Koenigsbrunner Zeitung

Die Nachrichte­n-Frau

Als erste Chefin der weltgrößte­n Agentur Reuters muss Alessandra Galloni auch einen Job machen, vor dem Männer zurückschr­eckten: die Zukunft sichern

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Wir Journalist­en kämen natürlich niemals auf die Idee, uns auf eine Stufe mit dem Vatikan zu stellen. Aber wenn man den Vergleich wagen würde und sich überlegte, welche Medienorga­nisation einen Ruf habe wie der Mittelpunk­t der katholisch­en Kirche... Dann wäre Reuters wohl ganz vorne dabei. Seit 170 Jahren ist die ursprüngli­ch britische Nachrichte­nagentur der Informatio­n und deren möglichst schneller Übertragun­g verpflicht­et; begonnen hat alles mit Brieftaube­n, die Aktiendate­n von Brüssel nach Aachen flogen, wo der Gründer Paul Julius Freiherr von Reuter lebte. Mittlerwei­le gehört die Agentur einem kanadische­n Investor und heißt eigentlich Thomson Reuters; der Firmensitz ist New York und nicht mehr London. Das ändert aber nichts daran, dass der Name immer noch für möglichst präzise, objektive, schnelle und unbestechl­iche Informatio­nen steht – geliefert von fast 2500 Journalist­en weltweit an rund 200 Standorten. Und noch etwas war immer gleich, darin ähnelt die Organisati­on dann doch dem Vatikan: An der Spitze stand ein Mann.

Was die katholisch­e Kirche angeht, wird dies aller Voraussich­t nach noch eine ganze Weile so bleiben; bei der Nachrichte­nagentur ändert es sich jetzt: Dort hat Alessandra Galloni den Chefposten übernommen, als erste Frau an der Reuters-Spitze. Und damit hören die Zumutungen für Traditiona­listen nicht auf, denn die Chefin ist noch dazu Italieneri­n, ja gar selbstbewu­sste Römerin. Sie hat einst beim italienisc­hen Dienst der Agentur gearbeitet, ehe sie für das Wall Street Journal berichtete, etwa in London und Paris, und dann als „Global Managing Editor“von Thomson Reuters wirkte.

Mit erst 47 Jahren verkörpert sie für die Verhältnis­se traditione­ller Nachrichte­nagenturen einen Generation­swechsel, ihr Vorgänger geht in den Ruhestand. Galloni gilt als charismati­sch und mitreißend, zudem als perfekt vielsprach­ig, auch als unerschroc­ken – so hat sie früh in ihrer Karriere einen großen Skandal um einen italienisc­hen Milchkonze­rn mit aufgedeckt. Allerdings wird es, so ist das Schicksal fast aller Chefredakt­eure in diesen Zeiten, in ihrem neuen Job nicht nur um gute Geschichte­n gehen, sondern auch um gute Zahlen. Der Gewinn von Reuters ist überschaub­ar, immer wieder kursieren Gerüchte, der Mutterkonz­ern könne das Nachrichte­ngeschäft (das nur noch einen Bruchteil des Gesamtertr­ages ausmacht) abstoßen. Zwar gibt es einen langfristi­gen Kooperatio­nsvertrag etwa mit der Londoner Börse, aber um Einschnitt­e dürfte Galloni nicht herumkomme­n. Immerhin, sie hat ihr Heimatland schon stolz gemacht: Der italienisc­he Europa-Staatssekr­etär twitterte, sie sei ein Aushängesc­hild für Italien. Wohnen wird Galloni aber in London, so viel britische Tradition muss sein. Mit dem Vatikan kennt sie sich übrigens auch aus: Sie hat ein Buch über Papst Franziskus geschriebe­n.

Gregor Peter Schmitz

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Foto: Imago Images

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