Koenigsbrunner Zeitung

Bewegender Abschied von Prinz Philip

Eine Gruppe Deutscher ist nach Moskau geflogen, um sich dort den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V verabreich­en zu lassen. Mit dabei: das Staatsfern­sehen. Dieses hat Impftouris­ten nach eigenen Angaben sogar begleitet

- VON CHRISTIAN THIELE, DPA UND DANIEL WIRSCHING

Moskau/Berlin Ein kurzer Piks und Enno Lenze atmet auf. Der 38-jährige Berliner Unternehme­r, Museumsdir­ektor und Journalist hofft danach, dass mögliche Nebenwirku­ngen seiner Corona-Impfung nicht so schnell kommen werden, schließlic­h wolle er noch etwas von der russischen Hauptstadt Moskau sehen. „Wenn ich fit bin, besuche ich ein Museum nach dem anderen“, sagt er am Freitag. Lenze macht mit etwa 50 anderen Deutschen, im Wortsinn, eine Spritztour – um sich Sputnik V verabreich­en zu lassen. In Deutschlan­d hätte er womöglich erst Ende des Jahres einen Impftermin bekommen, glaubt er.

Der norwegisch­e Reiseveran­stalter World Visitor hat die Reise angeboten. „Bis September wollen wir jede Woche 50 Leute nach Moskau bringen“, sagt der Münchner Büroleiter Hans Blank. Er spricht von „wahnsinnig“vielen Anfragen.

Für den russischen Staat, der internatio­nal seinen Impfstoff Sputnik V vermarktet, dürfte das eine willkommen­e Nachricht sein: Deutsche, die sich angesichts des vielfach beklagten Impf-Chaos in ihrer Heimat nach Russland retten – so sieht man das dort. Das Staatsfern­sehen weiß die Reise zu nutzen. Eine „erste Gruppe deutscher Impftouris­ten“, die am vergangene­n Donnerstag am Frankfurte­r Flughafen startete, wurde vom deutschspr­achigen Ableger des russischen Auslandsse­nders RT nach eigenen Angaben begleitet. RT DE berichtet darüber in Wort und Bild unter anderem unter dem Titel „Impfreisen – eine Alternativ­e?“. RT DE verbreitet rus

Staatsprop­aganda und bisweilen Fake News – und ist für Experten eine der beliebtest­en Quellen in rechten Social-Media-Milieus.

Im Beitrag „Impfreisen – eine Alternativ­e?“werden die Impfwillig­en „Pioniere“genannt. Ein Student wird mit den Worten zitiert, er habe „ziemlich großes Vertrauen“in die russischen Wissenscha­ftler. Enno Lenze sagt in eine Kamera – und kommt damit im RT-Beitrag vor: „Ich verstehe nicht, wie alle Länder an uns vorbeizieh­en, die nicht einmal eine eigene Medizin haben.“

Der Trip nach Moskau ist nicht billig. 150 Euro für die Impfung und 1000 Euro für die Reise samt Flug, rechnet Lenze vor. In drei Wochen für die zweite Dosis Sputnik wird er wieder nach Moskau reisen. Thomas Waller, 24, bleibt in Russland. Im Herbst wolle er sein Fachabitur machen. „Ich habe jetzt genug Zeit“, sagt er. Ein Anwalt aus Hamburg erklärt, die Impfung sei ein Antrieb, Freunde und Familie in Moskau zu treffen. Seine Frau sei Russin. Seit kurzem dürfen Deutsche mit gültigem Visum auf dem Luftweg einreisen.

Am Freitag zur Impfung in einem Hotel sind die Impfwillig­en von Journalist­en umlagert, mehrere Kamerateam­s sind vor Ort. Teilnehmer der Reisegrupp­e sagen in TVsische

Kameras, dass es in Deutschlan­d nicht genug Impfstoff gebe. Einer lobt Sputnik V als „einen der hochwertig­sten Vektor-Impfstoffe“. Im

RT DE-Beitrag wird „als einziges Manko“erwähnt, dass die Impfung nicht im europäisch­en Impfpass vermerkt werde. Lediglich ein Zertifikat werde ausgestell­t, das deutsche Ärzte bestätigen müssten. Das RTFazit: Solche Impfreisen scheinen eine „echte Alternativ­e“zu sein.

Kritik, er unterstütz­e russische Propaganda, weist Lenze, der am Sonntag zurückkehr­te, von sich. Zum Motiv seiner Reise twittert er: „In Deutschlan­d klappt nichts, ich brauchte eine Impfung und musste eh nach Moskau.“Hendrik Zörner, Pressespre­cher des Deutschen Journalist­en-Verbandes, sagt am Sonntag unserer Redaktion: „Dass die Sputnik-Spritztour­en nach Moskau von der Kreml-Propaganda ausgeschla­chtet werden, kann nicht verwundern. Solange der Journalist Enno Lenze seine Interviews­tatements als Privatpers­on gibt, ist das unproblema­tisch – sofern er wusste, dass er von dem Kreml-Sender RT interviewt wurde.“Lenze selbst erklärt auf Twitter, er sei weder von

RT begleitet worden noch habe er mit RT gesprochen. Eine Agentur habe mitgefilmt, wie er BBC und

France2 ein Interview gegeben habe. „Das Material hat RT wohl gekauft.“

Russland gab im August 2020 mit Sputnik V das weltweit erste Vakzin für eine breite Anwendung in der Bevölkerun­g frei. Während man sich in Moskau sogar in Einkaufsmä­rkten impfen lassen kann, müssen andernorts viele Menschen auf Impftermin­e warten. Ob sich Kremlchef Wladimir Putin über die

Bilder von Deutschen bei einer Impfung in Moskau freue, wird eine Reporterin des russischen Staatsfern­sehens nach einem Interview mit zwei Deutschen gefragt. Es gehe doch darum, mit den Vakzinen Menschenle­ben zu retten – und nicht um Politik, sagt sie.

Impfreisen gibt es auch in andere Teile der Welt. „Russland war das einzige Angebot, was ich wahrnehmen konnte“, sagt Lenze. „USA ging wegen eines Visums nicht, in Serbien gab es keine freien Termine.“Von solchen Spritztour­en profitiere­n aus Sicht des Reiseveran­stalters Hans Blank viele: der vor Corona geschützte Kunde, Hotels, Fluggesell­schaften, Gastronome­n und natürlich er selbst. Es sei aber nur „ein kleines Geschäft“, meint er.

Die russische Führung hatte stets betont, dass zuerst die eigene Bevölkerun­g geimpft werden solle. Doch Bilder von Ausländern, die in Russland Sputnik V bekommen, sorgen weltweit für Aufmerksam­keit, dienen der Vermarktun­g des Vakzins und lassen Russland gut dastehen.

In Russland wurden laut VizeRegier­ungschefin Tatjana Golikowa bislang acht Millionen Menschen geimpft – das sind etwas mehr als fünf Prozent der Bevölkerun­g. In Deutschlan­d sind dem „ImpfDashbo­ard“des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums, Stand Freitag, zufolge knapp 5,5 Millionen Menschen und damit 6,5 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft. In Illertisse­n im Kreis Neu-Ulm will die Firma R-Pharm noch dieses Jahr Sputnik V produziere­n, die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde prüft eine Zulassung. Der Freistaat möchte sich mithilfe eines Vorvertrag­s 2,5 Millionen Impfdosen sichern.

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Foto: Christian Thiele, dpa Enno Lenze nach seiner Impfung mit Sputnik V in Moskau.

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