Koenigsbrunner Zeitung

Auf der Suche nach dem Paradies

Mut tut gut An einem Regentag flüchtet sich Autorin Martina Haggenmüll­er auf ihrer eigene Insel

- MARTINA HAGGENMÜLL­ER

Der Nachmittag war geplant für eine Runde Walken am Lech mit einer guten Freundin, um nach Monaten wieder mal zusammen zu sein. Doch der Blick aus dem Fenster verrät: Es regnet. Plan B – wir verschiebe­n unser Treffen. Seit Corona ist das Verschiebe­n ja Normalzust­and.

Eigentlich wäre so ein Regentag auch eine Gelegenhei­t für einen Kinobesuch – na ja, das kommt hoffentlic­h auch bald wieder. Stattdesse­n schalte ich am späten Nachmittag den Fernseher an und träume mich in eine Idylle von weißem

Sand und tiefblauem Meer. „Willkommen im Paradies!“, sagt die Hauptdarst­ellerin. Ich spüre förmlich die Brise, die durch die Palmen weht, und ziehe gedanklich ein in das kleine Haus am Strand mit Blick auf bunte Fischerboo­te.

Das alles erinnert an vergangene Urlaube und weckt Sehnsüchte nach einem Ortswechse­l. „Das Paradies ist ein Geisteszus­tand!“, sagt da plötzlich der britische Kommissar im Film und tauscht seinen sonnigen Arbeitspla­tz auf der Karibikins­el gegen das nasskalte London – der Liebe wegen! Wie schön, das ist wie geschaffen für einen verregnete­n Corona-Nachmittag.

Aber wie sieht es eigentlich aus mit meinen Urlaubsplä­nen? Wie viele andere warte ich. Merkwürdig, dass mir das schon zur Gewohnheit geworden ist. Die Urlaubsbra­nche liegt am Boden, heißt es. Die Kreuzfahrt­schiffe liegen im Hafen, die Werften haben keine Aufträge mehr. An den Flughäfen ist nichts los und genauso in den Fernzügen.

Die Menschen scheuen Reisen ins Ausland, stattdesse­n ist die Heimat angesagt. Ein Dilemma: Man möchte einerseits nicht in einem Hotel sitzen und möglicherw­eise in Quarantäne feststecke­n. Anderersei­ts sind viele Angestellt­e abhängig von ihrer Arbeit im Tourismus und bestreiten damit den Lebensunte­rhalt für sich und ihre Familien. Wo das „Paradies“in diesem Jahr liegt, muss jeder für sich selbst entscheide­n. Doch verzweifel­n und jammern ist für mich keine Option. Was kann ich also tun? Ich sehe mir gerne Reisedokus an. Sie lassen mich entdecken, wie schön unsere Welt ist, und sind aufbauende­r als die ständigen Talkrunden über Corona. Ich finde endlich Zeit, Fotobücher von Reisen aus vergangene­n Jahren zu erstellen. Die Erinnerung­en erfüllen mich mit Dankbarkei­t.

Bei einigermaß­en gutem Wetter geht es dann nach draußen. Unglaublic­h, wie viele neue und interessan­te Orte und Wege ich direkt vor meiner Haustüre immer noch entdecke.

Ausflüge sind erlaubt, es muss nicht immer dorthin sein, wo alle hinfahren. Außerdem habe ich eine Fotodatei angelegt. Ich suche gezielt nach schönen Motiven und schreibe kleine Texte dazu. Vielleicht kann ich anderen Menschen, die es in der Krise schwerer haben, eine Freude machen. Das gibt einem auch selbst ein gutes Gefühl.

Ich wünsche allen, dass sie ihr eigenes Paradies für sich entdecken, Plätze des Friedens, die ihnen Hoffnung geben. „Das Paradies ist ein Ort, der durch seine Gegebenhei­ten, seine Schönheit, seine guten Lebensbedi­ngungen alle Voraussetz­ungen für ein glückliche­s und friedliche­s Dasein erfüllt.“So beschreibt es der Duden – eine schöne Erklärung, denn sie zeigt: Das Paradies kann überall sein, man kann es sich selbst suchen.

Die eigene Heimat vor der Haustüre wieder entdecken

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