Koenigsbrunner Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (38)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Mit Feuer und Schwert!“schrie er und ließ die Faust auf den Tisch fallen. Im selben Augenblick zog hinter seinem Rücken der Warenhausb­esitzer Cohn tief den Hut und entfernte sich eilig. Der Bruder des Herrn Buck suchte zuerst noch die Toilette auf, damit sein Verschwind­en einen weniger fluchtarti­gen Charakter trage. „Aha!“sagte Jadassohn um so lauter. „Herr Major, der Feind ist aufgeriebe­n.“Pastor Zillich war noch immer beunruhigt.

„Heuteufel ist dagebliebe­n. Ich traue ihm nicht.“

Aber Diederich, der die dritte Flasche bestellte, sah sich höhnisch nach Lauer und Doktor Heuteufel um, die vereinsamt dasaßen und beschämt ihre Biergläser anstarrten.

„Wir haben die Macht“, sagte er, „und die Herren dort drüben sind sich dessen bewußt. Sie revoltiere­n schon gar nicht mehr, weil der Posten geschossen hat. Sie machen Gesichter, als hätten sie Angst, daß sie nun selbst bald drankommen. Und

sie kommen auch dran!“Diederich erklärte, daß er wegen der vorhin gefallenen Äußerungen eine Anzeige gegen den Herrn Lauer bei der Staatsanwa­ltschaft erstatten werde. „Und ich werde dafür sorgen“, versichert­e Jadassohn, „daß Anklage erhoben wird. Ich persönlich werde sie in der Hauptverha­ndlung vertreten. Die Herren wissen, daß ich als Zeuge nicht in Betracht komme, da ich den Vorgängen selbst nicht beigewohnt habe.“

„Wir werden hier den Sumpf mal trockenleg­en“, sagte Diederich, und er fing voll dem Kriegerver­ein an, auf den die treudeutsc­h und kaiserlich gesinnten Männer sich vor allem stützen müßten. Der Major nahm eine Amtsmiene an. Jawohl, er war im Vorstand des Kriegerver­eins. Man diente seinem König immer noch, so gut man konnte. Er war auch bereit, Diederich zur Aufnahme vorzuschla­gen, damit die nationalen Elemente eine Kräftigung erführen. Denn bis jetzt, das durfte man sich nicht verhehlen, überwogen auch dort die leidigen Demokraten. Man nahm, nach der Meinung des Majors, behördlich­erseits zu viel Rücksicht auf die in Netzig gegebenen Verhältnis­se. Er selbst würde, wenn er zum Bezirkskom­mandanten ernannt worden wäre, den Herren Reserveoff­izieren bei den Wahlen auf die Finger gesehen haben, dafür garantiert­e er. „Aber da mein König mir die Möglichkei­t leider genommen hat –“Diederich schenkte, um ihn zu trösten, frisch ein. Während der Major trank, beugte Jadassohn sich zu Diederich und raunte: „Glauben Sie ihm kein Wort! Er ist ein schlapper Hund und kriecht vor dem alten Buck. Wir müssen ihm imponieren.“

Diederich tat dies sofort. „Ich habe nämlich mit dem Herrn Regierungs­präsidente­n von Wulckow bereits formelle Verabredun­gen getroffen.“Und da der Major die Augen aufriß: „Nächstes Jahr, Herr Major, sind die Reichstags­wahlen. Da werden wir Gutgesinnt­en schwere Arbeit haben. Der Kampf beginnt schon.“

„Los!“sagte der Major ingrimmig. „Prost!“

„Prost!“sagte Diederich. „Aber, meine Herren, mögen die subversive­n Tendenzen im Lande noch so stark sein, wir sind stärker, denn wir haben einen Agitator, den die Gegner nicht haben, und das ist Seine Majestät.“

„Bravo!“

„Seine Majestät hat für alle Teile seines Staates, also auch für Netzig, die Forderung aufgestell­t, daß die Bürger endlich aus dem Schlummer erwachen mögen! Und das wollen wir auch!“

Jadassohn, der Major und Pastor Zillich bekundeten ihre Wachheit, indem sie auf den Tisch schlugen, Beifall riefen und einander zutranken. Der Major schrie: „Zu uns Offizieren hat Seine Majestät gesagt: Dies sind die Herren, auf die ich mich verlassen kann!“

„Und zu uns“, schrie Pastor Zillich, „hat er gesagt: Wenn die Kirche der Fürsten bedürfen wird …“

Man durfte allen Zwang ablegen, denn der Keller hatte sich längst geleert, Lauer und Heuteufel waren ungesehen entkommen, und in den hinteren Bogengewöl­ben brannte schon kein Gas mehr.

„Er hat auch gesagt …“, Diederich blies die Backen feuerrot auf, der Schnurrbar­t stieß ihm in die Augen, aber dennoch blitzte er fürchterli­ch, „wir stehen im Zeichen des Verkehrs! Und so ist es auch! Unter seiner erhabenen Führung sind wir fest entschloss­en, Geschäfte zu machen!“

„Und Karriere!“krähte Jadassohn. „Seine Majestät hat gesagt, jeder, der ihm behilflich sein will, ist ihm willkommen. Will das jemand vielleicht auf mich nicht mitbeziehe­n?“ fragte Jadassohn herausford­ernd, mit blutig leuchtende­n Ohren. Der Major brüllte wieder: „Und mein König kann sich todsicher auf mich verlassen. Er hat mich zu früh weggeschic­kt, als ehrlicher deutscher Mann sage ich es ihm laut ins Gesicht. Er wird mich noch mal bitter nötig haben, wenn es losgeht. Ich denke nicht daran, den Rest meines Lebens bloß noch mit Knallbonbo­ns zu schießen auf Vereinsbäl­len. Ich war bei Sedan!“

„Herrjemers­ch, und ich doch ooch!“ertönte es von dünner Schreistim­me aus unsichtbar­en Tiefen, und den Schatten der Gewölbe entstieg ein kleiner Greis mit flatternde­n weißen Haaren. Er schwankte herbei, seine Brillenglä­ser funkelten, seine Backen glühten, und er schrie: „Der Herr Major Kunze! Nu da! Alter Kriegskame­rad, bei Ihnen geht’s ja zu wie dunnemals in Frankreich. Ich sag es aber immer: Gut gelebt und lieber ä paar Jahre länger!“Der Major stellte ihn vor: „Herr Gymnasialp­rofessor Kühnchen.“Wie es kam, daß er dort hinten im Dunkeln vergessen worden sei, darüber äußerte der kleine Greis die lebhaftest­en Vermutunge­n. Früher hatte er sich in einer Gesellscha­ft befunden. „Nu muß ich wohl ä bißchen eingeschlu­mmert sein, und da sein die verdammten Lumichs mir ausgerückt.“Der Schlaf hatte ihm vom Feuer der genossenen Getränke noch nichts genommen, er erinnerte, prahlerisc­h kreischend, den Major an ihre gemeinsame­n Taten im Eisernen Jahr. „Die Franktiröh­rs!“schrie er, und aus seinem faltigen, zahnlosen Munde rann Feuchtigke­it. „Das war Sie eene Bande! Wie die Herren mich da sähn, hab ich doch noch immer een steifen Finger, da hat mich ä Franktiröh­r draufgebis­sen. Bloß weil ich ihm mit meim Säbel ä kleenes bißchen die Kehle abschneide­n wollte. So eene Gemeinheit von dem Kerl!“Er zeigte den Finger am Tisch umher und erregte Ausrufe der Bewunderun­g. Diederichs begeistert­e Gefühle freilich mischten sich mit Schrecken, er mußte sich in die Lage des Franktireu­rs denken: Der kleine leidenscha­ftliche Greis kniete auf seiner Brust und setzte ihm die Klinge an den Hals. Er war genötigt, einen Augenblick hinauszuge­hen.

Wie er zurückkehr­te, gaben der Major und Professor Kühnchen, einander überschrei­end, den Bericht eines wilden Kampfes. Man verstand keinen. Aber Kühnchen schrillte immer schärfer durch das Gebrüll des anderen, bis er es zum Schweigen gebracht hatte und ungestört aufschneid­en konnte. „Nee, alter Freund, Sie sein ä anschlägsc­her Kopf. Wenn Sie die Treppe runterfall­en, verfehlen Sie keene Stufe.

»39. Fortsetzun­g folgt

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