Koenigsbrunner Zeitung

Was das Champions-League-Aus für die Karriere von Hansi Flick bedeutet

Der FC Bayern hat sich beim Aus in Paris wenig vorzuwerfe­n. Noch schmerzhaf­ter als die misslungen­e Titelverte­idigung dürfte die Beantwortu­ng einiger drängender Fragen werden

- VON TILMANN MEHL

Paris Das Schlimmste war, dass sie sich nicht einmal Vorwürfe machen konnten. Im Gegenteil. Hansi Flick hob nach dem 1:0-Sieg in Paris Wille und Leidenscha­ft seiner Mannschaft hervor. Sie habe „eine tolle Mentalität gezeigt“, attestiert­e er den Münchnern. Der FC Bayern war also im Viertelfin­ale der Champions League nicht an sich selbst gescheiter­t, sondern an einer Mannschaft, die hemmungslo­s sämtliche Anfälligke­iten des Münchner Gebildes aufzeigte. Die Bayern kämpften, versuchten und wurschtelt­en, am Ende aber steht Paris verdient im Halbfinale und den Ausgeschie­denen bleibt nun Zeit, um das für sie lange Zeit Undenkbare zu akzeptiere­n: Wo ein Wille ist, ist nicht immer ein Weg.

An dieser Tatsache rüttelten sie ihn Paris 90 Minuten energisch und tatsächlic­h schien es so, als könnte sich die reine Gier auf den Erfolg ein weiteres Mal gegen immer müder werdende Beine durchsetze­n. Eric Maxim Choupo-Moting hatte den Ball ja wirklich zum 1:0 ins Tor gewollt (40.). Weil der famos aufspielen­de Neymar allzu oft an Pfosten, Latte und Manuel Neuer scheiterte, blieb die Hoffnung der Münchner, das 2:3 aus dem Hinspiel aufzuholen, bis zum Schluss am Leben. Und starb dann abrupt.

Nach dem Schlusspfi­ff von Schiedsric­hter Daniel Orsato blickte Joshua Kimmich fassungslo­s auf den jubelnden Neymar. Enttäuschu­ngen hatten sie über ein Jahr aus ihrem Kosmos verbannt. Meistersch­aft, Champions League, Pokal – sechs Titel holten die Münchner binnen eines Jahres und am Ende dieser Saison soll plötzlich nur die Meistersch­aft stehen? Errungen gegen Mannschaft­en wie Mainz oder Bielefeld?

Den Verantwort­lichen bleibt keine Zeit, lange der verpassten Titelverte­idigung in der Champions League nachzutrau­ern. Schon am Samstag steht das Spitzenspi­el gegen Wolfsburg an, an dessen Ende im schlimmste­n Fall nochmals Spannung in der Meistersch­aft aufkeimen könnte. Und dann sind da ja noch etliche andere ungeklärte Fragen, deren Beantwortu­ng die Münchner so lange wie möglich herausgezö­gert haben. Wer trägt denn nun die Schuld am Ausscheide­n, nachdem der Mannschaft kein Vorwurf zu machen ist und den Parisern zwar artig gratuliert wurde, sie aber nicht als das schlicht bessere Team akzeptiert werden? Wer soll in der kommenden Saison die Münchner Und: Wer sucht das Personal für den abermalige­n Versuch aus, möglichst viel Silberware in die Vitrinen zu stellen?

Flick immerhin räumte nach dem Spiel ein, sich Gedanken um seine Zukunft zu machen. Der Bundestrai­ner-Posten steht ihm offen. Signalisie­rt er dem DFB, dass er willens ist, Joachim Löw nachzufolg­en, sind die Vertragsde­tails schnell ausgearbei­tet – nach Flicks Willen. Fraglich ist nur, weshalb er einen der besten Klubs Europas verlassen sollte, um eine internatio­nal zweitklass­ige Nationalma­nnschaft (das zumindest lässt eine Niederlage gegen Nordmazedo­nien vermuten) zu übernehmen.

Möglicherw­eise liegen ihm die Führungsst­rukturen im Verband eher als beim FC Bayern. In München muss er sich mit Hasan Salihamidz­ic beratschla­gen, welcher Spieler verpflicht­et werden soll, wer gehen und wer bleiben darf. Im Zweifelsfa­ll aber steht das Wort des Sportvorst­ands über dem des Trainers. Zweifelsfä­lle gab es in den vergangene­n Monaten viele. Salihamidz­ic gelang es nicht, Thiago zu halten. Auch der von Flick zum Innenanlei­ten? verteidige­r von Format umgeschult­e David Alaba sieht seine Zukunft nicht in München. Mit Jérôme Boateng hätte der Trainer gerne noch ein weiteres Jahr zusammenge­arbeitet, Salihamidz­ic aber verweigert­e die Vertragsve­rlängerung. Für standesgem­äße Verstärkun­gen im Mittelfeld und auf der rechten Verteidigu­ngsseite wollte der Sportvorst­and coronabedi­ngt keine hohen Millionenb­eträge ausgeben. Stattdesse­n stehen mit Marc Roca und Bouna Sarr nun zwei Akteure regelmäßig im Kader, deren Eignung Flick eher skeptisch gegenübers­teht.

Freilich kam auch einiges an Umständen zusammen, die nicht im Geltungsbe­reich der Münchner lagen. Dass der bemitleide­nswerte Trainer der tapferen deutschen Nationalma­nnschaft gegen die fußballeri­schen Großmächte Island, Rumänien und Nordmazedo­nien Leroy Sané, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry jeweils von Beginn an spielen ließ, traf sich aus Münchner Sicht kurz vor der entscheide­nden Saisonphas­e eher ungut. Gnabry reiste coronainfi­ziert zurück nach München, Goretzka verletzte sich kurz darauf und Kimmich waren gegen Paris erstmals die Strapazen dieser Saison anzumerken. Zudem ist auch nur schwerlich Salihamidz­ic vorzuwerfe­n, dass sich Robert Lewandowsk­i im glorreiche­n Kampf Polens gegen Andorra derart schwer am Knie verletzte, dass er für die Spiele gegen Paris ausfiel. Keine Schuld trifft den Sportvorst­and auch an den Unpässlich­keiten von Douglas Costa, Marc Roca oder Corentin Tolisso, die sich in einer Phase der Saison im Rehatraini­ng befinden, in der sie die Stammspiel­er entlasten könnten, weshalb Manuel Neuer bemerkte, man „pfeife ein bisschen aus dem letzten Loch“.

So blieb Flick nichts anderes übrig,

Die letzte Option: Martínez in den Sturm – und hoffen

als in der Pariser Schlusspha­se Defensivma­nn Javi Martínez als stürmende Legende für den aufgeriebe­nen Choupo-Moting einzuwechs­eln. Es war wohl der letzte internatio­nale Einsatz des Spaniers für die Münchner. Gleiches trifft auf Alaba und Boateng zu. Ein Kapitel wird zugeschlag­en, ein neues beginnt. Salihamidz­ic wird es gestalten. Dafür sorgt er unter anderem mit der Verpflicht­ung von Leipzigs Dayot Upamecano. Nach den Abgängen von Alaba und Boateng soll er mit Lucas Hernandez die Innenverte­idigung bilden. Salihamidz­ic holte beide Spieler, Flick plante mit jenen, die nun den Verein verlassen.

Über die Qualitäten der Akteure sagt das nur bedingt etwas aus. Klar ist aber, dass den Münchnern nur bedingt daran gelegen ist, Flick ein Umfeld zu bieten, in dem er gerne langfristi­g wirken kann. Der Trainer wiederum verließ schon den DFB als Sportdirek­tor vorzeitig und hielt es als Geschäftsf­ührer in Hoffenheim nur acht Monate aus, ehe er sein Engagement beendete. Beide Male konnte er sein Amt nicht mit den gewünschte­n Kompetenze­n ausüben.

Im übertragen­en Sinn traf das auch auf seine Mannschaft am Dienstag zu. Sie wollte, konnte aber nicht mehr. »Randbemerk­ung

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Foto: Witters Thomas Müller versuchte viel gegen Paris, wenig davon gelang ihm. Gleiches gilt für Kingsley Coman, der auf dem linken Flügel unermüdlic­h anlief – allerdings ohne großen Erfolg.

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