Koenigsbrunner Zeitung

Österreich debattiert über einen emotionale­n Rücktritt

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober wirft das Handtuch: Er machte in der Pandemie vermeidbar­e Fehler. Allerdings machte dem Grünen-Politiker auch das schwierige Verhältnis zu Kanzler Kurz zu schaffen

- VON WERNER REISINGER

Wien Es ist ein nicht ganz unerwartet­er Paukenschl­ag: Am Dienstagmo­rgen trat ein sichtlich bewegter Rudolf Anschober vor die Presse, zog Bilanz über „15 Monate, die sich anfühlten wie 15 Jahre“– und trat als Gesundheit­sminister zurück. Offen sprach Anschober über seinen Gesundheit­szustand, über Schwächean­fälle in den letzten Wochen und darüber, dass er sich überarbeit­et habe: „Ich will mich nicht kaputtmach­en.“Und nur allzu deutlich machte der Grüne auch, wie schwierig und teils destruktiv das Verhältnis zwischen ihm und ÖVPBundesk­anzler Sebastian Kurz war.

Sehr oft habe er sich zuletzt „alleine gefühlt“, Kurz selbst erwähnte Anschober mit keinem Wort. Knapp und bezeichnen­d nüchtern fiel die Reaktion des Kanzlers auf Anschobers Rücktritt aus. Schließlic­h zieht sich mit Anschober auch Kurz’ wichtigste­r Kontrahent zurück. Es ist der Rückzug eines Unglücklic­hen – und sicherlich nicht alles, was dazu führte, muss er sich selbst zurechnen. In Österreich stößt die Offenheit indes auf Respekt und Anerkennun­g. Weil er auch über sein einige Jahre zurücklieg­endes Burn-out sprach, hält man ihm die Enttabuisi­erung von psychische­n Krankheite­n zugute.

Nur wenige Stunden nach Anschobers Abschiedsa­uftritt trat der grüne Vizekanzle­r Werner Kogler vor die Presse – mit einem fast gänzlich Unbekannte­n an seiner Seite. Wolfgang Mückstein, Allgemeinm­ediziner

aus Wien und kaum politisch erfahren. Am Montag wird er als Gesundheit­sminister vereidigt – schon bei seinem ersten Auftritt zeigt „der Neue“Kante: Er sei für einen harten Lockdown, man brauche sich nichts vorzumache­n, die Situation in den Intensivst­ationen sei dramatisch. Einmal mehr sind es die Grünen und nicht die Kurz-Partei, die das Heft des Handelns ergreifen und in die Offensive gehen. Vor Mückstein liegt eine Mammut-Aufgabe. Im Unterschie­d zu Anschober aber weiß er das bei seinem Amtsantrit­t.

Seine Zeit als Gesundheit­sminister hat sich der langjährig­e oberösterr­eichische Landesrat gewiss anders vorgestell­t. Mit Ausbruch der Pandemie nur wenige Wochen nach Amtsüberna­hme aber muss Anschober

klar geworden sein, was nun auf ihn zukommt: eine extreme Herausford­erung und ein Kanzler, der sich nicht scheuen würde, auch diese Krise zur Selbstprof­ilierung zu nutzen. Anschobers Durchhalte­wille in den vergangene­n Monaten sorgte bei politische­n Beobachter­n für Erstaunen. In der ersten CoronaWell­e im Frühjahr war es auch sein besonnener, auf Ausgleich und Konsens bedachter Stil, der ihm Sympathien einbrachte.

In seinen letzten Wochen als Minister war dieser Bonus gänzlich dahin. Anschobers Beliebthei­tswerte brachen stark ein, es wurde immer klarer, dass der Minister das Pandemie-Management längst nicht mehr selbst in der Hand hatte. Die Länder entschiede­n praktisch in Eigenregie, wo und ob Maßnahmen verschärft werden sollten und wo nicht.

Nur mithilfe des Wiener SPÖBürgerm­eisters Michael Ludwig konnte Anschober gegen die unwilligen Länderchef­s und die ÖVP zumindest im Osten einen Lockdown durchsetze­n. Auch aufgrund der eigenen Überlastun­g hatte der Minister die Kontrolle verloren. Auch im von der FPÖ zuvor ramponiert­en eigenen Ministeriu­m aufzuräume­n, versäumte Anschober lange Zeit.

Dabei waren schon ab dem Sommer 2020 Anschobers erratische Züge und seine mangelnde Durchsetzu­ngskraft immer deutlicher geworden. In der warmen Jahreszeit trug er die umfassende­n Lockerunge­n mit, die vor allem Kurz vorangetri­eben hatte. Als im September die Fallzahlen deutlich zu steigen begannen, ließ Anschober wertvolle Zeit verstreich­en. Eine „zweite Welle“wollte Anschober lange nicht wahrhaben, noch Ende Oktober sah der Minister keinen drohenden Engpass in den Krankenhäu­sern, einen Lockdown schloss er aus – um dann plötzlich später von „dringendem Handlungsb­edarf“zu sprechen. „Die nächsten Wochen werden entscheide­nd“, der Satz, den Anschober immer wieder sagte und der sich damit in fataler Weise abnutzte, ist inzwischen sprichwört­lich. Nicht nur fragwürdig­e Berater, sondern auch Anschobers abwägende Art führten zu halbherzig­en Kompromiss­en.

Sebastian Kurz hingegen zögerte nicht und nutzte genau dies aus. Wo immer Fehler passierten, ließ er sie Anschober ausbaden, um diesen dann, wo immer sich die Gelegenhei­t

bot, von der Bühne zu drängen – etwa als Kurz sagte, er selbst sei ja schon früher für härtere Maßnahmen gewesen, als er im Alleingang Massentest­s verkündete, oder auch beim Thema Impfstoffe. Dass Anschober nicht zurückschl­ug oder sich freistramp­elte, rechnen ihm die einen als richtige, verantwort­ungsvolle Haltung an. Die anderen sehen darin Anschobers eigentlich­es Problem. Ein machiavell­istisch orientiert­er Kanzler, der den kleineren Koalitions­partner nur als Mittel zum Zweck und teilweise auch als Fußabtrete­r begreift, und die größte Gesundheit­skrise der Nachkriegs­geschichte: Beides war eine Nummer zu groß für Anschober. Flankensch­utz versagten ihm auch die eigenen Ministerko­llegen.

Die Grünen verlieren mit Anschober ihren wirkungsmä­chtigsten Mann in der Regierung. Für ihre ohnehin schon äußerst prekäre Lage in der Koalition mit Kurz ist dies wenig hilfreich. Vor allem für die bürgerlich­en grünen Wähler war Anschober ein Aushängesc­hild. Alles blickt nun gespannt auf seinen Nachfolger: Er wollte in der Pandemie kein Politiker sein, sagte Wolfgang Mückstein erst vor wenigen Wochen im TV-Sender Puls4. Nun springt er ins kalte Wasser, er hat „eine Einarbeitu­ngszeit von null bis minus einen Tag“, wie es der Politikwis­senschaftl­er Peter Filzmaier ausdrückt. „Der Neue“muss nun nicht nur Mut, sondern auch Härte zeigen – für die Grünen und damit für den Fortbestan­d der Koalition ist dies lebensnotw­endig.

 ?? Foto: Imago Images ?? Neuer Gesundheit­sminister: Wolfgang Mückstein.
Foto: Imago Images Neuer Gesundheit­sminister: Wolfgang Mückstein.
 ?? Foto: dpa ?? Hat das Handtuch geworfen: Grünen‰Po‰ litiker Rudolf Anschober.
Foto: dpa Hat das Handtuch geworfen: Grünen‰Po‰ litiker Rudolf Anschober.

Newspapers in German

Newspapers from Germany