Ein Mädchen im Bann der Gotteslegionäre
Wodurch werden Menschen manipulierbar? Will Hills mitreißender Roman nach einer wahren Geschichte
Als die 17-jährige Moonbeam dem Flammeninferno entkommen ist, dem so viele ihrer Brüder und Schwestern zum Opfer gefallen sind, hat sie Beklemmendes, Erschütterndes, aber auch Faszinierendes zu erzählen. Der Psychologe Dr. Hernandez und FBI-Agent Clarke brauchen zwar eine besondere Mischung aus Feingefühl und Überzeugungskraft, um dem verstörten und verletzten Mädchen die ganzen dramatischen Geschehnisse rund um die „Kirche der Legion Gottes“zu entlocken. Doch je mehr Moonbeam den beiden vertraut, desto mehr gibt sie ihre Geheimnisse preis und schockt ihre Zuhörer wie Leser gleichermaßen.
Denn in dem mitreißenden Roman „After the Fire“von Will Hill bildet das große Feuer am abgeschotteten Sektensitz der Gottesleinmitten der texanischen Wüste die zeitliche Zäsur. In den verschiedenen Kapiteln „Davor“und „Danach“erzählt Moonbeam aus ihrer Perspektive die Erlebnisse vor und nach dem Brand. Ein genialer Kunstgriff des Autors, der das „Davor“und „Danach“filigran und ohne Verständnisbrüche zusammenlaufen lässt – bis zum flammenden Inferno, das Moonbeams Leben für immer verändert.
Bis dorthin ist sie nach außen hin ein Mitglied der Sekte wie viele andere. Zum Glauben, Arbeiten und Gehorchen erzogen und zum Schießen ausgebildet. Denn Sektenführer Vater John fordert von seinen Anhängern nicht nur jederzeit blinden Gehorsam, sondern auch unerschütterlichen Einsatz in der angekündigten Endschlacht gegen die Feinde der Gotteslegionäre, die nach seinen Worten kurz bevorsteht.
Während die meisten Glaubensbrüder und -schwestern Vater Johns Worten und Taten unbeirrbar folgen, seine Strafen widerspruchslos akzeptieren und seine Wutausbrüche klaglos erdulden, rebelliert es in Moonbeam. Besonders seit der unfehlbare Prophet ihre Mutter mit Schimpf und Schande hinaus in die Wüste schickte, weil sie ihm zu widerspenstig wurde. Seitdem hat Moonbeam nichts mehr von ihr gehört.
Doch das junge Mädchen ist mit ihren Zweifeln allein. Sie kann sich niemanden offenbaren, sondern muss ständig fürchten, dass ihre geheimen Gedanken ans Licht kommen. Ihre Lage wird noch prekärer, als sie versucht, die jüngeren Mädchen vor den männlichen Übergriffen zu schützen, die in der Glaubensgemeinschaft zum Alltag gehören. Als das große Inferno beginnt ist Moonbeam überzeugt davon, dass sie mit ihrem Handeln die Kagionäre tastrophe heraufbeschworen und Dinge getan hat, die durch nichts zu verzeihen sind. So misstraut sie auch nach ihrer Rettung im Krankenhaus allem und jedem. Doch zunehmend spürt sie, dass ihre psychischen Wunden nur heilen können, wenn ihr Leben endlich nicht mehr auf Lügen, sondern auf der Wahrheit aufbaut.
Will Hill geht mit seinem Roman dem spannenden Thema auf den Grund, wie sehr Menschen beeinflussbar und manipulierbar sind. Und wie unverschämt das wiederum machtbesessene Führungspersonen und selbst ernannte Propheten ausnützen. So stark, dass sich unter ihren Anhängern keinerlei Gefühl mehr für Recht und Unrecht, Wahrheit oder Lüge entwickelt. Jeder Andersdenkende wird dann als Gefahr gesehen.
Moonbeam gibt einen Einblick in die Zerrissenheit eines Mädchen, das ahnt, dass Menschen so nicht miteinander umgehen dürfen. Und sie wehrt sich mit ihren begrenzten Möglichkeiten tapfer dagegen. So ist aus „After the Fire“ein ergreifender Appell für das Recht auf Selbstbestimmung und die persönliche Freiheit eines jeden Einzelnen geworden. Umso mehr als die Idee zu diesem Buch von einer wahren Geschichte stammt – der Belagerung von Waco. 1993 lieferten sich die „Branch Davidians“um Sektenführer David Koresh nach 51-tägiger Belagerung eine Schlacht mit der amerikanischen Bundespolizei, bei der 76 Davidianer starben.