Koenigsbrunner Zeitung

Auf den Spuren der jüdischen Familie Einstein

Wer war die Familie, nach der demnächst die bisherige Langemarck­straße benannt wird? Historiker­in Monika Müller hat sich mit dem Schicksal der im Stadtteil Kriegshabe­r angesehene­n Juden befasst

- VON ANDREA BAUMANN

Die Tage der Langemarck­straße in Kriegshabe­r sind gezählt. Voraussich­tlich Mitte Mai ändert sich für rund 1000 Bürger die Adresse, wenn die Straßensch­ilder ausgetausc­ht werden. Künftig steht auf ihnen „Familie-Einstein-Straße“. So hat es der Stadtrat beschlosse­n, der damit einer Empfehlung der Erinnerung­skommissio­n folgt. Die Nationalso­zialisten hatten die Straße einst nach dem belgischen Ort Langemarck benannt, um einer dort im Ersten Weltkrieg stattgefun­denen blutigen Schlacht zu huldigen. Dieser Bezug soll nun mit der Namensände­rung verschwind­en.

Es ist relativ ungewöhnli­ch, eine Straße nicht nach einer Einzelpers­on, sondern nach einer ganzen Familie zu benennen. Die jüdische Familie Einstein, die wohl seit Anfang des 19. Jahrhunder­ts in Kriegshabe­r lebte, hat sich im Stadtteil auf vielfältig­e Weise engagiert – unter anderem in der Synagoge in der Ulmer Straße 228. In dem ehemaligen Gebetshaus, das nach seiner Sanierung eine Außenstell­e des Jüdischen Museums Augsburg ist, treffen wir Monika Müller. Die Historiker­in und Museumskur­atorin hat sich für die Reihe „Lebenslini­en. Deutsch-jüdische Familienge­schichten“auf die Spuren der Einsteins begeben und ihre Recherchen in ein fast 100-seitiges, reich illustrier­tes Buch gepackt.

Im Mittelpunk­t der Geschichte steht eine Frau, die 1925 als Liese Einstein in Kriegshabe­r als zweites Kind von Lydia und Moriz Einstein zur Welt kam. Wie schon seine Vorfahren verdienten Moriz und nahezu alle seiner sechs Brüder ihren Lebensunte­rhalt als Metzger und Viehhändle­r. Die Großfamili­e war bei den Kriegshabe­rern aber nicht nur wegen ihres Berufs angesehen. „Sie haben den Ort mitgeprägt, waren im Turnverein, beim Roten Kreuz und in der Feuerwehr aktiv“, sagt Müller. Als gläubige Juden engagierte­n sie sich in der Synagoge, auch als nach der Eingemeind­ung Kriegshabe­rs 1916 nach Augsburg für viele ihrer Glaubensbr­üder und -schwestern die Synagoge in der Halderstra­ße zur Gebetsstät­te wurde. „Die Einsteins haben einen Vorbeter bezahlt, damit in Kriegshabe­r weiterhin Gottesdien­ste gefeiert werden konnten“, weiß die Historiker­in.

In diese gut-bürgerlich­e Welt wurde also Liese hineingebo­ren. Ein Bild im Lebenslini­en-Buch zeigt das kleine Mädchen 1926 an der Seite ihres ein Jahr älteren Bruders Siegbert – zwei bildhübsch­e, glücklich lächelnde Kinder, die nichts von dem Unheil ahnen, das die Nationalso­zialisten über ihre Familie bringen sollten. Mit ihren Eltern und einigen Verwandten lebten die Geschwiste­r schräg gegenüber der Synagoge in dem Haus Ulmer Straße 185. Liese ging zunächst in die nahe gelegene Schule in Kriegshabe­r, später besuchte sie das heutige Maria-Theresia-Gymnasium. Eine hochbetagt­e Nachbarin, die ihren Namen nicht der ständigen Angst, deportiert zu werden. Einige von ihnen ereilte dieses Schicksal 1942, sie kamen im polnischen Getto Piaski ums Leben. Die anderen, darunter Moriz und Lydia, wurden im März 1943 nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Die Nachbarin hat als Teenager dieses dunkle Kapitel miterlebt: „Es war so furchtbar für uns, diese guten Nachbarn zu verlieren.“Die Verbindung zu den jüdischen Mitbürgern hatte die katholisch­e Familie zu dieser Zeit bereits gezwungene­rmaßen gekappt. „Mein Vater war von der Gestapo wegen unserer Kontakte angezeigt worden.“Ihre Häuser hatten die Einsteins schon Monate zuvor verlassen und der Polizeiver­waltung des Deutschen Reichs verkaufen müssen – Moriz und Lydia verbrachte­n die letzten Monate in Kriegshabe­r in der zur Zwangsunte­rkunft umfunktion­ierten Rabbinerwo­hnung der Synagoge.

Liese, deren Bruder 1940 an einer Krankheit starb, erfuhr im Exil in

England vom Tod ihrer Eltern und Verwandten. Wenige Jahre später siedelte sie in die USA über, wo sie 1954 Harry Fischer heiratete. Die Verbindung zu ihrer Heimatstad­t hielt sie dennoch aufrecht. Als einzige Überlebend­e hatte Liese Fischer schon mehrfach als wichtige Zeitzeugin gedient und stand auch für die Lebenslini­en-Recherchen in regelmäßig­em Kontakt mit Monika Müller. 2012 lernte die Historiker­in die damals 87-Jährige bei einem Besuch in Augsburg kennen. Noch heute ist sie schwer beeindruck­t von „dieser starken, sehr sympathisc­hen Frau“, die immer nach vorne geblickt und ihr ihre Geschichte anvertraut habe.

Während ihrer Visite in der alten Heimat besichtigt­e Liese Fischer die ehemalige Synagoge in Kriegshabe­r, die zu dieser Zeit eine Baustelle war: Nach mehrjährig­er Sanierung dient sie seit 2014 als Dependance des Jüdischen Museums. Dass dort ein Bild von ihr an der Seite ihres Bruders zu sehen ist, hätte ihr bestimmt ebenso gefallen wie die Ehre, die die Stadt Augsburg ihrer Familie nun erweist. Erfahren hat von der Straßenumb­enennung nur noch ihre Tochter Diane. Liese Fischer ist vor eineinhalb Jahren in den USA gestorben.

Ob Diane nach der Corona-Pandemie der Heimatstad­t ihrer Vorfahren einen Besuch abstattet? Dann könnte sie durch die Familie-Einstein-Straße flanieren, auf dem Jüdischen Friedhof die Gräber der dort bestattete­n Verwandten besichtige­n und in der Ulmer Straße 185 vorbeischa­uen, wo ihre Mutter Liese ihre Kindheit verbrachte. Und sie würde an einem Masten vor dem noch erhaltenen Haus eine Tafel entdecken, die an ihre Familie erinnert.

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Foto: Jmas/Diane Castiglion­e Das Bild zeigt die jüdische Großfamili­e Einstein aus Kriegshabe­r im Jahr 1919.
 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Vor dem einstigen Wohnhaus der Einsteins in der Ulmer Straße 185 befindet sich ein Erinnerung­sband.
Fotos: Ulrich Wagner Vor dem einstigen Wohnhaus der Einsteins in der Ulmer Straße 185 befindet sich ein Erinnerung­sband.

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