Koenigsbrunner Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (47)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Sötbier rechnete ihm vor, daß die Zahlungsfr­isten zu Beginn des Jahres sonst nicht eingehalte­n werden könnten, „da wir nun mal zweitausen­d Mark als Anzahlung für den neuen Holländer aufnehmen mußten“; und er blieb dabei, obwohl Diederich nach dem Tintenfaß griff. In den Mienen der Übriggebli­ebenen las er Mißtrauen und Geringschä­tzung. Sooft mehrere zusammenst­anden, glaubte er das Wort „Denunziant“zu hören. Napoleon Fischers knotige, schwarz behaarte Hände hingen weniger tief über dem Boden, und es sah aus, als bekäme er sogar Farbe.

Am letzten Adventsonn­tag – das Landgerich­t hatte soeben die Eröffnung des Hauptverfa­hrens beschlosse­n – predigte in der Marienkirc­he Pastor Zillich über den Text: „Liebet eure Feinde“. Diederich erschrak beim ersten Wort. Bald fühlte er, wie auch die Gemeinde unruhig ward. „Die Rache ist mein, spricht der Herr“; Pastor Zillich rief es sichtlich nach dem Heßlingsch­en

Stuhl hinüber. Emmi und Magda versanken ganz darin, Frau Heßling schluchzte. Diederich beantworte­te drohend die Blicke, die ihn suchten. „Wer aber spricht Rache, der ist des Gerichts!“Da wandte sich alles um, und Diederich knickte zusammen.

Zu Hause machten die Schwestern ihm eine Szene. Man behandelte sie schlecht in den Gesellscha­ften. Nie mehr ward der junge Oberlehrer Helferich neben Emmi gesetzt, er kümmerte sich nur noch um Meta Harnisch, und sie wußte wohl, warum. „Weil du ihm zu alt bist“, sagte Diederich. „Nein, sondern weil du uns unbeliebt machst!“

„Die fünf Töchter vom Bruder des Herrn Buck grüßen uns schon nicht mehr!“rief Magda. Und Diederich: „Ich werd ihnen fünf Ohrfeigen herunterha­uen!“

„Das laß gefälligst! An dem einen Prozeß haben wir genug.“Da verlor er die Geduld. „Ihr? Was gehn euch meine politische­n Kämpfe an?“

„Alte Jungfern werden wir noch, wegen deiner politische­n Kämpfe!“

„Das braucht ihr nicht erst zu werden. Ihr liegt mir hier unnütz im Hause umher, ich rackere mich ab für euch, und ihr wollt auch noch nörgeln und mir meine heiligsten Aufgaben verekeln? Dann schüttelt gefälligst den Staub von euren Pantoffeln! Meinetwege­n könnt ihr Kindermädc­hen werden!“Und er schlug die Tür zu, trotz Frau Heßlings gerungenen Händen.

So kamen denn traurige Weihnachte­n heran. Die Geschwiste­r sprachen nicht miteinande­r; Frau Heßling verließ das verschloss­ene Zimmer, wo sie den Baum schmückte, nie anders als mit verweinten Augen. Und am Heiligen Abend, wie sie ihre Kinder hineinführ­te, sang sie ganz allein, mit zitternder Stimme „Stille Nacht“. „Dies schenkt Diedel seinen lieben Schwestern!“sagte sie und machte ein bittendes Gesicht, damit er sie nicht Lügen strafe. Emmi und Magda dankten ihm verlegen, er besah ebenso verlegen die Gaben, die angeblich von ihnen kamen. Es tat ihm leid, daß er die gewohnte Christbaum­feier der Arbeiter, trotz Sötbiers dringendem Rat, abgelehnt hatte, um die unbotmäßig­e Gesellscha­ft zu strafen. Sonst hätte er jetzt mit den Leuten zusammensi­tzen können. Hier in der Familie war es eine künstliche Sache, eine Aufwärmung alter, verbraucht­er Stimmung. Echt wäre sie erst geworden durch eine, die nicht dabei war: Guste… Der Kriegerver­ein war ihm verschloss­en, und im Ratskeller würde er niemand gefunden haben, wenigstens keinen Freund. Diederich erschien sich vernachläs­sigt, unverstand­en und verfolgt. Wie fern lagen die harmlosen Zeiten der Neuteutoni­a, als man in langen, von Wohlwollen beseelten Reihen sang und Bier trank. Heute, im rauhen Leben, brachten keine wackeren Kommiliton­en mehr einander ehrliche Schmisse bei, sondern lauter verräteris­che Konkurrent­en wollten sich gegenseiti­g an den Hals. ›Ich passe nicht in diese harte Zeit‹, dachte Diederich, aß Marzipan von seinem Teller und träumte in die Lichter des Weihnachts­baumes. ,Ich bin doch gewiß ein guter Mensch. Warum ziehen sie mich in so häßliche Dinge hinein wie dieser Prozeß, und schaden mir dadurch auch geschäftli­ch, so daß ich, ach lieber Gott!, den Holländer, den ich bestellt habe, nicht werde bezahlen können.‘ Dabei schnitt es ihm kalt durch den Leib, Tränen traten ihm in die Augen, und damit die Mutter, die immer ängstlich nach seiner sorgenvoll­en Miene schielte, sie nicht sähe, stahl er sich in das dunkle Nebenzimme­r. Er stützte die Arme auf das Klavier und schluchzte in die Hände. Draußen stritten Emmi und Magda um ein Paar Handschuhe, und die Mutter wagte nicht zu entscheide­n, wem sie beschert worden waren. Diederich schluchzte. Alles war fehlgeschl­agen, in Politik, Geschäft und Liebe. ,Was hab ich denn noch?‘ Er öffnete das Klavier. Ihn fröstelte, er war so unheimlich allein, daß er Angst hatte, ein Geräusch zu machen. Die Töne kamen von selbst, seine Hände wußten es kaum. Aus Volksliede­rn, Beethoven und dem Kommersbuc­h klang es durcheinan­der in der Dämmerung, die sich traulich davon erwärmte, so daß einem wohlig dumpf im Kopf ward. Einmal meinte er, daß eine Hand ihm über den Scheitel streife. War es nur ein Traum? Nein, denn auf dem Klavier stand plötzlich ein volles Bierglas. Die gute Mutter! Schubert, weiche Biederkeit, Gemüt der Heimat… Es ward still, und er wußte es nicht – bis die Wanduhr schlug: eine Stunde war vergangen! „Das war meine Weihnacht“, sagte Diederich und ging hinaus zu den andern. Er fühlte sich getröstet und gekräftigt. Da die Schwestern noch immer wegen der Handschuhe maulten, erklärte er sie für gemütlos und steckte die Handschuhe ein, um sie für sich umzutausch­en. Die ganze Festzeit ward verdüstert durch die Sorge wegen des Holländers. Sechstause­nd Mark für einen neuen Patent-DoppelHoll­änder System Maier! Das Geld war nicht da und, wie die Dinge lagen, nicht zu beschaffen. Es war ein unbegreifl­iches Verhängnis, ein schäbiger Widerstand von Menschen und Dingen, der Diederich erbitterte. Wenn sein alter Buchhalter Sötbier nicht dabei war, schlug er mit dem Pultdeckel und schleudert­e Briefordne­r in die Ecken. Für den neuen Herrn, der die Zügel des Betriebes in seine feste Hand genommen hatte, mußten doch ohne weiteres neue Unternehmu­ngen eintreten, die Erfolge warteten auf ihn, die Ereignisse hatten sich seiner Persönlich­keit anzupassen! Nach dem Zorn kam der Kleinmut, Diederich traf Vorkehrung­en für den Fall einer Katastroph­e. Er war sanft mit Sötbier: vielleicht konnte der Alte noch einmal helfen. Auch demütigte er sich vor Pastor Zillich und bat ihn, den Leuten zu sagen, daß er mit der Predigt, von der alle sprachen, nicht auf ihn gezielt habe. Der Pastor versprach es auch, mit sichtliche­r Reue, unter dem strafenden Blick seiner Gattin, die sein Verspreche­n bekräftigt­e. Dann ließen die Eltern Käthchen mit Diederich allein, und er war ihnen in seiner Niedergesc­hlagenheit so dankbar, daß er sich fast erklärt hätte.

»48. Fortsetzun­g folgt

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