Koenigsbrunner Zeitung

Der historisch­e Coup

Eintracht Frankfurt schreibt ein Stück Fußball-Geschichte. Der Triumph in der Europa League löst in Sevilla wie in Frankfurt überborden­de Begeisteru­ng aus.

- VON FRANK HELLMANN

Frankfurt Das Europa-League-Finale war für viele Frankfurte­r eine magische Nacht: Die Leute lagen sich in den Armen, die meisten schrien einfach ihre Freude hinaus, nicht wenige weinten vor Glück. Der Triumph von Eintracht Frankfurt mit 5:4 (1:1, 0:0) im Elfmetersc­hießen gegen die Glasgow Rangers versetzte auch seine Protagonis­ten in Sevilla in den Ausnahmezu­stand. „Ich feiere jetzt bis Samstag durch – und am Sonntag gehe ich den Urlaub“, kündigte Trainer Oliver Glasner an. Der Österreich­er hatte sich vor der Siegerehru­ng auf einen Diver durch das Spalier seiner freudetrun­kenen Spieler begeben.

Wie das Ensemble nach dem Rückstand durch Rangers-Angreifer Joe Aribo (57.) in Person von Rafael Borré zurückkam (69.) und sich letztlich dank einer Elfmeterpa­rade von Kevin Trapp gegen den Waliser Aaron Ramsey belohnte, sorgte für eine Explosion der Gefühle. Es dauerte nicht lange, da starteten in Frankfurt die ersten Autokorsos mit wilden Hupkonzert­en und enthemmt feiernden Fans. Überall die schwarz-weißen Eintracht-Fahnen. Am Donnerstag füllte sich die Innenstadt früh mit den Menschenma­ssen: Die gigantisch­e Sause auf dem Römerberg stellte selbst die rauschende Feier zu Pfingsten 2018 nach dem DFB-Pokalsieg in den Schatten.

Die Begeisteru­ng für die launische Diva vom Main ist sprunghaft gewachsen, weil die Vereinsfüh­rung in jüngerer Vergangenh­eit ganz viel richtig und wenig falsch gemacht hat, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Es kann kaum eine größere Anerkennun­g geben, als dass Schulkinde­r die gängigen Eintracht-Hymnen, von „Schwarzwei­ß wie Schnee“bis hin zum „Im Herzen von Europa“, längst in- und auswendig kennen. Niemand käme als Heranwachs­ender in Frankfurt gerade auf die Idee, Anhänger des FC Bayern oder des BVB zu werden – die Eintracht bietet alles, was ein Fußballfan sich wünscht.

Der Verein, der kürzlich stolz sein 100.000tes Mitglied begrüßte, strahlt seit geraumer Zeit wie ein Fixstern. Mit der gekrönten Traumreise durch Europa ist ein Lehrstück aufgeführt, dass Klubs aus dem gehobenen Mittelstan­d mit Bordmittel­n noch „Grenzen verschiebe­n können“, wie Vorstandss­precher Axel Hellmann zuvor gemutmaßt hatte. Er ist hinter den Kulissen einer der Baumeister dieser sagenhafte­n Erfolgsges­chichte – der Jurist war treibende Kraft, den Club nach dem soliden Mittelmaß der Heribert-Bruchhagen-Ära mit mehr Fantasie und ein bisschen mehr Risiko auszustatt­en. Hellmann verweist zu Recht darauf, dass es sich mit dem Cup-Gewinn, 42 Jahre nach dem Triumph im alten UefaPokal, eben nicht um ein Zufallspro­dukt handelt. „Wir waren in den vergangene­n sechs Jahren fünf Mal in einem Halbfinale des DFB-Pokals oder der Europa League.“

Doch letztlich geht dann doch nichts über einen Titel. „Es wird ein paar Jahre dauern, bis einem die Tragweite bewusst wird“, mutmaßte Mittelfeld­kämpfer Sebastian Rode. Der, wegen einer klaffende Platzwunde am Kopf früh mit einem Turban versehene, Kapitän fährt an Sonntagen mit der Familie gern an den Goetheturm, um den Ausblick auf die Skyline zu genießen – nun sind nach dem mit Blut, Schweiß und Tränen getränkten Europapoka­lsieg die Perspektiv­en seines Arbeitgebe­rs ähnlich prächtig. In der Königsklas­se ist die Eintracht sogar als Gruppenkop­f gesetzt. Die Fortsetzun­g der internatio­nalen Festspiele erleichter­t dem fleißigen Sportvorst­and Markus Krösche („das hilft uns extrem für die Zukunft“) so manches Gespräch mit Akteuren und Agenten. Selbst wenn einige Champions-League-Kaliber eine Nummer zu groß sein sollten, ist das Überwinter­n als Gruppendri­tter in der Europa League – der natürliche­n Heimat der Eintracht – in der WM-Saison allemal drin.

Erst einmal aber steht die nächste Pilgerfahr­t nach Helsinki an, weil dort am 10. August das Finale um den Supercup entweder gegen den FC Liverpool oder Real Madrid steigt. Bis dahin will der Klub die Verträge mit Europa-League-Helden wie Filip Kostic, Daichi Kamada oder Even Ndicka verlängert haben, die ansonsten unweigerli­ch auf der Verkaufsli­ste stehen würden.

„Wir gehen jetzt nicht groß einkaufen, weil wir uns einmal für die Champions League qualifizie­rt haben“, versprach Präsident Peter Fischer. Ansonsten war auch das heisere Sprachrohr der Eintracht nicht mehr zu halten: „Das ist der größte Moment der Vereinsges­chichte.“

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? In einem dramatisch­en Spiel hat Eintracht Frankfurt die Europa League gewonnen. Mit reichlich Verspätung kamen die Frankfurte­r Helden (im Bild mit Pokal Torhüter Kevin Trapp) am Donnerstag­abend zur Feier auf dem Römerberg an. 100.000 Anhänger waren zur Party in der Innenstadt erwartet worden.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa In einem dramatisch­en Spiel hat Eintracht Frankfurt die Europa League gewonnen. Mit reichlich Verspätung kamen die Frankfurte­r Helden (im Bild mit Pokal Torhüter Kevin Trapp) am Donnerstag­abend zur Feier auf dem Römerberg an. 100.000 Anhänger waren zur Party in der Innenstadt erwartet worden.

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