Multikulti in der Innenstadt: Die Jakoberstraße
In der Jakoberstraße leben viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Auch die Geschäfte sind bunt gemischt. Viele schätzen den Mix, andere sehen noch großes Entwicklungspotenzial
Cetin Aygün steht vor der Ladentür seines kleinen Fotogeschäfts in der Augsburger Jakoberstraße. Er betreibt es seit 17 Jahren. Der 60-Jährige sagt, er liebt die Straße. „Sie ähnelt der in meiner Heimatstadt nahe Istanbul. Ich bin gerne hier.“Ein paar Meter weiter klagt eine alteingesessene Augsburger Antiquitätenhändlerin, dass die Straße längst nicht mehr so attraktiv sei, wie sie einmal war. Namhafte Geschäfte hätten über die Jahre geschlossen, es sei schmutzig geworden. Das Leben entlang der Jakoberstraße ist so vielfältig, wie ihre Bewohner und Geschäftsleute es längst sind. Seit drei Jahren ist das Viertel ein „Sanierungsgebiet“– was bedeutet das?
Hier leben Studenten, gebürtige Augsburger, Menschen mit verschiedenen Nationalitäten. Es gibt Kneipen, wie das Dracula oder Susis Hexenhaus, wo die Maß Geiß – wenn nicht gerade Lockdown ist – 4,80 Euro kostet. Man findet Dönergeschäfte, vietnamesisches Streetfood, ausländische Reisebüros, Barbershops. Läden, die Hanfprodukte, Trekkingausrüstungen oder Lederwaren anbieten – und mittendrin die Fuggerei. Dieser Mix wird geschätzt, wenn auch nicht von jedem. Einigkeit herrscht jedoch weitestgehend, dass die Jakobervorstadt mit ihrer markanten Straße noch viel Entwicklungspotenzial hat. Deshalb wird beim Stadtplanungsamt an einem Sanierungskonzept gefeilt.
Die Jakoberstraße, die vom Oberen Graben bis zum Jakobertor verläuft, ist lang. Aus der InnenstadtPerspektive beginnt sie schmal am Oberen Graben, führt an der Fuggerei und der Jakobskirche vorbei und mündet in die breite Straße stadtauswärts zum Jakobertor. Auch die Tram fährt hier. Die Jakoberstraße verbindet das Zentrum mit Augsburgs Osten. Entsprechend hoch ist das tägliche Verkehrsaufkommen. „Vor meinem Laden knallt es regelmäßig. Neulich gab es innerhalb von zwei Wochen drei Unfälle“, erzählt Gemüsehändler Özgür Kara.
Die meisten Unfälle passierten beim Wenden, beobachtet er. „Die Autofahrer übersehen, dass die Straßenbahn oder der Bus kommt.“Der 43-Jährige schüttelt den Kopf. Bei einer letzten Karambolage mit einem Bus und zwei Autos wurden sechs Menschen verletzt. Der Verkehr in der Jakoberstraße ist ein Teilaspekt des umfassenden städtischen Konzepts. Vor drei Jahren wurde die nördliche Jakobervorstadt zu einem Sanierungsgebiet erklärt, nachdem Anwohner und Geschäftsleute rund um Jakober- und Pilgerhausstraße sowie Lauterlech seit Langem Verbesserungen fordern. Die Jakobervorstadt wurde ins Programm „Soziale Stadt“aufgenommen.
Eines der Ziele ist, die Jakoberstraße umzugestalten. Die Flächen für den Verkehr sollen verkleinert, dafür mehr Platz für Fußgänger und mehr
Aufenthaltsqualität geschaffen werden. Dies sei eines der Hauptanliegen der Bürger, heißt es aus dem Stadtplanungsamt. Weil die Situation komplex sei, habe man eine genaue Untersuchung angestoßen. Geprüft wird, wie die Straße umgestaltet werden könnte und was das für den Verkehr bedeutet. „Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt in Kürze vor“, teilt die Behörde mit. Es dient dann als Grundlage für die Diskussion und Entscheidung zum weiteren Vorgehen. Das Sanierungskonzept umfasst noch viel mehr.
Grünflächen, wie eine Promenade am Äußeren Stadtgraben, stehen etwa im Fokus, Plätze sollen aufgewertet werden. Ein weiterer wichtiger Punkt sind neue Bebauungen, wie auf dem Gelände der einstigen Augusta Brauerei. 100 bis 120 neue Wohnungen sind dort geplant. Derzeit liefen die Abstimmungen mit den Eigentümern zur Einleitung des erforderlichen Bebauungsplanverfahrens, teilt das Stadtplanungsamt mit. Angelika Jeschek würde es fürs Erste schon mal reichen, wenn die Jakoberstraße sauberer wäre. Mit gerunzelter Stirn blickt sie vor ihrem Antiquitätengeschäft auf den Asphalt und kickt mit dem Fuß eine leere Getränkeverpackung weg.
„Ich bin genervt von dem Dreck hier“, sagt Jeschek, die seit knapp 30 Jahren in ihrem Geschäft „Angy’s Haferl“Antiquitäten verkauft. „Da wird auf den Boden gespuckt und Abfall achtlos weggeworfen.“Jeschek erinnert sich gerne an die alten Zeiten, als sich noch alteingesessene Augsburger Einzelhändler in der Jakoberstraße aneinanderreihten. Jetzt gebe es Friseure, Dönerund Handyläden und „genug Essen“. Dass zuletzt ein Bastelgeschäft und ein Keramikladen aufgemacht haben, begrüßt die Einzelhändlerin. „Solche Geschäfte sind wichtig, um die Jakoberstraße wieder aufzuwerten.“Auch Immobilienunternehmer Peter Wagner, der hier für eine Gewerbefläche im Erdgeschoss eines neu sanierten Hauses einen Einzelhändler oder einen Gastronomen sucht, sieht viel Luft nach oben.
„Die Jakoberstraße dümpelt so vor sich hin und könnte schon noch einen Tick besser werden“, sagt Wagner. „Aber das steht und fällt mit der Qualität der Geschäfte und der Gastronomie.“Er selbst sei jedoch vom Flair der Straße überzeugt. Sie liege in einer guten Frequenzlage, es gebe hübsche Häuser. „Das Flair aus der Augsburger Altstadt mit seinen individuellen Geschäften ein Stück weit mit in die Jakoberstraße zu ziehen, wäre mir eine Herzensangelegenheit“, meint Wagner.
Beim Stadtplanungsamt hingegen wird darauf Wert gelegt, dass die Jakobervorstadt auch in Zukunft ihr eigenes Profil beibehält: „Sie soll nicht Altstadt werden, sondern Vorstadt bleiben.“Keine Angleichung, sondern eine bewusste Abgrenzung sei die Devise, damit sich die Menschen dort stärker mit der eigenen Wohn- und Arbeitsumgebung identifizieren könnten. Wenn es nach Abdullah Bagcaci ginge, der erst vor Kurzem in die Jakoberstraße gezogen ist, müsste sich gar nichts verändern. „Ich mag das Multikulti, hier leben Deutsche, Griechen, Türken, Syrer und Vietnamesen friedlich zusammen.“Und außerdem, sagt der 22-Jährige, seien hier die Mieten noch erschwinglich. Das haben längst auch die Münchner begriffen, wie Antiquitätenhändlerin Angela Jeschek beobachtet. „In den nach und nach sanierten Häuser kaufen sich die Münchner ein. Billiger als bei denen ist es hier alleweil.“
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