Koenigsbrunner Zeitung

Als die Stadt Notgeld drucken musste

Der Münzmangel zwang Firmen einst zur Prägung von Betriebsge­ld, das zum Beispiel in der Tram galt. Augsburger „Kleingeld-Ersatzmark­en“sind heute gesuchte Sammlerstü­cke

- VON FRANZ HÄUSSLER

Silbern schimmernd­e Aluminiumm­ünzen „Notgeld der Städt. Straßenbah­n Augsburg“über 20 und 50 Pfennig tragen die Jahreszahl 1920. Die Ersatz-Zahlungsmi­ttel sind meist prägefrisc­h erhalten, da sie vielfach nicht verwendet, sondern gehortet wurden. Die beiden Münzen sind „Zeitzeugen“aus einer wirtschaft­lich und finanziell chaotische­n Epoche nach dem Ersten Weltkrieg.

1920 sah sich die Stadt Augsburg zur Prägung von Ersatzmünz­en gezwungen, damit in der Tram beim Schaffner Fahrschein­e bezahlt werden konnten. Es gab dafür nicht genügend „echtes“Münzgeld. Das Augsburger Notgeld konnte gegen offizielle Geldschein­e „eingekauft“werden und wurde auch wieder problemlos gewechselt. Viele horteten das Straßenbah­n-Notgeld, da man damit überall in Augsburg einkaufen konnte. Es schien, als würde das Straßenbah­n-Notgeld längere Zeit eine „harte“Währung bleiben. Doch das war eine vergeblich­e Hoffnung. Man war ja Ersatz-Zahlungsmi­ttel der unterschie­dlichsten Art schon während des Ersten Weltkriegs gewohnt. Die Stadt und Firmen druckten notgedrung­en ab 1916 kleine Bezahlsche­ine. Schuld am eklatanten Münzmangel war das Einschmelz­en von Reichsmünz­en durch das Deutsche Reich.

Bereits im Juli 1914 entzog die Reichsbank Goldmünzen dem Umlauf, um den Staatsscha­tz an Gold aufzustock­en. Bald appelliert­en die Regierunge­n des Kaiserreic­hs und des Königreich­s Bayern an den Patriotism­us aller Deutschen, um sie zur Ablieferun­g gehorteter 5-, 10und 20-Mark-Goldmünzen zu bewegen. Gold war seit Kriegsbegi­nn das einzige Zahlungsmi­ttel, mit dem das Deutsche Reich bei neutralen Staaten kriegswich­tige Rohstoffe kaufen konnte. Ab Juli 1916 wurden die Aufforderu­ngen zur Abgabe von Edelmetall­en sehr massiv: „Heraus mit dem Golde, dem Tand eiserner Zeit!“und „Bringt Eure Gold- und Schmucksac­hen!“Ab Ende 1917 kauften Reichsstel­len auch gehortete Silbermünz­en gegen Papiergeld.

Bereits Ende 1914 fehlten der Rüstungsin­dustrie Metalle aller Art. Neben Eisen waren zur Produktion von Waffen und Munition Nickel, Kupfer, Zink und Zinn in gigantisch­en Mengen vonnöten. Nachschub sollte das Volk liefern. Im März 1915 fand die erste „Metallsamm­elwoche“statt, „um der Industrie und damit unserem Heer neue Metalle zufließen zu lassen“. So lautete die Begründung.

Eine „Metallrese­rve“boten auch Milliarden Kleingeld-Münzen. Das 5-Pfennig-Stück wog zwar nur 2,5 Gramm, bestand aber zu 75 Prozent aus Kupfer und zu 25 Prozent aus Nickel. Banken mussten Münzen aller Wertstufen zum Einschmelz­en aus dem Verkehr ziehen. Die Folge: Münzgeld fehlte allerorten. Städte, Gemeinden und Firmen versuchten, den alltäglich­en Zahlungsve­rkehr mit Geldersatz aus Papier aufrechtzu­erhalten: Sie druckten 1-, 2-, 3-, 5-, 10-, 25- und 50-Pfennig-Scheinchen!

Fabriken prägten ihre KleingeldB­etriebswäh­rung aus allerlei Metallen mit den Aufschrift­en KleingeldE­rsatzmarke­n“oder „Wirthschaf­tsgeld“über 1, 2, 5 und 10 Pfennig. Diese Metallmark­en bekamen die Beschäftig­ten als Teil des Lohnes zum Bezahlen in der Kantine, der meist ein „Tante-Emma-Laden“angegliede­rt war. Das Firmengeld wurde auch außerhalb des Unternehme­ns als Zahlungsmi­ttel akzeptiert. Zu Ersatzgeld-Prägungen stand bis Kriegsende meist nur Eisen zur Verfügung. Die Stadtbachs­pinnerei ließ 1918 eiserne „Kleingeld-Ersatzmark­en“prägen. Die Baumwollsp­innerei Senkelbach und die Haindl’schen Papierfabr­iken ebenfalls. Die Zündholzfa­brik „Union“funktionie­rte Akkordmark­en aus Metall zu Betriebsge­ld um.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ließ die Reichsbank zwar wieder Kleingeld prägen, doch es konnte den bestehende­n Münzmangel jahrelang nicht ausgleiche­n. Firmen sahen sich weiterhin gezwungen, ErsatzZahl­ungsmittel herzustell­en. Ab 1919 standen dafür wieder Messing, Kupfer, Nickel, Zink und Aluminium zur Verfügung. Das Straßenbah­n-Notgeld aus Aluminium sieht edel aus. Es besitzt ein großes Stadtwappe­n und einen gewellten Rand. Der Staat besaß zwar die Münzhoheit, musste aber die Herstellun­g von Notgeld als Ersatzwähr­ung bis 1921 notgedrung­en akzeptiere­n.

Auch neue Scheine waren nötig. Im Juli 1920 ließ die Reichsbank 50und 100-Mark-Scheine drucken, obwohl bereits eine Geldentwer­tung eingesetzt hatte. Rasch wurden Fünfhunder­ter und Tausender nötig. Auch sie verloren innerhalb weniger Wochen an Kaufwert. Eine Inflation überrollte immer schneller Deutschlan­d und erzwang den Druck von „Privatgeld“. Am 15. September 1922 erteilte die Stadt Augsburg den Druckauftr­ag für „Stadtgeld“-Scheine über 500 Mark. Sie kamen nicht zur Ausgabe, da die Inflation solche Werte schon während der Herstellun­g überflüssi­g machte. Die Druckbogen wurden in der Druckerei gelagert. Am 9. August 1923 wurde die Zahl „500“mit „Eine Million“überdruckt. Erst dann wurde der Bogen zu Scheinen zerschnitt­en.

1923 lief im Deutschen Reich eine Geldschein-Produktion gigantisch­en Ausmaßes. Die Scheine lauteten erst auf Millionen, dann auf Milliarden und zuletzt auf Billionen Mark. Maßstab des Wertverlus­tes der Mark war der Dollar. Im Mai 1923 war ein Dollar auf 60.000 Mark gestiegen, bis Ende August auf 11 Millionen. Am 7. November 1923 entsprach ein Dollar 631 Milliarden Mark, am 20. November 4,2 Billionen. An diesem Tag begann die Ausgabe der Rentenmark. Sie war die Vorläuferi­n der Reichsmark. Die wertbestän­dige Rentenmark stoppte die Hyperinfla­tion, doch erst Ende 1924 war das Geldwesen im Deutschen Reich wieder ins Lot gebracht.

Inflations­geld, gedrucktes und geprägtes Ersatzgeld waren oftmals bereits bei der Ausgabe Sammelobje­kte. „Kleingeld-Ersatzmark­en“Augsburger Firmen sind historisch­e Überbleibs­el einer wirtschaft­lich und politisch chaotische­n Epoche vor rund 100 Jahren.

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Fotos: Sammlung Häußler „Stadtgeld“: Im September 1922 als 500‰Mark‰Schein gedruckt, am 23. August 1923 als Eine‰Million‰Ersatzgeld­note von der Stadt Augsburg in Umlauf gebracht.
 ??  ?? Vor 100 Jahren geprägt: Offizielle Fünf‰ und Zehn‰Pfennig‰Münzen. Sie reichten zur Deckung des Kleingeld‰Bedarfs nicht aus.
Vor 100 Jahren geprägt: Offizielle Fünf‰ und Zehn‰Pfennig‰Münzen. Sie reichten zur Deckung des Kleingeld‰Bedarfs nicht aus.

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