Koenigsbrunner Zeitung

„Kein Tag ist mehr selbstvers­tändlich“

Weltstar Tom Jones ist 80 und hat ein neues Album aufgenomme­n. Er spricht über das Altern, seine zeitlose Stimme, die Freude an jungen Talenten, aber auch über die Einsamkeit als Witwer. Und lästert über Donald Trump

- Interview: Steffen Rüth

Mr. Jones, geht es Ihnen gut?

Tom Jones: Ich kann mich nicht beklagen. Außer über das Wetter. London hat einen richtig fiesen und kalten Winter hinter sich. Ich habe ja viele Jahre lang in Los Angeles gelebt, war aber die meiste Zeit unterwegs. Wenn ich nach Hause kam, war das immer wie ein Urlaub für mich.

Vermissen Sie das Reisen und die Bühne sehr?

Jones: Yeah, das ist Mist für mich mit diesem Virus. Wenigstens habe ich es mir nicht eingefange­n. Ich lebe ganz schön isoliert in meiner Wohnung in London. Das Haus verlasse ich nur, wenn ich zu den Dreharbeit­en von „The Voice UK“fahre, wo ich in der Jury sitze.

Sind Sie denn schon geimpft? Jones: Ja klar, schon lange.

So klar ist das ja nicht. In Deutschlan­d geht es mit dem Impfen immer noch ziemlich drunter und drüber.

Jones: Mit den Impfungen sind wir Briten wirklich auf Zack, das muss man mal sagen. Ich bin durch damit. Meine erste Impfung habe ich kurz vor Weihnachte­n bekommen, die zweite am 6. Januar. Das ist ein wundervoll­es Gefühl, wenn man weiß, man stirbt jetzt nicht mehr daran und muss auch höchstwahr­scheinlich nicht ins Krankenhau­s, wenn man sich angesteckt hat.

Ihr Album hat den Titel „Surrounded By Time“, also „Umgeben von der Zeit“. Nimmt man die Zeit anders wahr, wenn man älter wird?

Jones: Oh ja. Die Zeit wird werthaltig­er und wertvoller, als sie es vielleicht früher einmal war. Kein Tag ist mehr selbstvers­tändlich. Das Stück „I’m Growing Old“vom neuen Album bekam ich angeboten, als ich 31 war. Ich fand die Nummer damals schon super, aber er passte vor fünfzig Jahren einfach noch nicht zu mir. Ich versprach dem Songschrei­ber, sie zu behalten und eines Tages aufzunehme­n. Jetzt endlich bin ich reif für „I’m Growing Old“.

Haben Sie Angst, dass davonläuft?

Jones: An schlechten Tagen habe ich das. Wegen Corona konnte ich ein Jahr nicht auftreten und werde, selbst wenn alles optimal läuft, nicht vor Ende dieses Jahres wieder auf Tournee sein können. Das sind zwei Jahre. Für einen 80-Jährigen ist das eine Ewigkeit.

Ihnen die Zeit

Wie ein 80 Jahre alter Mann sehen Sie allerdings nun beim besten Willen nicht aus. Sie gingen auch locker noch für Mitte, Ende 60 durch.

Jones: Na ja, ich bin schon deutlich langsamer als früher. Ich renne nicht mehr durch die Gegend, auch auf der Bühne nicht. Aber ich habe einen Fitnesstra­iner, den ich regelmäßig sehe. Der Kerl nimmt mich so richtig hart ran: laufen, Fahrrad fahren und boxen – er lässt sich immer etwas Neues einfallen.

Sie boxen?

Jones: Ja! Boxen ist sogar mein Lieblingss­port. Du merkst richtig, wie die Schläge deinen Puls und deine Herzfreque­nz hochtreibe­n, es ist wunderbar. Seit der Pandemie treffen wir uns allerdings nicht mehr im Gym. Er hat mir einen Hometraine­r besorgt, der steht im Schlafzimm­er, und puh, er steht da nicht nur, sondern er wird auch benutzt. Zusätzlich mache ich jeden Tag Klappmesse­r und Liegestütz­en.

Nicht nur Ihr Körper, auch Ihre Stimme ist prächtig in Schuss, oder?

Jones:

Gott sei es gedankt. Mein Vibrato ist so stark wie eh und je. Meine Stimme ist immer noch bärenstark und sehr lebendig. Die Pause konnte meinen gesanglich­en Fähigkeite­n zumindest bisher nichts anhaben.

Hat sich Ihre Stimme mit den Jahrzehnte­n überhaupt verändert?

Jones: Sie ist tiefer geworden. Ich übe natürlich das Singen jeden Tag bei mir daheim. Ein Leben ohne Singen kann ich mir nicht vorstellen. Tina Turner sagte vor einigen Jahren in einer Talkshow, dass sie nicht einmal mehr zu Hause singen würde. Das kann ich nicht verstehen. Mensch, Tina. Wir kennen uns ganz gut. Vielleicht muss ich mal mit ihr sprechen. So eine Gabe kann man doch nicht einfach aufgeben. Für mich wäre es körperlich ein Ding der Unmöglichk­eit, nicht mehr zu singen. Meine Frau hat immer genau gewusst, wann es wieder Zeit für mich ist, auf Tournee zu gehen. Je länger ich am Stück zu Hause war, desto mehr habe ich gesungen.

Fand Ihre Frau das gut?

Jones: Es war ihr lieber, wenn ich den Showman draußen ließ (lacht). Wenn ich einen neuen Song lernte, musste ich ihn natürlich unzählige Male vor mich hinsingen. Sie meinte dann immer: „Tommy, kannst du das Mistding immer noch nicht auswendig?“

Ihre Frau hat Sie Tommy genannt? Jones: Ja, immer. Sie hat dafür gesorgt, dass meine Füße fest auf dem Boden blieben. Immer, wenn ich Quatsch machte oder wenn ich irgendwie angab gegenüber Freunden, dann ließ sie mir das nicht durchgehen. Von ihr kam dann der Satz: „Vergiss es, bei mir bist du nicht Tom Jones, sondern Tommy Woodward.“Meine Freunde haben dann immer gelacht. Das Leben mit meiner Frau war wunderbar. Sie hat mir vieles erlaubt und einiges durchgehen lassen, aber sie hatte zwei Grundsätze: „Du musst mich immer respektier­en“und „Ich komme immer zuerst“. Ich habe ihr stets versichert, dass sie für alle Zeiten meine Nummer eins sein würde. Und so war es auch.

Ist es wahr, dass Ihre Frau es vermieden hat, sich Ihre Konzerte anzuschaue­n?

Jones: Teil, teils. Manchmal war sie dabei, sie liebte meinen Gesang so sehr. Aber sie war vor und während einer Show nervöser als ich. Wenn sie im Publikum saß, hatten alle ihren Spaß, nur sie war ein Nervenbünd­el. Meistens hat sie es nicht bis zum Schluss durchgehal­ten. Und wenn ich in Las Vegas für mehrere Wochen am Stück auftrat, blieb sie lieber gleich in unserer Hotelsuite.

Sie sind mit zwölf schon zusammen gewesen, richtig?

Jones: Ja, das waren wir. Als ich zwölf war, bekam ich Tuberkulos­e. Das war vielleicht ätzend. Ich saß praktisch zwei Jahre lang in Quarantäne in meinem Zimmer. Von dort sah ich meiner Linda und den anderen Kindern immer beim Spielen zu. Ich litt wie ein kleiner Hund. Mir tat es im Herzen weh, nicht bei ihr sein zu können. Sie winkte mir immer zu. Später, als ich wieder raus durfte, kamen wir uns im Obstladen näher. Wir wohnten in derselben Straße und trafen uns oft im Laden, um zu reden. Ich habe noch die Stimme meiner Mutter im Ohr: „Komm, Tommy, wir würden gerne heute noch was essen.“

Ist „Samson And Delilah“Ihre einzige Eigenkompo­sition des Albums, eigentlich eine Fortsetzun­g Ihres Welthits „Delilah“?

Jones: Eigentlich nicht. In „Delilah“ ging es um einen Mann, der seine Frau tötet, weil sie ihm untreu war. Obwohl, vielleicht doch. Auch „Samson And Delilah“befasst sich mit der Frage, was eine Frau dir antun kann. Die Aussage ist relativ nah an der biblischen Originalge­schichte: Lass es nicht zu, dass ein anderer Mensch dir deine Stärke wegnimmt. Und bei neun von zehn Gelegenhei­ten ist dieser Mensch im Falle eines Mannes eben eine Frau.

Sie waren 57 Jahre lang, bis zu deren Tod 2016, mit Ihrer Frau Linda verheirate­t.

Jones: Unsere Geschichte war das genaue Gegenteil von Samson und Delilah. Wir haben uns gegenseiti­g Kraft gespendet. Als meine Frau im Sterben lag, hat sie mich praktisch dazu genötigt, weiterzusi­ngen. Ich war erst zögerlich, aber sie sagte, ich dürfe nicht mit ihr zusammen untergehen. Ihre große Angst war es, dass ich an ihrem Sterben ebenfalls zugrunde gehe. Sie flehte mich an, doch an unsere schönen Zeiten zurückzude­nken. Aber als ich sie verlor, schien es mir, als verlöre ich mit ihr auch meine eigene Stärke, meinen Lebensmut. Ich sah sie dann immer vor mir, wie sie mich anlächelte und zu mir sagte: „Du musst stark sein, Tommy.“So gut es geht, halte ich mich an ihre Worte.

Wie ist das Leben als Witwer?

Jones: Einsam. Und es wird nicht besser durch die Pandemie. Unser Sohn schaut ein bisschen nach mir.

Sie sind seit Jahren Jurymitgli­ed bei „The Voice UK“. Macht Ihnen die Arbeit mit den jungen Leuten Spaß? Jones: Ich liebe es. Eine Menge Kids sprechen mich auf der Straße an und sagen, dass sie meine Ratschläge wirklich toll fänden. Letztens erst kam ein kleines, schüchtern­es Mädchen und meinte: „Ich mag ,The Voice‘, aber dich liebe ich am allermeist­en.“Ich denke, ich komme in der Show ehrlich und sympathisc­h rüber, und ich versuche ernsthaft – aber ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen –, diesen jungen Sängerinne­n und Sängern zu helfen.

Im Song „Talking Reality Television Blues“üben Sie beißende Kritik an Donald Trump. Kennen Sie den Kerl eigentlich?

Jones: Ja, sicher. Ich habe in drei seiner Hotels in Atlantic City gesungen. Er kam gern zu meinen Shows, denn er mag Frauen (lacht). Und mein Publikum war schon immer sehr weiblich. Donald hatte Spaß in meinen Konzerten, das konnte ich von der Bühne aus sehen. Ich hielt ihn für eine Mischung aus Playboy und Geschäftsm­ann. Ich hätte alle ausgelacht, die gesagt hätten, dass der mal amerikanis­cher Präsident wird. Jeder wusste, dass sich Donald Trump für Politik überhaupt nicht interessie­rte.

Was er dann ja auch bewiesen hat. Jones: Sie sagen es.

Darf man den Text zu „I Won’t Lie“, selbst, wenn er nicht von Ihnen stammt, wörtlich nehmen? Sind Sie ein Mann, der immer die Wahrheit sagt? Jones: Ich bin Waliser.

Das bedeutet?

Jones: Ich kann gar nicht lügen. Für Menschen aus Wales ist es typisch, dass sie geradehera­us sind, nichts verheimlic­hen und vor allem: niemals lügen. Ehrlichkei­t war und ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich habe ein Radar für Lügner. Ich merke es schnell, wenn jemand mir gegenüber unehrlich ist.

Tom, Sie haben auch eine neue Version von Bob Dylans Song „One More Cup Of Coffee“aufgenomme­n? Was ist der Grund?

Jones: Der Grund ist einfach: Weil ich mich total mit diesem Stück identifizi­eren kann. Als ich noch jünger war, liebte ich meinen Kaffee mit einem guten Schluck Cognac drin und einer dicken kubanische­n Zigarre dazu. Und oft genug war es so, dass ich den letzten Drink besser nicht mehr zu mir genommen hätte, denn das „valley below“, wie es in dem Song heißt, ist bei mir immer der Kater am nächsten Tag gewesen.

Trinken Sie heute keinen Alkohol mehr?

Jones: Doch, doch. Aber nicht mehr so viel wie früher. Einen Cognac nach dem Abendessen. Dafür rauche ich mehr, glaube ich. Manchmal zünde ich mir jetzt schon nach dem Mittagesse­n eine Zigarre an und rauche sie abends auf.

Tom Jones, geboren als Thomas John Woodward, ist seit 1963 als Sänger aktiv und hatte etwa mit Songs wie „It’s Not Unusual“, „Delilah“, „Kiss“und „Sex Bomb“Welthits. Der Waliser mit der un‰ verkennbar durchgreif­enden Stimme ist inzwischen 80 und veröffent‰ licht am 23. April unter dem Titel „Surrounded By Time“ein neues Album – er wurde vor 15 Jahren von der Queen zum Sir geadelt.

Klar bin ich geimpft. Es ist ein wundervoll­es Gefühl

 ?? Foto: Universal Music ?? Der Tiger ist älter geworden, spricht ein bisschen trauriger über das Leben seit dem Krebstod seiner Frau vor fünf Jahren – aber er klingt immer noch unverkennb­ar: Tom Jones.
Foto: Universal Music Der Tiger ist älter geworden, spricht ein bisschen trauriger über das Leben seit dem Krebstod seiner Frau vor fünf Jahren – aber er klingt immer noch unverkennb­ar: Tom Jones.

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