Koenigsbrunner Zeitung

Ein Spitzel spionierte die Rechtsterr­oristen aus

Die Polizei war der „Gruppe S.“um ihren Anführer Werner S. aus der Nähe von Augsburg auf den Fersen. Denn ein Informant berichtete über die Anschlagsp­läne. Warum das ein Problem im Prozess ist und weshalb der Spitzel gefährlich lebt

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF

Stuttgart/Augsburg Beim ersten Mal schleudert­en sie Äxte auf Bäume und grillten. Bei zweiten Mal aßen sie Bockwürstc­hen mit Kartoffels­alat und planten Mordanschl­äge und den Bürgerkrie­g. Die Mitglieder der mutmaßlich­en rechten Terrorzell­e „Gruppe S.“haben sich im echten Leben nur zwei Mal getroffen. Einmal an der „Hummelgaut­sche“, einer alten Sägemühle bei Alfdorf im Rems-Murr-Kreis. Und einmal im Haus eines Fliesenleg­ers in Ostwestfal­en. Die Ermittler wissen über diese Treffen ziemlich viele Details. Sie hatten einen Spitzel dabei.

Paul U., 49, hatte offenbar nach etlichen Straftaten und Jahren in der rechten Szene beschlosse­n, auf die gute Seite zu wechseln. Er wandte sich zunächst an das Bundesamt für Verfassung­sschutz. Nach ersten Gesprächen übernahmen Beamte des Landeskrim­inalamtes (LKA) BadenWürtt­emberg und gründeten eine Besondere Aufbauorga­nisation. Denn das, was U. ihnen berichtete, klang extrem bedrohlich.

Die „Gruppe S.“– benannt nach ihrem Anführer Werner S. aus Mickhausen bei Augsburg – soll eine bunt zusammenge­würfelte Truppe sein, die aus der Neonazi-Szene, aus dem Rockermili­eu, Reichsbürg­ern und sogenannte­n Preppern rekrutiert wurde. Sogar ein Verwaltung­sbeamter der Polizei aus Hamm ist an Bord. Sie vernetzen sich über mehrere Bundesländ­er. Sie horten bereits Waffen, sagte U. Und sie hätten Bestialisc­hes vor: Anschläge auf Moscheen und Attentate auf Politiker. Der Plan: Gegengewal­t durch Muslime auslösen und so einen Bürgerkrie­g provoziere­n. Das Ziel: ein Umsturz in Deutschlan­d, eine neue Gesellscha­ftsordnung.

Was den Ermittlern größte Sorge bereitete, war die scheinbare Opferberei­tschaft der Männer, die in Telegram-Chats davon träumten, nach Walhall zu gehen und „ihr Leben liegen zu lassen“. Dies und vieles mehr hat Paul U. in mehreren Vernehmung­en ausgesagt. Das Problem daran ist: U. ist keiner, dem man gleich alles glaubt.

Der untersetzt­e Mann hat mehr als 20 Jahre hinter Gittern verbracht, im Gefängnis und im Maßregelvo­llzug in psychiatri­schen Kliniken. Als Kind lebte er in einem Heim und soll sexuell missbrauch­t worden sein. Schon früh wurde U. wegen räuberisch­er Erpressung und der Geiselnahm­e eines Polizisten zu einer mehrjährig­en Gefängniss­trafe verurteilt. Im Knast blieb er gewalttäti­g, was die Strafe verlängert­e. Im Frühjahr 2017 kam er frei und muss sich fortan rechtsextr­em radikalisi­ert haben. Auch er selbst schreibt in einem Chat der „Gruppe S.“Dinge wie „Ich kann nicht jeden Nigger killen, den ich seh! Würde es gern, aber das kommt noch.“. Trotz solcher rassistisc­her Gewaltfant­asien kontaktier­t er im Herbst 2019 die Behörden, um die Umsturzplä­ne der mutmaßlich­en rechten Terrorzell­e zu verraten.

Doch wie glaubwürdi­g ist der Informant? Bei seinen Vernehmung­en machte er einen gesundheit­lich angeschlag­enen, labilen Eindruck. Schon früh sagte Werner S.s früherer Anwalt Felix Dimpfl aus Augsburg, es müsse untersucht werden, ob U. als Agent Provocateu­r aufgetrete­n ist, also als einer, der durch radikales Verhalten erst richtig Fahrt in die „Gruppe S.“gebracht hat. Anderersei­ts konnten die Ermittler viele seiner Aussagen verifizier­en, zum Teil decken sie sich mit dem, was in abgehörten Telefonate­n geredet wurde. Die Pläne sollen zum Ende hin sehr konkret geworden sein. Der Fall erinnert an das Mördertrio um den Nationalso­zialistisc­hen Untergrund NSU und die rechtsextr­emen Attentäter von Hanau, Halle und Kassel.

Das Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, das die Spitzelthe­matik immer begleitet, haben die Verteidige­r am zweiten Prozesstag vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart prompt aufgegriff­en. Mehrere Anwälte meldeten starke Zweifel an den Aussagen des Kronzeugen U. an. Es handle sich bei ihm um eine „mindestens problemati­sche Persönlich­keit“, sagte Günther Herzogenra­th-Amelung. U.s Angaben müsse man mit größter Skepsis begegnen. Verteidige­r André Picker meinte, man müsse U.s Motivation­slage ergründen und grundsätzl­ich die Ernsthafti­gkeit der Aussagen in der „Gruppe S.“beurteilen.

Die Bundesanwa­ltschaft hält die Pläne der mutmaßlich­en Terrortrup­pe für real. Das Oberlandes­gericht Stuttgart hat in dem Mammutproz­ess eine schwierige Aufgabe vor sich. Verhandelt wird im Hochsicher­heitsgeric­ht Stammheim, wo im Altbau in den 1970er Jahren schon die Spitze der linksextre­men Rote Armee Fraktion (RAF) angeklagt war. Bis August 2022 sind 60 Prozesster­mine blockiert.

Nur zwei der zwölf Angeklagte­n wollen reden. Werner S. ist nicht darunter. Er hat über seinen Verteidige­r Werner Siebers ausrichten lassen, dass er weder Angaben zur Person noch zur Sache mache. So werden fürs Erste auch neue Vorwürfe gegen S. nicht zur Sprache kommen. Er soll aus der Haft in der JVA Augsburg-Gablingen heraus versucht haben, gegen eine Belohnung von 50000 Euro einen Killer auf den Spitzel Paul U. anzusetzen.

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Foto: Archiv Werner S. aus Mickhausen soll der An‰ führer der Terrorzell­e sein.

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