Ein Erinnerungsort wird 70
Das Rosenaustadion entstand aus Trümmern. FCA-Legende Alwin Fink erzählt von großen Momenten des Stadions
Der Held von damals isst keine goldenen Steaks. Er mag Paprikaschnitzel. Oder Schweinebraten, natürlich mit Kruste. Der Held von damals fährt auch keinen Ferrari, sondern steigt an diesem Montagmittag in ein ganz normales Auto und fährt Richtung Süden. Alwin Fink ist ein bescheidener Mann. Dabei könnte er stolz sein, prahlen, seine Erfolge aufzählen. Fink verzichtet auf all das. Er sagt: „Ich war mal Fußballer beim FC Augsburg“. Und fügt an: „Aber auch Lehrer.“
Er kommt aus einer anderen Zeit. Als es Fußballern um Fußball ging und Geld noch nicht die größte Rolle spielte. Instagram erst recht nicht. Und trotzdem war Fink jemand, den man als Helden bezeichnen kann, als Helden des Sports. Vor allem in Augsburg, aber auch darüber hinaus.
Der Mann aus Stadtbergen ist in diesem Jahr an jenen Ort zurückgekehrt, an dem er in den 70er Jahren Geschichte schrieb. Vor einem halben Jahrhundert, als der FC Augsburg erst aufstieg – und eine Saison später gleich den Meistertitel in der Regionalliga gewann. „Die Zuschauer strömten damals in Massen ins Stadion“, sagt Fink. Zehntausende feuerten ihn und seine Mannschaft an, schwenkten Fahnen in den Stadtfarben, fluchten, jubelten. Fink erzählt, welche Erinnerungen er mit dem Rosenaustadion verknüpft. Er, der zwei Jahre älter ist als die Arena, die in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiert. 70 Jahre – so lange gibt es die Sportstätte schon. Damals, im Jahr 1951, ist es das viertgrößte Stadion in der Bundesrepublik. Erbaut aus Schutt, den die Bomben im Zweiten Weltkrieg in Augsburg hinterließen. Das Rosenaustadion, es war damals mehr als eine Sportstätte. Es war ein
Zeichen der Hoffnung – mühsam erschaffen in rund 760000 Arbeitsstunden.
Fink darf als Neunjähriger zum ersten Mal ins Stadion. Damals, Ende der 50er Jahre, spielt der BC Augsburg gegen Borussia Dortmund. Die Westfalen gelten als übermächtig. Doch im Schein des neu installierten Flutlichts siegen die Augsburger, deren Verein später im FCA aufgehen wird. „Das war für mich ein Traumerlebnis“, sagt Fink. „Unvergesslich.“Jahre später stand Fink selbst auf dem Platz.
Vor 35 Jahren hatte Fink im
Rosenaustadion sein letztes Spiel mit den Datschiburger Kickers, einer Benefizmannschaft, für die schon Helmut Haller, Franz Beckenbauer, Gerd Müller und der Boxer Max Schmeling spielten. Das Ende seiner Fußballerkarriere beim FCA war zu dieser Zeit schon lange besiegelt. 1975 verletzte sich Fink an der Achillessehne, dann auch noch am Knie. Er zeigt auf die Stelle am Bein und sagt: „Den Schmerz vergesse ich nicht.“Sein Arzt warnte ihn damals: Wenn er so weitermache, braucht er mit 50 ein neues Knie. Fink hörte auf.
Nach seinem Karriereende verschwand über die Jahre auch langsam der Glanz des Rosenaustadions. Das einst knallrote Schild mit dem Schriftzug „Rosenaustadion“über der Anzeigetafel ist verblichen wie ein Pulli, der zu oft gewaschen wurde. Aus den Fugen im Stehplatzbereich sprießt Klee. Dort, wo über Jahre hinweg Regen hinabprasselte, verschwinden farbige Markierungen auf dem Boden. Es ist nicht erst die Corona-Krise, die das Stadion in den Bedeutungsverlust schickte. Schon seit vielen Jahren wird es immer ruhiger um die Arena. Dass es so kommen würde, deutete sich schon an, als 1972 das moderne Olympiastadion in München entstand und große Sportereignisse anzog. Mit der Eröffnung der heutigen WWK-Arena verließ dann 2009 auch der FC Augsburg das Stadion.
In modernen Stadien ist es nicht schwer, sich im Gewirr der Gänge zu verlaufen. Im Rosenaustadion fällt die Orientierung leicht. Spielereingang, Kabine, Rasen – alles erreichbar mit wenigen Schritten. Im Inneren soll sich Helmut Haller vor einem Spiel oft aufgewärmt haben, während seine Kameraden draußen vor dem Stadion ihre Runden drehten. Unter den Augen des strengen Platzwarts, der es den Spielern verbot, sich auf dem Spielfeld vorzubereiten. Niemand wagte, sich ihm zu widersetzen, erzählt Fink.
Wo Fink in der Kabine saß, weiß er nicht mehr. Nur, dass es still war vor den Spielen. „Ich habe mich gedanklich mit meinem Gegenspieler beschäftigt“, sagt er. „Die Situation war oft sehr angespannt.“An ein Spiel erinnert Fink sich noch besonders gut. Mehr als 40000 Zuschauer warteten draußen, um eine Partie gegen den ebenbürtigen 1. FC Nürnberg zu sehen. „Das Stadion war randvoll“, erzählt Fink. Die Anspannung in der Kabine groß. Doch den Augsburgern gelang der Sieg. Wenn Fink erzählt, betont er vor allem, wie gut seine Kollegen gespielt haben: „Wolfgang Haug schoss das Siegtor“, „Helmut Haller war ein großartiger Techniker“, alle hätten toll zusammengehalten.
Ein bescheidener Mann, der aber doch seine Mannschaft in der Meistersaison 1973/74 als Kapitän aufs Feld führte und beim FC Augsburg als Klub-Legende gilt. Weil das Fußballgeschäft früher ganz anders war, ging Fink nebenbei noch arbeiten. Einen Profivertrag als Fußballer hatte er nie. Morgens unterrichtete der Lehrer Klassen mit 46 Schülern, nachmittags bereitete er sich für den nächsten Tag vor.
Finks Geschichte steht stellvertretend für die vielen Sportlerinnen und Sportler, die im Rosenaustadion vor Menschenmassen traten. So wie etwa die von Ludwig Müller, der als Maurer arbeitete, dann im Tiefbauamt, dann als Masseur und schließlich als Fußball-Betreuer. Nebenbei gewann er 1958 einen Leichtathletik-Länderkampf über 5000 und 10 000 Meter – und wurde als „Held von Augsburg“gefeiert.