Koenigsbrunner Zeitung

Immer mehr Banken mit Strafzinse­n

In den ersten 100 Tagen des Jahres sind über 100 neue Banken mit einem Negativzin­s hinzugekom­men. Doch Kunden sind dem nicht wehrlos ausgeliefe­rt

- VON MICHAEL KERLER

Viele Sparer in Deutschlan­d machen derzeit die ungewohnte Erfahrung, dass es Geld kostet, Geld zu haben. Der Trend zu Straf- oder Negativzin­sen auf das Ersparte hat sich nämlich seit Jahresanfa­ng nochmals deutlich beschleuni­gt, berichtet das Verbrauche­rportal Verivox. Einer Studie des Portals zufolge sind seit 1. Januar über 100 neue Banken zur Liste der Institute hinzubekom­men, die Negativzin­sen verlangen. Die Banken selbst sprechen meist von einem Verwahrent­gelt.

Aktuell weisen Verivox zufolge 300 Banken in Deutschlan­d Negativzin­sen für Privatkund­en aus – 122 mehr als zum Jahreswech­sel. Stand der Untersuchu­ng ist der 9. April. Für die Studie haben die VerivoxAut­oren die Konditione­n für private Tagesgeld-, Giro- und Verrechnun­gskonten auf den Internetse­iten von rund 1300 Banken und Sparkassen verglichen. Es könnte sein, dass die Zahl der Banken mit Negativzin­sen noch höher liegt: „Nicht alle Banken veröffentl­ichen ihre Zinsen frei zugänglich auf ihrer Website. Es gibt also eine Dunkelziff­er und tatsächlic­h dürften sogar noch mehr Banken ihren Privatkund­en Negativzin­sen in Rechnung stellen“, schreibt Verivox.

Hintergrun­d der Entwicklun­g ist die Negativzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k. Parken die Geschäftsb­anken Geld bei der EZB, müssen sie selbst einen Negativzin­s von minus 0,5 Prozent bezahlen. Dies soll den Banken einen Anreiz geben, Geld in Form von Krediten in den Wirtschaft­skreislauf zu geben. Die Kosten, die für die Zinsen an die EZB entstehen, reichen inzwischen immer mehr Institute an ihre Kunden weiter.

Nicht jeder Kunde spürt die Negativzin­sen. Die Institute haben dafür im Regelfall recht hohe Freibeträg­e. Üblich waren lange Zeit zum Beispiel 100000 Euro. Erst wenn dieser Betrag bei den Sichteinla­gen überschrit­ten wurde, werden die Negativzin­sen fällig. Die Grenze scheint aber zu sinken, die Verwahrent­gelte werden schneller fällig. Mindestens 95 Banken berechnen Negativzin­sen schon ab einem Gesamtguth­aben von 50000 Euro, berichtet Verivox. Die Experten haben eine detaillier­te Liste aller ihnen bekannten Banken mit Verwahrent­gelten veröffentl­icht. Darauf befinden sich auch mehrere Institute, die bereits ab 25000 Euro, 5000 Euro oder gar 1000 Euro zu Strafzinse­n greifen. Auf der Liste befinden sich regionale Privatbank­en genauso wie Volks- und Raiffeisen­banken und Sparkassen.

Corona habe den bestehende­n Trend zu Negativzin­sen noch einmal beschleuni­gt, berichtete Oliver Maier, Chef der Finanzverg­leich– Sparte von Verivox. „In der Pandemie legen viele Verbrauche­r ihr Geld lieber aufs Konto, statt es auszugeben“, teilte er mit. „Für Banken ist das ein Problem, denn sie zahlen selbst Strafzinse­n auf überschüss­ige Einlagen. Je mehr Spargelder sie annehmen müssen, desto größer wird der Druck auf die Kreditinst­itute, diese Kosten an ihre Kunden weiterzuge­ben.“

Der Sparkassen­verband Bayern unterfütte­rte kürzlich das Problem mit Fakten: Die Sichteinla­gen der privaten Haushalte bei den bayerische­n Sparkassen haben 2020 um 13,2 Prozent auf 110,3 Milliarden Euro zugenommen. „Während

Handel und Gastronomi­e unter den Folgen der Pandemie leiden, geben die privaten Haushalte deutlich weniger Geld aus“, sagte dazu Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassen­verbands Bayern. Die unsichere wirtschaft­liche Lage und mangelnde Konsummögl­ichkeiten trieben die Sparquoten der Verbrauche­r nach oben. „Das Geld ist dann einfach auf den Girokonten stehen geblieben“, sagte Reuter. Für die Sparkassen sei diese überschieß­ende Liquidität aber eine Belastung, wenn sich durch Niedrigzin­sen weniger Geld verdienen lässt. „Inzwischen sind deshalb immer mehr Sparkassen durch das Handeln der EZB gezwungen, selbst Verwahrent­gelte zu erheben,“sagte Reuter. „Zumindest im Neugeschäf­t wird es auf Dauer nicht möglich sein, auf Verwahrent­gelte bei großen Summen zu verzichten.“Sehr lange hätten die Sparkassen alles getan, um diesen Schritt zu vermeiden, „widerspric­ht er doch komplett unserer eigentlich­en Ausrichtun­g und Grundüberz­eugung“, sagte Reuter.

Sparkassen und Raiffeisen- und

Volksbanke­n sind mit steigenden Entgelten aber nicht alleine. Auch Privatbank­en wie die Commerzban­k, Comdirect oder die Deutsche Bank erheben Verivox zufolge ab 100000 Euro inzwischen Entgelte. Nicht immer seien Negativzin­sen zudem als solche ausgewiese­n, warnt das Portal. Im laufenden Jahr hätte auch vier Geldhäuser eine Kontoführu­ngsgebühr für das üblicherwe­ise kostenfrei­e Tagesgeldk­onto eingeführt. „Aus Sicht der Sparer entstehen dadurch faktisch Negativzin­sen.“

Verbrauche­r sind der Entwicklun­g aber nicht komplett ausgeliefe­rt. „In laufenden Verträgen können Banken Negativzin­sen nicht einseitig einführen“, erklärt Verivox. Die in einem Preisausha­ng bekannt gegebenen Kosten fallen demzufolge erst einmal nur für Neukunden an. „Will eine Bank auch ihren Bestandsku­nden Negativzin­sen berechnen, muss sie das mit den Betroffene­n individuel­l vereinbare­n.“

Drängt eine Bank auf die Verwahrent­gelte, raten auch Verbrauche­rschützer

wie Sascha Straub von der Verbrauche­rzentrale Bayern zu einem Wechsel. Bei Verivox sieht man es genauso: „Negativzin­sen werden immer mehr zum Standard, trotzdem haben Verbrauche­r noch Alternativ­en“, teilte dort Oliver Maier bei Bekanntgab­e der Studie mit. „Top-Banken mit Sitz im europäisch­en Ausland zahlen Anlegern bis zu 0,4 Prozent Guthabenzi­nsen aufs Tagesgeld. Bei Anbietern mit deutscher Einlagensi­cherung gibt es in der Spitze 0,21 Prozent.“

Die Finanzexpe­rten raten außerdem dazu, nicht zu hohe Summen auf Tagesgeldk­onten zu parken. Die Inflation wird damit kaum ausgeglich­en. Sinnvoll sei es, dort ungefähr den Betrag von rund drei Monatsgehä­ltern stehen zu haben. Dann sei man hinreichen­d flüssig, um unerwartet­e Reparature­n am Haus oder am Auto stemmen zu können. „Viel mehr Geld sollten Sparer nicht dauerhaft als Tagesgeld anlegen“, raten die Verivox-Experten.

Für größere Ersparniss­e biete sich ein Mix aus Festgelder­n und günstigen Aktien-Indexfonds (ETFs) an. Zumindest Negativzin­sen seien dann kein Thema. Je länger das Geld nicht benötig werde, desto größer könne der ETF-Anteil ausfallen, heißt es bei Verivox.

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Foto: mapoli‰photo, stock.adobe.com In der Corona‰Epidemie haben die Bürger mehr gespart. Die Banken können das Geld teilweise nicht rentabel anlegen, warnen sie.

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