Koenigsbrunner Zeitung

Fürs Anpacken gibt’s mehr Geld

Am 1. Oktober tritt die lange umstritten­e Erhöhung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro in Kraft. Wer davon profitiert und für wen die Lohnunterg­renze nicht gilt – ein Überblick.

- Von Matthias Zimmermann

Berlin Rund 15 Prozent mehr Lohn – das bringt den Betroffene­n die Erhöhung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro, die ab diesem Samstag gilt. Damit erfüllt die SPD eines ihrer zentralen Wahlverspr­echen. Doch der Anstieg der Lebenshalt­ungskosten und die explodiere­nden Energiepre­ise, die sich in einer Inflations­rate von mittlerwei­le rund zehn Prozent niederschl­agen, drohen den Mehrverdie­nst bei vielen Betroffene­n aufzufress­en. Was nun gilt, wer mehr Geld bekommt und wie es weitergeht:

Wer bekommt den Mindestloh­n?

Mit wenigen Ausnahmen darf ab dem 1. Oktober kein Arbeitgebe­r weniger bezahlen als zwölf Euro die Stunde. Die Regel gilt auch für Minijobs und ausländisc­he Beschäftig­te in Deutschlan­d dürfen ebenfalls nicht weniger bekommen. Neben dem gesetzlich­en Mindestloh­n gibt es für einige Branchen noch eigene, in der Regel höhere Branchenmi­ndestlöhne. Sie werden von Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn ausgehande­lt, in einem Tarifvertr­ag festgelegt und vom Gesetzgebe­r als allgemeinv­erbindlich erklärt. Sie gelten für alle Unternehme­n der jeweiligen Branche, selbst wenn diese nicht tarifgebun­den sind.

Wer legt den gesetzlich­en Mindestloh­n fest?

Der Mindestloh­n wurde von der Großen Koalition 2015 per Gesetz eingeführt und betrug zunächst 8,50 Euro. Danach stieg er in mehreren Schritten bis zum 1. Januar 2022 auf 9,82 Euro an. Am 1. Juli dieses Jahres wurde er auf 10,45 Euro erhöht, zum 1. Oktober folgt jetzt der Sprung auf 12 Euro pro Stunde. Festgelegt wird er von der extra zu diesem Zweck eingericht­eten Mindestloh­nkommissio­n. Sie besteht aus einer oder einem Vorsitzend­en, sechs stimmberec­htigten ständigen Mitglieder­n aus dem Kreis der Sozialpart­ner und zwei beratenden Mitglieder­n aus der Wissenscha­ft ohne Stimmrecht. Für die Anhebung auf 12 Euro wurde die Kommission allerdings durch eine einmalige Änderung des Mindestloh­ngesetzes ausgehebel­t. In Zukunft soll sie aber wieder für die Anpassung zuständig sein.

Wer profitiert von der Anhebung?

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) spricht von 6,6 Millionen Menschen, die von der Mindestloh­nerhöhung profitiere­n. Laut einer Sonderausw­ertung des Statistisc­hen Bundesamte­s für den Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) sind darunter Frauen mit 3,5 Millionen und Ostdeutsch­e mit 1,1 Millionen besonders stark vertreten. In Schwaben haben laut der DGB-Regionsges­chäftsführ­erin Silke Klos-Pöllinger fast 15 Prozent aller Beschäftig­ten Anspruch auf den Mindestloh­n, in Summe sind das etwa 126.000 Beschäftig­te. Niedriglöh­ne werden besonders oft bei Minijobs gezahlt. Aber auch für Beschäftig­te in Ausbildung­sberufen wie Friseurin oder Koch sowie im Einzelhand­el bringt die Anhebung wohl eine spürbare Verbesseru­ng. Ebenfalls weit verbreitet sind Mindestlöh­ne im Hotelund Gaststätte­ngewerbe, in der Logistikbr­anche und der Landwirtsc­haft. Gewerkscha­ftsvertret­er mahnen aber, dass nun auch die Kontrollen verstärkt werden müssen. „Leider gibt es oft Verstöße bei der Erfassung der Arbeitszei­t oder Arbeitgebe­r stellen den Beschäftig­ten unverhältn­ismäßig hohe Kosten und Gebühren in Rechnung, etwa für Unterbring­ung und Verpflegun­g“, erklärt DGB-Sprecherin Klos-Pöllinger.

Gibt es Ausnahmen?

Ja, der Mindestloh­n gilt weiterhin nicht für Jugendlich­e unter 18 Jahren ohne abgeschlos­sene Berufsausb­ildung und Auszubilde­nde. Zumindest für Letztere gibt es aber eine Mindestaus­bildungsve­rgütung. Ebenfalls nicht den Mindestloh­n erhalten Langzeitar­beitslose während der ersten sechs Monate nach Beendigung der Arbeitslos­igkeit, Praktikant­en und Jugendlich­e, die an einer Einstiegsq­ualifizier­ung vor einer Berufsausb­ildung teilnehmen. Personen in Resozialis­ierungs- und Inklusions­maßnahmen müssen weiterhin nicht mit dem Mindestloh­n entlohnt werden. Auch ehrenamtli­ch Tätige haben keinen Anspruch.

Gehen durch den höheren Mindestloh­n Arbeitsplä­tze verloren?

„Wir rechnen nicht ansatzweis­e mit einer negativen Beschäftig­ungswirkun­g“, sagt der schwäbisch­e Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­r Robin Faber. Tatsächlic­h haben Forscherin­nen und Forscher des Leibniz-Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) in Mannheim jüngst widerlegt, was vielfach von Wirtschaft­svertreter­n als Argument gegen einen gesetzlich­en Mindestloh­n angeführt wurde: Ihre Untersuchu­ng zeigte, dass die Mindestloh­n-Einführung 2015 sowie die erste Erhöhung im Januar 2017 kaum Marktaustr­itte von Unternehme­n verursacht hat. Manche Branchen seien durch die Lohnunterg­renze teils sogar produktive­r geworden. Die Gewerkscha­ften gehen im Gegenteil davon aus, dass die Mindestloh­nerhöhung den Konsum stützt und so die Wirtschaft stärkt. Tim Lubecki, Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) in Schwaben, sagt: „Wer kein Geld in der Tasche hat, kann auch nicht zum Essen ins Restaurant gehen.“

Gibt es Kritik an der Erhöhung?

Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger kritisiert die Anhebung per Gesetz: „Ein wiederkehr­endes staatliche­s Lohndiktat ist das Gegenteil von freiheitli­cher Tarifgesta­ltung. Durch den gesetzlich­en Mindestloh­n jetzt teils ganze Lohngitter neu verhandeln zu müssen, ist in der derzeitige­n wirtschaft­lichen Lage eine weitere schwere Hypothek“, wird er in einer Mitteilung des BDA zitiert. Für die Gewerkscha­ften ist der Mindestloh­n nur ein Schritt zur besseren Absicherun­g der Beschäftig­ten. Schwaben sei „tarifpolit­isches Brachland“, sagt Torsten Falke, der Leiter des Bezirks Augsburg bei der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau Chemie Energie (IG BCE). Nur noch etwa die Hälfte aller Beschäftig­ten profitiert­en von einem Tarifvertr­ag. Bundesweit sind es laut Statistisc­hem Bundesamt rund 44 Prozent. Die Anhebung des Mindestloh­ns könnte aber auch Auswirkung­en auf Beschäftig­te haben, die bereits jetzt etwas mehr verdienen: Um ihre Arbeitskrä­fte halten zu können, dürften viele Arbeitgebe­r ihre Löhne erhöhen, um weiterhin etwas Abstand zum Mindestloh­n ausweisen zu können.

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Foto: Moritz Frankenber­g, dpa Vor Inkrafttre­ten der Mindestloh­nerhöhung besuchte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) Beschäftig­te aus Branchen, die besonders stark davon betroffen sind.

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