Der historische Coup
Eintracht Frankfurt schreibt ein Stück Fußball-Geschichte. Der Triumph in der Europa League löst in Sevilla wie in Frankfurt überbordende Begeisterung aus.
Frankfurt Das Europa-League-Finale war für viele Frankfurter eine magische Nacht: Die Leute lagen sich in den Armen, die meisten schrien einfach ihre Freude hinaus, nicht wenige weinten vor Glück. Der Triumph von Eintracht Frankfurt mit 5:4 (1:1, 0:0) im Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers versetzte auch seine Protagonisten in Sevilla in den Ausnahmezustand. „Ich feiere jetzt bis Samstag durch – und am Sonntag gehe ich den Urlaub“, kündigte Trainer Oliver Glasner an. Der Österreicher hatte sich vor der Siegerehrung auf einen Diver durch das Spalier seiner freudetrunkenen Spieler begeben.
Wie das Ensemble nach dem Rückstand durch Rangers-Angreifer Joe Aribo (57.) in Person von Rafael Borré zurückkam (69.) und sich letztlich dank einer Elfmeterparade von Kevin Trapp gegen den Waliser Aaron Ramsey belohnte, sorgte für eine Explosion der Gefühle. Es dauerte nicht lange, da starteten in Frankfurt die ersten Autokorsos mit wilden Hupkonzerten und enthemmt feiernden Fans. Überall die schwarz-weißen Eintracht-Fahnen. Am Donnerstag füllte sich die Innenstadt früh mit den Menschenmassen: Die gigantische Sause auf dem Römerberg stellte selbst die rauschende Feier zu Pfingsten 2018 nach dem DFB-Pokalsieg in den Schatten.
Die Begeisterung für die launische Diva vom Main ist sprunghaft gewachsen, weil die Vereinsführung in jüngerer Vergangenheit ganz viel richtig und wenig falsch gemacht hat, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Es kann kaum eine größere Anerkennung geben, als dass Schulkinder die gängigen Eintracht-Hymnen, von „Schwarzweiß wie Schnee“bis hin zum „Im Herzen von Europa“, längst in- und auswendig kennen. Niemand käme als Heranwachsender in Frankfurt gerade auf die Idee, Anhänger des FC Bayern oder des BVB zu werden – die Eintracht bietet alles, was ein Fußballfan sich wünscht.
Der Verein, der kürzlich stolz sein 100.000tes Mitglied begrüßte, strahlt seit geraumer Zeit wie ein Fixstern. Mit der gekrönten Traumreise durch Europa ist ein Lehrstück aufgeführt, dass Klubs aus dem gehobenen Mittelstand mit Bordmitteln noch „Grenzen verschieben können“, wie Vorstandssprecher Axel Hellmann zuvor gemutmaßt hatte. Er ist hinter den Kulissen einer der Baumeister dieser sagenhaften Erfolgsgeschichte – der Jurist war treibende Kraft, den Club nach dem soliden Mittelmaß der Heribert-Bruchhagen-Ära mit mehr Fantasie und ein bisschen mehr Risiko auszustatten. Hellmann verweist zu Recht darauf, dass es sich mit dem Cup-Gewinn, 42 Jahre nach dem Triumph im alten UefaPokal, eben nicht um ein Zufallsprodukt handelt. „Wir waren in den vergangenen sechs Jahren fünf Mal in einem Halbfinale des DFB-Pokals oder der Europa League.“
Doch letztlich geht dann doch nichts über einen Titel. „Es wird ein paar Jahre dauern, bis einem die Tragweite bewusst wird“, mutmaßte Mittelfeldkämpfer Sebastian Rode. Der, wegen einer klaffende Platzwunde am Kopf früh mit einem Turban versehene, Kapitän fährt an Sonntagen mit der Familie gern an den Goetheturm, um den Ausblick auf die Skyline zu genießen – nun sind nach dem mit Blut, Schweiß und Tränen getränkten Europapokalsieg die Perspektiven seines Arbeitgebers ähnlich prächtig. In der Königsklasse ist die Eintracht sogar als Gruppenkopf gesetzt. Die Fortsetzung der internationalen Festspiele erleichtert dem fleißigen Sportvorstand Markus Krösche („das hilft uns extrem für die Zukunft“) so manches Gespräch mit Akteuren und Agenten. Selbst wenn einige Champions-League-Kaliber eine Nummer zu groß sein sollten, ist das Überwintern als Gruppendritter in der Europa League – der natürlichen Heimat der Eintracht – in der WM-Saison allemal drin.
Erst einmal aber steht die nächste Pilgerfahrt nach Helsinki an, weil dort am 10. August das Finale um den Supercup entweder gegen den FC Liverpool oder Real Madrid steigt. Bis dahin will der Klub die Verträge mit Europa-League-Helden wie Filip Kostic, Daichi Kamada oder Even Ndicka verlängert haben, die ansonsten unweigerlich auf der Verkaufsliste stehen würden.
„Wir gehen jetzt nicht groß einkaufen, weil wir uns einmal für die Champions League qualifiziert haben“, versprach Präsident Peter Fischer. Ansonsten war auch das heisere Sprachrohr der Eintracht nicht mehr zu halten: „Das ist der größte Moment der Vereinsgeschichte.“