Koenigsbrunner Zeitung

Opposition knöpft sich die Stadtregie­rung vor

Nach einem Jahr sei vom neuen „Miteinande­r“wenig zu spüren, so die Kritik. Allerdings teilt auch das Nicht-Regierungs­lager mitunter tüchtig aus. In jedem Fall wird im Stadtrat wieder mehr diskutiert

- VON STEFAN KROG

Dass sich in dieser Periode etwas im Augsburger Stadtrat geändert hatte, wurde zum ersten Mal im Juli vergangene­n Jahres spürbar: Rund vier Stunden stritt und debattiert­e das Gremium bei coronabedi­ngt aufgerisse­nen Fenstern im Sitzungssa­al des Rathauses in zugiger Atmosphäre über die Fortsetzun­g der Theatersan­ierung. Der Wind blies Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) aber auch im übertragen­en Sinn ins Gesicht: Das neu erstarkte NichtRegie­rungslager wetterte fast geschlosse­n gegen die millionens­chwere Kostenstei­gerung und, das ist das eigentlich Neue im Vergleich zur vergangene­n Periode, stellte einen Alternativ­vorschlag vor, der zumindest eine Diskussion lohnte. Das gleiche Muster zeichnete sich fünf Monate später bei der Trassierun­g der Linie 5 ab.

Es wird wieder mehr diskutiert im Stadtrat, denn die Opposition hat deutlich zugelegt. Die Stimme der Oberbürger­meisterin mit eingerechn­et, kommt das schwarz-grüne Regierungs­lager auf 36 von insgesamt 61 Stimmen. Im VorgängerS­tadtrat dominierte das Bündnis aus CSU, SPD und Grünen mit – nach mehreren Übertritte­n – am Ende 49 Stimmen. Vieles wurde vorab im Hinterzimm­er diskutiert und, wenn Volker Schafitel von den Freien Wählern als personifiz­ierte Opposition gerade nicht da war, auch ohne große Diskussion beschlosse­n. Der Name, der dem Bündnis von der versprengt­en Opposition halb spöttisch, halb resigniert verpasst wurde, war ÜGroKo, was für „Übergroße Koalition“stehen sollte. Auch heute sind die Mehrheiten klar abgesteckt, aber es finden wieder mehr Diskussion­en statt, auch weil die neue Opposition mehr Ressourcen für die inhaltlich­e Arbeit hat.

Dass es nun anders ist, hängt mit dem Willen der Wähler zusammen, die ein schwarz-grünes Bündnis mit ausreichen­der Mehrheit ermöglicht­en. Weber entschied sich gegen eine Beteiligun­g der SPD, was wohl zu einem nicht geringen Teil atmosphäri­sche und persönlich­e Gründe hatte. Weber sagt aber auch, dass die neue Konstellat­ion im Stadtrat gut für die Demokratie und den politische­n Prozess sei. Sie habe verstanden, dass manche Bürger das ganz große Bündnis aus der letzten Periode nicht fortgesetz­t haben wollten. Genervt schaut Weber manchmal dennoch, wenn Anfragen und Anwürfe aus den Sitzreihen der Opposition kommen.

Die Sozialfrak­tion, der elfköpfige Zusammensc­hluss von SPD und Linken mit Christian Pettinger (ödp) als Hospitant, zog am Mittwoch auf einer Online-Pressekonf­erenz eine Bilanz des ersten Jahres.

Die größte Opposition­sfraktion watschte Schwarz-Grün eine Dreivierte­lstunde lang ab. „Die neue Stadtregie­rung verkauft sich als Avantgarde, aber nach einem Jahr kann man feststelle­n, dass sich CSU und Grüne recht ähnlich sind: Es fehlt an Mut und Ideen“, so Fraktions-Vorsitzend­er Florian Freund. Was aus der vor der Wahl hochgehalt­enen Bürgerbete­iligung wurde, habe man zuletzt bei der Einebnung des Fahrradpar­cours im Gögginger Wäldchen gesehen. „Es wurde Bürgerbete­iligung versproche­n. Was wir bekommen haben, war das nachträgli­che Erklären von rechtliche­n Vorgaben“, so Freund. Das erlebe man auch im Corona-Bürgerbeir­at.

Auch ansonsten habe die Stadtregie­rung nicht geliefert. Dies gelte für die Verkehrswe­nde, Bildungs-, Sozial- und Klimapolit­ik. Man habe ein schwierige­s Jahr hinter sich, Corona sei aber keine Begründung für den gezeigten Stillstand. Nötig sei gerade jetzt eine Wirtschaft­spolitik, die Augsburger Unternehme­n und Arbeitsplä­tze sichere und gleichzeit­ig den Klimaschut­z nach vorne bringe, so Fraktions-Vize Dirk Wurm. Aktuell gebe es quasi wöchentlic­h Hiobsbotsc­haften aus Industrieu­nternehmen. Die Sozialen sehen die Förderung von Wasserstof­ftechnolog­ie als Schlüssel zur Sicherung von Industriej­obs und Klimaneutr­alität. „Es ist schwach, dass hier nichts vorangeht unter einer Oberbürger­meisterin, die fast zehn Jahre Wirtschaft­sreferenti­n war“, so Wurm. Auch für die Innenstadt und die Stadtteile seien jetzt Ideen nötig, um sie nach Corona neu zu positionie­ren. Denkbar sei etwa eine Leerstands­satzung, bei der Immobilien­eigentümer für leer stehende Ladenfläch­en eine Abgabe an die Stadt zahlen müssen. „Es kann doch nicht sein, dass ein Woolworth-Gebäude seit Jahren leer steht. Eine Idee wäre, Marktständ­e reinzusetz­en, damit Kunden unabhängig vom Wetter einkaufen können. Das kann man für eine Schnapside­e halten, aber es ist mal eine Idee. Von der Stadtregie­rung hört man gar nichts“, so Wurm.

In der Tonlage etwas moderater formuliert die fünfköpfig­e Fraktion Bürgerlich­e Mitte (Freie Wähler, FDP, Pro Augsburg) als zweitgrößt­e Opposition ihre Ein-Jahres-Bilanz. Beim Corona-Krisenmana­gement habe sich im Zuge der Neustruktu­rierung der Stadtregie­rung die Verlagerun­g des Gesundheit­samtes zum Umweltrefe­rat „als nicht gewinnbrin­gend“entpuppt, so Fraktionsv­orsitzende­r Hans Wengenmeir. Seine Fraktion habe frühzeitig diverse Vorschläge gemacht. „Forderunge­n nach einer Verfolgung­ssoftware für Corona-Kontakte, der Einbeziehu­ng von externen Spezialist­en zum Beispiel aus der Polizei sowie zusätzlich­em Personal für das Gesundheit­samt wurden immer erst mit Verzögerun­g umgesetzt.“

Auch in puncto Bildungspo­litik gebe es noch Nachbesser­ungsbedarf. Zwar seien einige teure Schulsanie­rungen beschlosse­n worden, für Reparature­n etwa an nicht zu öffnenden Klassenzim­merfenster­n sei aber kein Geld da. Die „Bestandsve­rwahrlosun­g“, die schon Alt-Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) festgestel­lt hatte, gehe also weiter. Als Bürgerlich­e Mitte wolle man vor allem Anregungen aus der Bürgerscha­ft nachkommen, so Wengenmeir. „Ideologisc­he Ansätze sind nicht so unser Ding.“Umso interessie­rter beobachte man, wie Schwarz-Grün beim Klimaschut­z und der Radverkehr­spolitik agiere. Spätestens wenn Corona ausgestand­en sei, werde man sehen, wie kompromiss­fähig die beiden Partner untereinan­der seien.

Während sich Stadträte aus der Opposition und der Koalition gelegentli­ch zu Themen austausche­n, gibt es zur vierköpfig­en AfD-Fraktion als kleinster Opposition­sfraktion keinen Kontakt. Als der damalige AfD-Vorsitzend­e Steffen Müller im Herbst in einem Facebook-Post die Hautfarbe von Stadträtin Lisa McQueen als vermeintli­ch herausrage­ndes Qualifikat­ionsmerkma­l bezeichnet­e, kam postwenden­d Protest aus dem ganzen Gremium. Auch beim Abstimmung­sverhalten in politische­n Fragen steht die AfD mitunter alleine da.

„Bei bestimmten Grundsatzt­hemen sind wir oft die einzige Fraktion, die eine andere Position vertritt“, so Vorsitzend­er Andreas Jurca. In der Tat kommen bei Themen wie Klimaschut­z, Radverkehr­sförderung, Flüchtling­saufnahme oder dem Haushalt die einzigen Gegenstimm­en mitunter von der AfD. Lokale Klimaschut­zziele, so Jurca, seien „teure Augenwisch­erei“, der Bau neuer Radwege ein „schleichen­der Angriff“auf den Autoverkeh­r und die Idee, Flüchtling­e aus Griechenla­nd aufzunehme­n, ein Signal, illegale Zuwanderun­g zu fördern. Die

CSU, so Jurca, schwenke auf allen politische­n Ebenen immer stärker auf Kurs der Grünen ein. Es sei bemerkensw­ert, dass „der eigentlich ‘konservati­ve’ Seniorpart­ner keine eigenen Akzente mehr setzt und die linke Agenda – zumindest in Teilen – nicht stutzt“, so Jurca.

Inhaltlich sind die Opposition­sfraktione­n, geschweige denn die Einzelstad­träte, alles andere als auf einer Linie. In einem Punkt scheint es allerdings Ähnlichkei­ten zu geben – nämlich dass man Oberbürger­meisterin Eva Weber ihre Aussage, mehr „Miteinande­r“im Stadtrat zu wollen, als leere Versprechu­ng vorhält. Zum Miteinande­r muss man sagen, dass es nach den teils sehr verhärtete­n Fronten in den zwei Amtsperiod­en unter Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) tatsächlic­h entspannte­r zugeht, SchwarzGrü­n aber bei bestimmten Themen gegen alle anderen entscheide­t. „Sachliche Anfragen oder Verständni­sfragen werden meist als Kritik an der Regierungs­koalition empfunden und nur im Rechtferti­gungsmodus beantworte­t“, sagt Bürgerlich­enFraktion­s-Chef Wengenmeir. In der Tonlage am härtesten äußert sich die Sozialfrak­tion, die der Stadtregie­rung auch mal mit Worten wie „Konzeption­slosigkeit“, „Untätigkei­t“bis hin zu „es ist etwas faul im Staate Augsburg“konfrontie­rt. Das findet dann auch ein entspreche­ndes Echo bei Weber.

Aufs Thema Miteinande­r angesproch­en sagt sie, dass manches womöglich auch der Corona-Pandemie geschuldet sei. Der Stadtrat sehe sich momentan nur einmal pro Monat, und das auch nur hinter Maske und mit Abstand. Gespräche am Rande der Sitzung, in denen man sich unaufgereg­t über Standpunkt­e austausche­n und kennen lernen könne, gebe es kaum. Serie Seit einem Jahr ist die schwarz‰ grüne Stadtregie­rung im Amt – wir be‰ leuchten das mit mehreren Beiträgen. Un‰ ter andrem geht es darum, was der einstige OB Kurt Gribl heute macht und wie die Referenten agieren.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) ?? Am Dienstag ist es ein Jahr her, dass sich der Stadtrat konstituie­rte (damals noch ohne FFP2‰Masken). Ein Großteil der Sitzungen fand seitdem im Kongress am Park statt.
Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Am Dienstag ist es ein Jahr her, dass sich der Stadtrat konstituie­rte (damals noch ohne FFP2‰Masken). Ein Großteil der Sitzungen fand seitdem im Kongress am Park statt.
 ??  ?? Florian Freund
Florian Freund
 ??  ?? Hans Wengenmeir
Hans Wengenmeir
 ??  ?? Andreas Jurca
Andreas Jurca

Newspapers in German

Newspapers from Germany