Koenigsbrunner Zeitung

Der Aufdecker

Porträt Der Journalist Günter Wallraff ist durch seine investigat­iven Reportagen berühmt geworden. Die Grenzen zum politische­n Aktivismus aber verschwimm­en bei ihm häufig.

- Rudi Wais

Das Urteil, das ein Oberstabsa­rzt 1964 über ihn fällte, hat Günter Wallraff dem militärhis­torischen Museum überlassen. Als Soldat, heißt es darin, sei Schütze Wallraff wegen seiner pazifistis­chen Überzeugun­g verwendung­sunfähig, selbst im Verteidigu­ngsfall würde eine „abnorme Persönlich­keit“wie er „nur als Versager auftreten“.

Es ist der erste größere Konflikt des gelernten Buchhändle­rs mit der Obrigkeit und durchaus stilbilden­d für vieles, was noch folgen soll. Weil er seinen Antrag als Kriegsdien­stverweige­rer damals zu spät gestellt hat, wird er eingezogen, wehrt sich dagegen und macht seinen Fall in einer Jugendzeit­schrift öffentlich. Später drucken Gewerkscha­ftszeitung­en erste Reportagen von ihm über die Zustände in deutschen Fabriken ab. Bundesweit bekannt aber wird Wallraff erst, als er 1977 unter falschem Namen in der Redaktion der Bild-Zeitung in Hannover zu arbeiten beginnt. „Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“heißt sein Bestseller über diese dreieinhal­b Monate, in denen er unlautere Recherchen und üble Kampagnen bis hin zum Rufmord bei Deutschlan­ds größter Zeitung aufdeckt.

Er fühle sich Menschen nahe, die geächtet seien, sagt Wallraff über sich selbst. Als der Sänger Wolf Biermann aus der DDR ausgebürge­rt wird und nicht weiß, wo er hin soll, nimmt er ihn bei sich in Köln auf. Und als der Schriftste­ller Salman Rushdie von den Mullahs im Iran mit der Fatwa belegt wird, einem Todesurtei­l, schlüpft auch er vorübergeh­end bei Wallraff unter, der sogar eine Privatmasc­hine chartert, weil die Lufthansa Rushdie nicht transporti­eren will.

Die Grenzen zwischen Journalism­us und politische­m Aktivismus verschwimm­en dabei häufig. Mal recherchie­rt Wallraff wie ein Reporter für ein Buch, indem er sich als türkischer Gastarbeit­er Ali Levent ausgibt und bei McDonalds’ und Thyssen verdingt. Mal kettet er sich als Aktivist aus Protest gegen die griechisch­e Militärjun­ta an einen Lichtmaste­n in Athen und landet dafür sogar im Gefängnis. In Portugal schlüpft er für eine Enthüllung­sgeschicht­e gar in die Rolle eines Waffenhänd­lers, der dem Ex-General Spinola helfen will, sich an die Macht zu putschen.

Selbst gute Freunde wie sein Tischtenni­spartner Karl Lauterbach sind vor Wallraff, in dritter Ehe verheirate­t und Vater von fünf Töchtern, nicht sicher. Neuerdings deckt er Missstände in Pflegeheim­en auf – für die ist, unter anderem, der Gesundheit­sminister verantwort­lich.

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