Immer mehr Banken mit Strafzinsen
In den ersten 100 Tagen des Jahres sind über 100 neue Banken mit einem Negativzins hinzugekommen. Doch Kunden sind dem nicht wehrlos ausgeliefert
Viele Sparer in Deutschland machen derzeit die ungewohnte Erfahrung, dass es Geld kostet, Geld zu haben. Der Trend zu Straf- oder Negativzinsen auf das Ersparte hat sich nämlich seit Jahresanfang nochmals deutlich beschleunigt, berichtet das Verbraucherportal Verivox. Einer Studie des Portals zufolge sind seit 1. Januar über 100 neue Banken zur Liste der Institute hinzubekommen, die Negativzinsen verlangen. Die Banken selbst sprechen meist von einem Verwahrentgelt.
Aktuell weisen Verivox zufolge 300 Banken in Deutschland Negativzinsen für Privatkunden aus – 122 mehr als zum Jahreswechsel. Stand der Untersuchung ist der 9. April. Für die Studie haben die VerivoxAutoren die Konditionen für private Tagesgeld-, Giro- und Verrechnungskonten auf den Internetseiten von rund 1300 Banken und Sparkassen verglichen. Es könnte sein, dass die Zahl der Banken mit Negativzinsen noch höher liegt: „Nicht alle Banken veröffentlichen ihre Zinsen frei zugänglich auf ihrer Website. Es gibt also eine Dunkelziffer und tatsächlich dürften sogar noch mehr Banken ihren Privatkunden Negativzinsen in Rechnung stellen“, schreibt Verivox.
Hintergrund der Entwicklung ist die Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Parken die Geschäftsbanken Geld bei der EZB, müssen sie selbst einen Negativzins von minus 0,5 Prozent bezahlen. Dies soll den Banken einen Anreiz geben, Geld in Form von Krediten in den Wirtschaftskreislauf zu geben. Die Kosten, die für die Zinsen an die EZB entstehen, reichen inzwischen immer mehr Institute an ihre Kunden weiter.
Nicht jeder Kunde spürt die Negativzinsen. Die Institute haben dafür im Regelfall recht hohe Freibeträge. Üblich waren lange Zeit zum Beispiel 100000 Euro. Erst wenn dieser Betrag bei den Sichteinlagen überschritten wurde, werden die Negativzinsen fällig. Die Grenze scheint aber zu sinken, die Verwahrentgelte werden schneller fällig. Mindestens 95 Banken berechnen Negativzinsen schon ab einem Gesamtguthaben von 50000 Euro, berichtet Verivox. Die Experten haben eine detaillierte Liste aller ihnen bekannten Banken mit Verwahrentgelten veröffentlicht. Darauf befinden sich auch mehrere Institute, die bereits ab 25000 Euro, 5000 Euro oder gar 1000 Euro zu Strafzinsen greifen. Auf der Liste befinden sich regionale Privatbanken genauso wie Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen.
Corona habe den bestehenden Trend zu Negativzinsen noch einmal beschleunigt, berichtete Oliver Maier, Chef der Finanzvergleich– Sparte von Verivox. „In der Pandemie legen viele Verbraucher ihr Geld lieber aufs Konto, statt es auszugeben“, teilte er mit. „Für Banken ist das ein Problem, denn sie zahlen selbst Strafzinsen auf überschüssige Einlagen. Je mehr Spargelder sie annehmen müssen, desto größer wird der Druck auf die Kreditinstitute, diese Kosten an ihre Kunden weiterzugeben.“
Der Sparkassenverband Bayern unterfütterte kürzlich das Problem mit Fakten: Die Sichteinlagen der privaten Haushalte bei den bayerischen Sparkassen haben 2020 um 13,2 Prozent auf 110,3 Milliarden Euro zugenommen. „Während
Handel und Gastronomie unter den Folgen der Pandemie leiden, geben die privaten Haushalte deutlich weniger Geld aus“, sagte dazu Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassenverbands Bayern. Die unsichere wirtschaftliche Lage und mangelnde Konsummöglichkeiten trieben die Sparquoten der Verbraucher nach oben. „Das Geld ist dann einfach auf den Girokonten stehen geblieben“, sagte Reuter. Für die Sparkassen sei diese überschießende Liquidität aber eine Belastung, wenn sich durch Niedrigzinsen weniger Geld verdienen lässt. „Inzwischen sind deshalb immer mehr Sparkassen durch das Handeln der EZB gezwungen, selbst Verwahrentgelte zu erheben,“sagte Reuter. „Zumindest im Neugeschäft wird es auf Dauer nicht möglich sein, auf Verwahrentgelte bei großen Summen zu verzichten.“Sehr lange hätten die Sparkassen alles getan, um diesen Schritt zu vermeiden, „widerspricht er doch komplett unserer eigentlichen Ausrichtung und Grundüberzeugung“, sagte Reuter.
Sparkassen und Raiffeisen- und
Volksbanken sind mit steigenden Entgelten aber nicht alleine. Auch Privatbanken wie die Commerzbank, Comdirect oder die Deutsche Bank erheben Verivox zufolge ab 100000 Euro inzwischen Entgelte. Nicht immer seien Negativzinsen zudem als solche ausgewiesen, warnt das Portal. Im laufenden Jahr hätte auch vier Geldhäuser eine Kontoführungsgebühr für das üblicherweise kostenfreie Tagesgeldkonto eingeführt. „Aus Sicht der Sparer entstehen dadurch faktisch Negativzinsen.“
Verbraucher sind der Entwicklung aber nicht komplett ausgeliefert. „In laufenden Verträgen können Banken Negativzinsen nicht einseitig einführen“, erklärt Verivox. Die in einem Preisaushang bekannt gegebenen Kosten fallen demzufolge erst einmal nur für Neukunden an. „Will eine Bank auch ihren Bestandskunden Negativzinsen berechnen, muss sie das mit den Betroffenen individuell vereinbaren.“
Drängt eine Bank auf die Verwahrentgelte, raten auch Verbraucherschützer
wie Sascha Straub von der Verbraucherzentrale Bayern zu einem Wechsel. Bei Verivox sieht man es genauso: „Negativzinsen werden immer mehr zum Standard, trotzdem haben Verbraucher noch Alternativen“, teilte dort Oliver Maier bei Bekanntgabe der Studie mit. „Top-Banken mit Sitz im europäischen Ausland zahlen Anlegern bis zu 0,4 Prozent Guthabenzinsen aufs Tagesgeld. Bei Anbietern mit deutscher Einlagensicherung gibt es in der Spitze 0,21 Prozent.“
Die Finanzexperten raten außerdem dazu, nicht zu hohe Summen auf Tagesgeldkonten zu parken. Die Inflation wird damit kaum ausgeglichen. Sinnvoll sei es, dort ungefähr den Betrag von rund drei Monatsgehältern stehen zu haben. Dann sei man hinreichend flüssig, um unerwartete Reparaturen am Haus oder am Auto stemmen zu können. „Viel mehr Geld sollten Sparer nicht dauerhaft als Tagesgeld anlegen“, raten die Verivox-Experten.
Für größere Ersparnisse biete sich ein Mix aus Festgeldern und günstigen Aktien-Indexfonds (ETFs) an. Zumindest Negativzinsen seien dann kein Thema. Je länger das Geld nicht benötig werde, desto größer könne der ETF-Anteil ausfallen, heißt es bei Verivox.