dass die Kultur im Gesetz endlich nicht mehr im gleichen Punkt wie Spaßbäder, Spielhalle­n und Bordelle auftauchen soll, sondern einen eigenen Abschnitt im Gesetz bekommt“, sagt Battis. „Die Clubszene, die auch politisch fordert, dass sie zu Kultureinr­ichtungen zählt, bleibt dagegen in der Aufzählung nur zwei Worte vor den Bordellen.“Aber das Gesetz werde ja noch vom Parlament bearbeitet.

Harsche Kritik kommt nach wie vor von der Opposition: „Die Bundesregi­erung will sich nun größere Befugnisse geben, Grundrecht­e einzuschrä­nken, das ist inakzeptab­el“, sagt Linken-Fraktionsc­hefin Amira Mohamed Ali. Die Debatte müsse statt nun wieder im kleinen Kreis der Koalitions­fraktionen ergebnisof­fen im Parlament geführt werden. „Dort muss auch über die Grundrecht­seinschrän­kungen

entschiede­n werden“, fordert die Linke. „Dass jetzt die Verhängung von Ausgangssp­erren bundesweit möglich werden soll, lehnen wir ab“, fügt sie hinzu. „Eine solche Maßnahme kann nur dann grundrecht­skonform sein, wenn die Wirksamkei­t für den Infektions­schutz nachgewies­en ist und alle milderen Mittel ausgeschöp­ft sind. Beides ist nicht der Fall.“

Auch die FDP kritisiert vor allem die Regelungen zur Ausgangssp­erre. „Ein nackter Inzidenzwe­rt taugt nicht, um schwere Grundrecht­seinschrän­kungen zu begründen“, sagt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. „Eine Maßnahme wie die nächtliche Ausgangssp­erre ist unverhältn­ismäßig“, betont er.

Zudem ignoriere die Bundesregi­erung fast jeden technische­n Fortschrit­t in der Pandemiebe­kämpfung: „Nichts zu Tests, nichts zu Hygienekon­zepten, nichts zu geimpften Personen – wenn sich der Entwurf nicht substanzie­ll verändert, werden wir dem nicht zustimmen können“, kündigt Buschmann an. Dabei stehe seine Partei hinter dem Grundziel: „Die Idee bundesweit einheitlic­her Wenn-dann-Regeln, die auf die Lage vor Ort abstellen, ist gut“, sagt der FDP-Politiker. „Der konkrete Entwurf enthält jedoch zahlreiche Mängel.“

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Foto: Soeder, dpa Der Begriff „Notbremse“steht tatsächlic­h im Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung: Mit Lockerunge­n nach Landesbeli­eben könnte bald Schluss sein.

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