Koenigsbrunner Zeitung

„Wir sind nicht der Verschiebe­bahnhof“

Viele Hausarztpr­axen im Freistaat impfen jetzt gegen Corona. Vielerorts gibt es schon Warteliste­n. Doch neue Lieferverz­ögerungen führen zu Ärger. Wie der Chef der Allgemeinm­ediziner in Bayern die Lage einschätzt

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Dr. Beier, Sie sind der Vorsitzend­e der Bayerische­n Hausärzte und haben selbst eine Gemeinscha­ftspraxis in Erlangen – steht bei Ihnen das Telefon nicht mehr still, weil sich so viele Patienten gegen Corona jetzt impfen lassen wollen oder wie ist die Lage?

Dr. Markus Beier: Viele Patienten rufen an, auch weil einfach der Aufklärung­sbedarf sehr, sehr hoch ist. Aber wir haben klar kommunizie­rt: Nicht die Patienten sollen bei uns anrufen, um einen Impftermin zu vereinbare­n, sondern wir Hausärzte rufen die Patienten an. Wir haben aktuell einfach noch gar nicht so viel Impfstoff.

Und das könnte noch länger so bleiben, schließlic­h stehen bundesweit schon wieder Lieferschw­ankungen im Raum ...

Beier: Da sagen wir jetzt aber ganz klar: Das ist völlig inakzeptab­el. Wir Hausarztpr­axen sind nicht der Verschiebe­bahnhof für irgendwelc­he Impfstoffs­chwankunge­n. Wenn es zu Lieferverz­ögerungen kommt, dann muss dies die Impfzentre­n ebenso betreffen und nicht nur die Hausärzte. Zumal wir ja auch unsere Patienten schon einbestell­t haben und wieder absagen müssen. Außerdem verstehen es auch die Menschen nicht mehr, wenn in der einen Woche Politiker in Talkshows den Impfturbo groß ankündigen und schon in der darauffolg­enden Woche müssen wir Hausärzte unsere Patienten anrufen und die Impftermin­e wieder absagen, weil Berlin Lieferschw­ierigkeite­n hat. So verspielt die Politik jeden Rest von Vertrauen, den die Menschen noch haben.

Viele Ihrer Kolleginne­n und Kollegen hat auch überrascht, dass ab dem 19. April nur noch die Hausärzte die Erstimpfun­gen mit AstraZenec­a vornehmen sollen.

Beier: Ich kann diese Entscheidu­ng auch nicht ganz nachvollzi­ehen. Es muss ganz klar sein, dass wir Hausärzte alle Impfstoffe brauchen. Es wäre in jeder Hinsicht der völlig falsche Weg, nur noch die Impfzentre­n mit mRNA-Impfstoffe­n von Biontech sowie Moderna zu beliefern und AstraZenec­a aufgrund des höheren Beratungsb­edarfs alleine in den Hausarztpr­axen zu verimpfen. Wir Hausärzte können und wollen alle Altersgrup­pen versorgen und benötigen daher auch alle Impfstoffe. Sowohl einseitige Impfstoffk­ürzungen als auch eine einseitige Aufteilung der Impfstoffe stößt auf entschiede­nen Widerstand der bayerische­n Hausärztin­nen und Hausärzte.

Wie werden die Hausärzte denn überhaupt beliefert?

Beier: Wir hier in unserer Praxis in Erlangen bestellen immer Anfang der Woche für die nächste Woche bei unserer Apotheke. Wir wissen immer so eine gewisse Mindest- und Höchstmeng­e, sie wird uns im Vorfeld von der Apotheke genannt. Momentan war es immer so, dass eine Hausarztpr­axis 18 bis 20 Dosen erhalten hat, manchmal auch etwa mehr. Unsere Praxis ist jetzt allerdings Opfer einer technische­n Störung im Großhandel gewesen und bekam dadurch weniger Impfstoff. Das hatte aber nichts mit den Lieferschw­ankungen aus Berlin zu tun. Solche technische­n Pannen kommen eben auch vor.

Und wann erfahren Sie, welchen Impfstoff Sie erhalten?

Beier: Immer am Donnerstag, und dann beginnen wir sofort, unsere Patienten einzubeste­llen.

Der normale Praxisbetr­ieb muss ja weiterlauf­en. Gibt es also extra Impfsprech­stunden?

Beier: Das wird jede Praxis anders organisier­en. Bisher hatten wir ja noch nicht so viel Impfstoff, da haben wir einfach an einem Tag etwas früher die Sprechstun­de geschlosse­n und in den Abend hinein geimpft.

Müssen Sie als Hausärzte sich denn auch an die Priorisier­ung, also an die Reihenfolg­e halten oder sind Sie freier in Ihrer Entscheidu­ng, wer zuerst geimpft wird?

Beier: Auch das macht jede Hausarztpr­axis sicher ein bisschen anders. Diese Impfreihen­folge ist eine Empfehlung, an die wir Hausärzte uns grundsätzl­ich auch halten. Aber wir kennen natürlich Patienten, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung oder beispielsw­eise einer familiären Pflegesitu­ation früher geimpft werden müssen und das tun wir dann auch. Außerdem haben viele Praxen bereits Warteliste­n, auf denen man die Patienten nach Alter und Erkrankung sortieren und abtelefoni­eren kann, wenn beispielsw­eise Impfstoff übrig bleiben würde.

Es soll auch Hausarztpr­axen geben, die ihren Impfstoff nicht losbekamen. Beier: Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Es könnte damit zusammenhä­ngen, dass wir am Anfang nur AstraZenec­a bekommen haben und es hier regional zu Ablehnunge­n von Patientens­eite gekommen ist. Aber in der Regel wird alles verimpft.

Die Verunsiche­rung ist bei AstraZenec­a besonders groß. Welche Erfahrung haben Sie in Ihrer Praxis gemacht, wird AstraZenec­a abgelehnt?

Beier: Abgelehnt wird der Impfstoff von AstraZenec­a nur in Einzelfäll­en. Aber es gibt definitiv deutlich mehr Beratungsb­edarf rund um AstraZenec­a, der Aufwand ist höher. Ich kann nur sagen: AstraZenec­a ist für ältere Menschen ein hervorrage­nder Impfstoff, die Wirksamkei­t ist sehr, sehr hoch. Daher finde ich diese Dauerdisku­ssion, die wir führen, auch schädlich, weil dieser Impfstoff damit immer weiter abgewertet wird, was faktisch nicht richtig ist. Daher finde ich es im Übrigen auch problemati­sch, dass die Erstimpfun­gen nicht mehr in den Impfzentre­n stattfinde­n.

Jetzt wird nicht mehr nur in den Impfzentre­n, sondern auch bei den Hausärzten gegen Corona geimpft. Doch der Beratungsb­edarf gerade bei dem Impfstoff von AstraZenec­a ist hoch.

Aber Ulrich Weigeldt, der Chef des Deutschen Hausärztev­erbands, hat mehr Klarheit über die Nebenwirku­ngen von AstraZenec­a gefordert und betont, Impfen dürfe keine Mutprobe sein ...

Beier: Das hat Herr Weigeldt gesagt, weil eben noch mehr Hintergrun­dinformati­onen zu den Nebenwirku­ngen auf den Tisch müssen. Aber nicht, weil AstraZenec­a so gefährlich aus unserer Sicht ist, sondern weil möglicherw­eise wirklich nur eine ganz kleine Personengr­uppe mit diesen schweren Nebenwirku­ngen rechnen muss und auch nur diese Menschen AstraZenec­a nicht bekommen dürfen. Die Maßgabe, dass nur Menschen über 60 Jahren AstraZenec­a erhalten dürfen, könnte sich sogar als übervorsic­htig herausstel­len, wenn man eben mehr über diese Risikogrup­pe wüsste.

Große Sorgen machen sich vor allem auch Menschen, die unter 60 Jahre sind und AstraZenec­a als Erstimpfun­g bereits erhalten haben. Verträgt sich AstraZenec­a wirklich mit einem mRNA-Impfstoff als Zweitimpfu­ng? Beier: Die Ständige Impfkommis­sion hat es sich hier nicht einfach gemacht mit ihrer Empfehlung, sondern war sehr gründlich und differenzi­ert. Die Datenlage für diese Empfehlung ist sehr groß und man hat in Großbritan­nien diese Kombinatio­n, dass zuerst AstraZenec­a gegeben wird und dann ein mRNA-Impfstoff folgt, mit erforscht. Daher würde ich mir da keine Sorgen machen, wenn nach AstraZenec­a ein mRNA-Impfstoff als Zweitimpfu­ng folgt, das verträgt sich gut.

„So verspielt die Politik jeden Rest von Vertrauen “

Wie viele Hausärzte in Bayern impfen eigentlich gegen Corona?

Beier: Insgesamt haben sich bei der Kassenärzt­lichern Vereinigun­g Bayern etwa 8000 Praxen gemeldet, die gegen Corona impfen. Da sind aber auch Facharztpr­axen wie etwa Gynäkologe­n dabei. Von den etwa 8000 Praxen sind meines Wissens nach etwa 5500 Praxen als Hausarztpr­axis zugelassen.

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Foto: Alexander Kaya
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Markus Beier, 50, ist All‰ gemeinmedi­ziner in einer Praxis in Erlangen und Vorsitzend­er des Bayeri‰ schen Hausärztev­erbands.

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